Ohrfeige für 63 000 Stimmbürger
Das E-ID-Referendum droht aufgrund von internen Querelen zu scheitern. Persönliche Differenzen werden höher gewichtet als das gemeinsame Anliegen.

Wenn man eine Google-Suche zum E-ID-Referendum startet, stösst man auf Schlagzeilen wie «E-ID: Für ein Referendum wird es knapp», «Gegner einer staatlichen E-ID streiten um Unterschriften», «Rimoldi fordert Rückgabe der Mass-voll-Unterschriften».
Um auf Informationen über das Kernanliegen zu stossen, muss man die vielen Berichte über das Drama der Unterschriftensammlung ignorieren. Nun kann man der Meinung sein, der Stimmbürger sei mündig und durchaus in der Lage, sich selbst fundiert zu informieren. Und das mag sogar stimmen.
Doch es gibt andere Thesen, die an Universitäten und Fachhochschulen in der Kommunikationswissenschaft gelehrt werden und besagen, dass Konflikte auf Nebenschauplätzen Stimmbürger sehr wohl ablenken und beeinflussen können.
Dazu zählt die Theorie des Agenda-Settings. Sie besagt, dass mediale und politische Akteure durch die Auswahl und Betonung bestimmter Themen die öffentliche Meinung beeinflussen können. Beim Framing stellen Politiker oder Medien Konflikte so dar, dass sie bestimmte Emotionen bei den Stimmbürgern hervorrufen. Ebenfalls relevant ist die emotionale Mobilisierung: Studien zeigen, dass emotionsgeladene Themen oder Konflikte (z.B. Streit innerhalb einer Partei) mehr Aufmerksamkeit erhalten als sachliche Debatten.
Ohrfeige mit Folgen
So erfuhr die Schweiz an Ostern, dass es zum Eklat zwischen Nicolas Rimoldi, dem Präsidenten der Bewegung «Mass-voll», und dem Berner EDU-Grossrat Samuel Kullmann gekommen ist: Rimoldi hatte Kullmann öffentlich eine Ohrfeige verpasst.
Der Vorfall ereignete sich im Zusammenhang mit der Einreichung der Unterschriften für das E-ID-Referendum. Mehrere Gruppierungen und Parteien hatten sich zusammengeschlossen, um das E-ID-Gesetz gemeinsam zu bekämpfen. Nun bekämpfen sie sich gegenseitig.
Ich bin etwas befangen, weil ich selbst für das Referendum einstehe und in jedem der verschiedenen Referendumskomitees Freunde habe. Nun höre ich von allen Seiten dasselbe: Man wolle nicht mehr mit Rimoldi zusammenarbeiten. Sein Verhalten sei irrational, unanständig und kontraproduktiv. Das gemeinsame Anliegen könne die Wogen nicht mehr glätten.
Also war man bereit, das Referendum ohne Rimoldi fortzuführen. Die Abgabe der Unterschriften wurde vorgezogen und Rimoldi einfach nicht eingeladen. Und so war er «late to the party»: kein Gruppenfoto, keine Dankesrunde für die 63 000 gemeinsam gesammelten Unterschriften, keine öffentliche Aufmerksamkeit. Eine grössere Strafe als der Entzug der Aufmerksamkeit hätte es für Rimoldi nicht geben können.
Nun könnte man noch viele, viele Zeilen über die Querelen der verschiedenen Initiativkomitees schreiben. Es ist bedauerlich und der Sache nicht dienlich, wenn Menschen, die das gleiche Anliegen haben, offensichtlich nicht zusammenarbeiten können.
Gleiches passierte bereits nach Corona. Waren sich die verschiedenen Gegner der Corona-Massnahmen während der Pandemie noch weitgehend einig, zerstritten sie sich später allesamt.
Auch haben Nicole Rüegger und Jonas Sulzer, zwei Ex-Vorstandsmitglieder der Piratenpartei Schweiz, inzwischen die Partei «Digitale Integrität Schweiz» gegründet. Eine Kleinstpartei spaltet sich ab von einer Kleinstpartei.
Rimoldi geht nun so weit, dass er die angeblich 20 000 von seiner Organisation gesammelten Unterschriften von der Bundeskanzlei, die für die Prüfung und Zählung der Unterschriften zuständig ist, zurückfordert. Die Bundeskanzlei stellt auch fest, ob das Referendum zustande kommt.
Gäbe man ihm von den eingereichten 63 000 Unterschriften der anderen Komitees 20 000 zurück, käme das Referendum nicht zustande, denn es braucht mindestens 50 000 für ein Zustandekommen.
Rimoldi setzt somit klare Prioritäten und zeigt allen Stimmbürgern, unabhängig von politischer Haltung oder Einstellung zur digitalen Überwachung, worauf es ihm wirklich ankommt: me, myself and I.
«Rimoldi zeigt allen Stimmbürgern worauf es ihm wirklich ankommt: me, myself and I.»