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Ohne Scheuklappen

Occupy, Habermas & Co.: Über Demokratie und Markt

Demokratie gegen Markt. Oder genauer: jene «Guten», die sich auf die Demokratie berufen, polemisieren gegen die «bösen» anonymen Finanzmärkte und deren Vertreter. Doch sind die selbsternannten Demokraten echte Demokraten? Und sind die Finanzmärkte wirklich freie Märkte?

Der neue Konflikt zieht sich durch alle sozialen Schichten, von den Freizeitdemonstranten der «Occupy»-Bewegung bis hinauf zu Professoren wie Jürgen Habermas. Das Statement des in die Jahre gekommenen deutschen Soziologen ist symptomatisch. Habermas beschrieb seine Haupterkenntnis aus dem griechischen Drama mit dem Satz: «Weniger Demokratie ist besser für die Märkte.» Die «Märkte» – damit gemeint sind Finanzmärkte – haben heute nach Habermasscher Lesart das Sagen. Woraus selbstverständlich folgt: «Märkte», diese zutiefst undemokratischen Institutionen, müssen endlich an die Kandare der Politik genommen werden. Genau das wollen auch die «Occupy»-Bewegten: ein Primat der Politik über die Ökonomie.

Grundvoraussetzung der Demokratie ist der mündige Bürger, der sich nicht nur frei äussern, sondern auch frei informieren und entscheiden kann. In der real existierenden Praxis der wohlfahrtsstaatlich verwalteten Welt ist dieser Bürger jedoch immer seltener anzutreffen. Er wurde durch Wohltaten gefügig gemacht. Volksvertreter des Wohlfahrtsstaats haben sich darauf spezialisiert, die Stimmen der Bürger zu kaufen – durch sozialstaatliche Versprechungen, die sie zwar nicht finanzieren können, aber glücklicherweise auch nicht selbst finanzieren müssen. Jeder kommt im spätmodernen Wohlfahrtsstaat direkt oder indirekt in den Genuss staatlicher Transferleistungen. Dass einige der Empfänger auch Zahler sind, ist dabei nicht der entscheidende Punkt. Entscheidend ist vielmehr, dass viele und immer mehr Bürger auf diese Leistungen spekulieren. Und viele, ebenfalls immer mehr, stehen im Lohn des Staates und wissen – wer möchte es ihnen verdenken – dessen volkswirtschaftlich kostenintensive Garantien und Privilegien zu schätzen.

Leistungen, die nicht durch Steuern und Umverteilung finanziert werden können, sind Schulden, die der Staat anderweitig refinanzieren muss. Die europäischen Wohlfahrtsstaaten haben in den letzten 50 Jahren folgerichtig einen unglaublichen Schuldenberg aufgetürmt, dem sie durch die Rettung maroder Banken sozusagen noch die Krone aufsetzten. Was also macht der Staat? Er refinanziert die bestehenden Schulden über neue Schulden. Konkret: er gibt Staatsanleihen heraus. Wer aber kauft diese Papiere heute noch freiwillig? Zum Beispiel Geschäftsbanken, wenn sie sich davon eine gute Rendite ohne Risiko versprechen.

Gelegen kommt dem Staat, dass die de jure unabhängigen, de facto jedoch längst politisch agierenden Zentralbanken eine expansive Geldpolitik betreiben. Sie schaffen Geld aus dem Nichts und stellen es den Geschäftsbanken günstig bis gratis in beliebigen Mengen zur Verfügung. Was machen diese mit dem Geld? Richtig: sie kaufen damit gern Staatsanleihen – zumal der Staat ja erfolgreich die Doktrin verbreiten half, dass er nicht (mehr) pleitegehen kann: gute Rendite, kein Risiko, wer kann da schon widerstehen. Oder noch besser: die Zentralbanken kaufen wie in den USA gleich Staatsanleihen mit neugeschaffenem Geld. Der Ökonom Rahim Taghizadegan sagt es in seinem neuen Buch «Wirtschaft wirklich verstehen» schön: «Das gesamte Finanzsystem eignet sich hervorragend zur Schuldenpolitik und Schuldenwirtschaft; es ist für diese Zwecke gewissermassen massgeschneidert.» – Brauchen wir also wirklich ein Primat der Politik? Wir haben es bereits, nur ist es nicht so leicht erkennbar: Staat, Zentral- und Geschäftsbanken haben ein korporatistisches Geld- und Schuldensystem geschaffen, das sich von Realität und Markt abgekoppelt hat. Nicht zu wenig Regulierung der Geldwelt, sondern zu viel staatliche Privilegierung ist das Problem. Das System schien lange wie ein perpetuum mobile zu funktionieren. Nun zeigt sich jäh: es ist doch keins. Das tut weh. Dagegen hilft nur eins: Disziplinierung durch echten Markt. Und Abschaffung der staatlichen Privilegienwirtschaft. So finden mündiger Bürger und Demokratie wieder zu ihrer Würde zurück.

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