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Olet?

Die klassische Diplomatie gibt es nicht mehr. Commercial Diplomacy ist im Kommen. Wer kennt Details? Und wer mag darüber reden? Eine Glosse.

Commercial Diplomacy ist ein Rätsel, das nicht jedermann versteht. Was Wunder, ist man versucht zu sagen, zählt die Diplomatie doch traditionell zu den bestgehüteten Geheimnissen der Politik – einer Politik, deren Protagonisten als «Schurken fürs Vaterland» (Egon Friedell) stets aufs neue versuchen, die Schurken anderer Vaterländer hinters Licht zu führen, mitunter auch das eigene Vaterland. Dass Regierungen den Primat der Aussenpolitik für sich beanspruchen, seit es Aussenpolitik gibt, ist nicht nur, aber auch eine Folge der Notwendigkeit, unappetitliche ebenso wie allzuappetitliche, jedenfalls nicht für die Öffentlichkeit bestimmte Details dadurch zu verschleiern, dass man sie auf eine höhere Ebene befördert. Bismarcks Wort, wonach die Frage, «wie Würste und Gesetze gemacht werden», lieber nicht zu stellen sei, lässt sich mit einiger Berechtigung auf den Bereich der Diplomatie ausdehnen.

In Entsprechung zu den Geheimdiensten, die grundsätzlich im Verborgenen agieren – das Geheimnis ihres Erfolges baut auf Mythen und Legenden –, operiert auch die Commercial Diplomacy vorab in Graubereichen. Über allem liegt ein Mantel des Schweigens, dick und undurchdringlich. Schwatzen ist ein Kündigungsgrund. Wo Zahlen und Fakten doch einmal durchsickern, sind sie kaum zu glauben und nähren Spekulationen. «Fiction lags after truth», hielt Edmund Burke mit Blick auf die Handelsbeziehungen zu den Kolonien fest. Die Realität – sie ist der Vorstellungskraft stets einen Schritt voraus.

Durch diese kaum einsehbare und darum weitgehend imaginierte Welt weht und wabert noch der Geist des langen 19. Jahrhunderts. Mit Talleyrand, Metternich und Bismarck brachten diese Jahre nicht nur legendäre Staatsmänner hervor, sondern auch den modernen Handelsattaché. Es war eine Zeit, in der geschickte Diplomaten die Fäden eines komplizierten Spiels in ihren Händen und das Spiel zumeist im Gleichgewicht hielten. Fast immer ging es auch um Geld; zumindest daran hat sich nichts geändert.

Ansonsten ist kaum ein Stein auf dem anderen geblieben. Die klassische Diplomatie ist gestorben. Die Grössen von damals zieren kaum noch Wände; Bilder aus jener Zeit wirken wie Fiktionen von einem anderen Stern: man betrachte etwa die Photographien Erich Salomons von der Lausanner Abrüstungskonferenz. Das herkömmliche Staatsprotokoll, die hergebrachten Rituale und Zeremonien wirken heute auch darum hohl und leer, weil im Zuge fortschreitender funktionaler Differenzierung jedes Ressort seine eigene Aussenpolitik betreibt. Diese eng vernetzte Welt bedarf nicht klassisch-diplomatischer Kanäle. Ein sensibler Bereich indessen hat überlebt, Commercial Diplomacy ist mittlerweile auf die höchste Ebene befördert worden und gleichzeitig in den Klatschspalten gelandet.

Mehr denn je ist grosses Geld Regierungs-sache, eine «hochrangige Wirtschaftsdelegation» darf bei keinem Staatsbesuch fehlen. Der Stil mag sich verändert haben. Kumpaneien bei Rotwein und Zigarren im Jet des Bundeskanzlers sind bis auf weiteres passé. Jede Generation von Regierenden berauscht sich auf ihre Weise an der eigenen Bedeutung, betreibt aber eifrig Industrie- und Handelspolitik zum Wohl des Vaterlands. «Hier sind Verträge. Wo sind die Medien? Details regeln wir im Hinterzimmer…» Der grosse Edmund Burke hat nichts von seiner Aktualität verloren: «Great trade will always be attended with considerable abuses.» Aber Hand aufs Herz, wer will schon die Hintergründe kennen, wenn es um Arbeitsplätze geht. Und der Stolz der Nation ist für süsse Augenblicke wiederhergestellt, wenn Hochgeschwindigkeitszüge und Atomtechnik auch an Regime verkauft werden, unter denen man lieber nicht leben möchte.

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