(10) Nur Kunst hat die Kraft
Ein Interview mit Thomas Hirschhorn
Herr Hirschhorn, mögen Sie es, wenn Leute Fragen zu Ihren Werken stellen?
ein kunstwerk soll fragen aufwerfen, nur denke ich, es ist am betrachter antworten zu finden oder nach möglichen antworten selbst zu suchen bevor er den künstler fragt, denn als künstler will ich doch MIT meinem kunstwerk und DURCH mein kunstwerk die bedingungen für einen dialog oder eine konfrontation mit dem betrachter (dem einzelnen betrachter) herstellen, fragen und antworten sind im kunstwerk DRIN – deshalb können sie ERFASST werden, fragen an den künstler stellen ist dabei nur eine art der erfassung und vielleicht nicht die engagierteste, was ich will ist – von mir ausgehen, nur von mir ausgehen, nur machen was ich sehe, was ich so sehe, was mein eigenes ist, vom eigenen ausgehen, versuchen frei zu sein mit dem was von mir kommt, subjektiv sein, so subjektiv wie möglich sein und was ich weiter will ist – an einem plan, einem projekt, einer idee, einem willen, einem problem arbeiten und ich will es tun mit der inneren notwendigkeit, in dringlichkeit und mit der ganzen komplexität die dieser plan, dieses projekt, diese idee, dieser wille, dieses problem einfordert.
Dieser unbedingte Wille zum Ausdruck Ihrer Subjektivität lässt mich jetzt leicht zu der Frage überleiten, ob Ihre Haltung nicht viele mögliche «Konsumenten» Ihrer Kunst überfordert. In dem Sinn, dass sie durcheinandergebracht werden darüber, was nun eigentlich als Kunst zu verstehen sei und was nicht. Die Floskel des «everything goes» ist inzwischen abgegriffen, aber dennoch bringt sie es auf den Punkt. Eine Beliebigkeit, die so gross ist, dass wohl manch ein gefeiertes zeitgenössisches Kunstwerk übersehen würde, würde es aus dem Museum heraus- und mitten auf die Strasse gestellt.
ich habe keine angst jemanden zu überfordern – im gegenteil! aber es ist vor allem wichtig, dass ich mich ständig selbst überfordere, dass ich mich sozusagen aushöhle, es ist wichtig als künstler alles zu geben, sich zu vorausgaben, alles zu riskieren, alles zu wagen, nicht zu kalkulieren und sich nicht zu ökonomisieren, das ist das doch das schwierige,
es gibt keine «kunstkonsumenten» es gibt vielleicht «kulturkonsumenten», denn kunst kann nicht konsumiert werden, ich mache einen unterschied zwischen kultur und kunst kunst ist was unkontrollierbar bleibt, kunst ist was uns überfordert und kunst ist was von mir (vom künstler wie vom betrachter) alles fordert, deshalb ist kunst nie verarschung,
daran glaube ich: nur kunst hat die kraft – weil es kunst ist – etwas zu VERÄNDERN und nur kunst kann – weil es kunst ist – den ANDEREN berühren, kultur kann das nicht, kultur will uns beruhigen, kultur will glätten und «ruhe» bringen, ich habe nichts gegen kultur aber ich unterscheide kultur und kunst,
kultur hat hochkonjunktur heute, kunst hat es schwer, kunst wird verhämt, kunst wird nicht ernst genommen, über kunst macht man sich lustig, ich beklage mich nicht deswegen, aber den unterschied zwischen kunst und kultur vergesse ich nicht,
deshalb sind auch floskeln wie «beliebigkeit» und «everything goes» qualifikationen einer oft nachplappernden denkfaulen kritik, früher war es «radical-chic» oder «political-correct», ich fand das immer ärmlich, aber ich weiss solche floskeln sind nicht zu vermeiden, zeugen aber von der angst der kritik eine künstlerische arbeit ZU BEURTEILEN und sie zeugen von der schwachheit der argumente die schlussendlich KUNSTFEINDLICH sind (viele wollen rumkritisieren statt das risiko einzugehen und den mut zu haben EIN URTEIL zu fällen, sich somit zu engagieren, wie schliesslich der künstler sich engagiert),
ich bin immer davon ausgegangen, dass es KEINEN IDEALEN ORT für die kunst gibt, nicht im museum, nicht in der galerie, nicht im kunst-zentrum, nicht im haus eines sammlers, nicht auf der strasse – deshalb war es mir auch immer klar: nicht weil ein kunstwerk im museum ist – ist es ein kunstwerk, und nicht weil es auf der strasse ist – ist es kein kunstwerk, ich wollte das immer: dass kunst für seine autonomie kämpfen muss und dass kunst für seine existenz kämpfen muss, überall und immer – wie alles andere auch!
Da gibt es ja viel zu tun für die Kunst, wenn nur sie die Kraft zu Neuem und zur Veränderung aufbringt. Dazu kommt, dass sie es auch noch schaffen muss, Abstand zur Kultur zu halten, die in Ihrer Antwort wie ein Dompteur beschrieben wird, der den wilden Tiger zähmt und adrett aufs vorbereitete Podest stellt. Es bleibt die Frage, wie es gelingt, die Betrachter zu erreichen, wenn der Künstler bewusst ausserhalb der Kultur und damit auch der von dieser angebotenen Deutungs- und Vereinnahmungsmuster bleibt? Wie erreichen Sie es, dass Ihre Werke als Kunst wahrgenommen und verstanden werden?
ja, es gibt noch viel zu tun in der kunst, ernsthaft und was mich betrifft – ich arbeite weiter!
ja, das denke ich – nur die kunst und die philosophie haben diese kraft zur veränderung, denn nur sie schöpfen etwas neues,
es geht doch gar nicht darum, dass meine arbeit «als kunst wahrgenommen und verstanden» wird, es geht überhaupt nie darum – denn meine arbeit IST kunst, damit ist diese frage für immer geklärt!
mich interessiert kunst die es wagt die nicht-kunst zu BERÜHREN, denn nur in dieser berührung beweist sich dann die kunst ALS KUNST, das einerseits, und andererseits liegt doch in der berührung der kunst mit der nicht-kunst die chance den anderen einzubeziehen, den anderen nicht auszuschliessen und ihn nicht einzuschüchtern, das will ich mit meiner arbeit – ich sage nicht, dass ich das hinkriege, ich sage nicht dass ich es jemals schaffen werde – aber das will ich, ICH WILL ES, dafür setze ich mich ein (als künstler kann ich nie davon ausgehen ob ich «kommuniziere» ob meine arbeit «funktioniert» oder ob ich den «betrachter erreiche»), und es gibt MOMENTE wo ich denke es erreicht zu haben und es gibt AUGENBLICKE wo ich denke, dass eine begegnung stattgefunden hat – das ermutigt mich!
Auch wenn es mich sehr reizt, mit Ihnen weiterzudiskutieren, woher Sie die Power für die ontologische Aussage haben: «Das ist Kunst» , möchte ich Sie jetzt doch gerne mit Thesen konfrontieren, die in dieser Ausgabe der Schweizer Monatshefte vertreten werden. Glauben Sie, dass eine Debatte darüber nötig wäre, «welche Genres der Kunst (und des Designs) eventuell besser als andere eine erzieherische und persönlichkeitsfördernde Wirkung entfalten können»?1
ich denke nicht, dass kunst «erzieht», ich denke nicht, dass kunst in irgend einen «Dienst» gezogen werden kann, ich denke auch nicht, dass kunst «persönlichkeitsfördernd» wirkt – es geht doch genau um das gegenteil, nämlich darum das unkontrollierbare, das unbeugsame, das freie der kunst zu sehen, sich dem zu stellen und sich damit auseinanderzusetzen, kunst ist keine «servicelei-stung», für niemanden! kunst kann was wir NICHT brauchen! kunst kann was wir NICHT wollen!
Braucht es Berater, um zwischen Künstlern und Unternehmern zu vermitteln? Kann ein Künstler neue Lösungen finden, gerade weil er sich in Distanz zu den Gesetzmässigkeiten wirtschaftlichen Handelns befindet?2
das «problematische» des kapitalismus ist doch, dass er aus uns allen KONSUMENTEN machen will, und zu NUR konsumenten machen will, und das mit allen mitteln und allen argumenten, der «kunstberater» ist ein teil dieses mechanismus,
aber das problem des «beraters» ist, dass er nur berater ist und eben kein «akteur», der künstler ist ein akteur, der ausstellungsbesucher ist ein akteur, der kunstliebhaber, der kunstkäufer, der sammler, der galerist, der kurator, der museumsdirektor, der kunsthistoriker und auch der kunstkritiker ist ein akteur, sie alle sind aktiv, sie behaupten etwas, sie brauchen mut und sie gehen ein risiko ein, das geht nur wenn man eine PASSION hat, die PASSION KUNST, die «passion kunst» ist, was diese akteure gemeinsames haben KÖNNEN, diese passion aber entzieht sich dem beobachtenden berater, so feine analysen er auch macht:
die kunst lässt sich nicht einordnnen, sie ist WIDERSTAND, der künstler muss UNGEHORSAM bleiben indem er eine arbeit macht die die grenzen der theorie sprengt!
der berater aber ist ein beobachter der kein wirkliches risiko eingeht, deshalb ist was er beobachtet nicht wirklich wichtig, nicht wirklich neu und nicht wirklich interessant, nur wenn ich doch – als passionierter in der kunst handle, also AKTIV bin – das heisst: eigenständig, kopflos, selbsbeschleunigt und ohne absicherung kann MEIN TUN (ob ich jetzt künstler, ausstellungsbesucher, kurator oder museumsdirektor bin) eine WICHTIGKEIT erlangen! nicht nur eine wichtigkeit für mich sondern auch für den ANDEREN
kunstberatung und vermittlung sind NICHT notwendig weil doch der künstler INDEM er ein kunstwerk macht und es ausstellt die bedingungen eines dialogs direkt zum betrachter schaffen will! ich denke der direkte dialog ist absolut NOTWENDIG, denn wenn das nicht gelingt, dann kann keine beratung helfen und keine vermittlung! dann sind etweder die bedingungen durch das kunstwerk nicht geschaffen worden (die verantwortung des künstlers) oder dann will der betrachter sich nicht mit dem kunstwerk auseinandersetzen, er will sich nicht riskieren und er will sich nicht dem angebotenen dialog stellen, dann wird eben an kunstberatung und kunstvermittlung appelliert, kunstberatung (also jemand der einen anderen berät) und kunstvermittlung (jemand der einem anderen erklärt) ist das gegenteil einer direkten konfrontation, genau das was doch kunst ERREICHEN kann, wird nicht gewagt: DASS ETWAS NICHT FUNKTIONIEREN KANN, DAS UNVERSTÄNDNIS AUSHALTEN KÖNNEN, DAS GEFORDERT SEIN UND DAS SELBST URTEILEN KÖNNEN, das resultat von beratung und vermittlung ist ein desaster: es erzeugt sogenannte «spezialisten»!
wobei doch gerade die kunst, jede kunst, sich AUCH an nichtkenner und nichtspezialisten richtet, darauf will ich bestehen und auch wenn manchmal missverständnisse und unverständnis nicht zu vermeiden sind, es gilt diese behauptung auszuhalten!
was ich feststelle ist: dem vorschnellen konsumeristischen argument, kunst sei elitenhaft oder zu kompliziert oder unverständlich wird gleich nachgegeben und sofort «vermittelt» und «beraten» wie wild, es wird nivelliert und generalisiert, es wird argumentiert und animiert, die sogennante unmündigkeit des betrachters wird dadurch geradezu legitimiert, STATT DASS AN SEINE SOUVERÄNITÄT ALS BETRACHTER appelliert wird! (wenn jemand doch etwas in der kunst nicht versteht, aber er es verstehen will, ist das doch schon der erste schritt denn er selbst hat den elan etwas zu verstehen, es gilt diesem elan zu vertrauen, ihm zeit zu geben statt gleich assistenz bei beratern und vermittlern wie im sport und geschäft zu suchen),
Ist die Vermittlung für die gesamte Kunst auch dann nicht notwendig, wenn bedacht wird, dass das Geld der Unternehmen eine wichtige Einnahmequelle für die Künstler darstellen kann? Woher können oder sollen Künstler Geld bekommen, damit sie leben und arbeiten können? Vom Staat? Von der Wirtschaft? Von Privatleuten? Braucht es nach Ihrer Meinung eine staatliche Kunstförderung?3
das allerwichtigste ist – und ich nehme es gleich vorweg – was die frage von finanzieller unterstützung für kunst angeht, dass zwar der künstler geld braucht, dass der künstler hilfe und unterstützung benötigt und dass es wichtig ist für seine arbeit, aber dass ein künstler NIE sein SCHAFFEN von finanzieller unterstützung und hilfe ABHÄNGIG MACHEN KANN! geld hilft dem künstler aber es macht ihn nicht abhängig! finanzielle unterstützung darf ihn nicht abhängig machen, er kann nicht, weil er kein geld hat, keine kunst mehr machen! ich will es wirklich versuchen: nie finanziell abhängig werden durch oder mit meiner arbeit,
deshalb auch bin ich für staatliche kunstförderung, bei allen ihren mängeln und schwächen (vor allem was die verteilung angeht, wer kriegt wieviel ?) ist es die einzige möglichkeit für einen staat in einer gewissen UNABHÄNGIGKEIT den künstler und vor allem den jungen künstler, zu unterstützen, es gehört zu den aufgaben eines staates kunst wie auch zum beispiel forschung (ohne garantie für resultate) zu unterstützen, («pro helvetia» zum beispiel macht doch eine äusserst wichtige arbeit – auf internationaler ebene – beneiden uns schweizer jeweils künstlerkollegen aus anderen ländern),
ich denke aber auch, dass staatliche kunstförderung nicht wie eine rente sein sollte, sondern sie sollte dem künstler helfen wenn er es am nötigsten hat, am anfang seiner karriere oder für bestimmte projekte und natürlich denke ich, dass für staatliche kunstförderung hundert- oder tausendmal mehr geld ausgegeben werden sollte,
ich denke, dass staatliche kunstförderung (wenn man dann schon von «desinteressiert» reden kann) am desinteressiertesten ist, auf jeden fall sein muss – deshalb auch meine skepsis gegenüber unternehmen die «desinteressiert» kunst fördern, ich glaube nicht an das «desinteresse» von unternehmen, das ist ja ein widerspruch in sich,
wie kann man also als künstler «sein leben verdienen»? als künstler hat man die möglichkeit seine arbeit zu verkaufen und so seine projekte und sein leben zu gewährleisten, ganz zu beginn habe ich mir gesagt: ich will von meiner arbeit leben können! ich dachte dies ist legitim, denn ich arbeite und es ist normal – dass wenn ich arbeite – ich davon leben kann, WAS MIR ABER AUCH KLAR WAR, UND DAS IST DAS SCHWIERIGE, DAS HARTE BEIM KÜNSTLERSEIN, DASS ES NICHT SOFORT SEIN KANN,
ich bin jetzt 48 jahre alt, ich lebe jetzt seit 10 jahren NUR von meiner arbeit – aber bis ich 38 jahre alt war habe ich immer auch gelegenheitsarbeiten ausgeführt um zu überleben, da ich NICHT vom verkauf meiner arbeit und anderer unterstützung – (staatlicher) und finanzieller hilfe (privater) leben konnte, dies war nie ein problem für mich denn mir war immer klar: um ein künstler zu SEIN muss ich einen preis bezahlen! und ich muss ihn ZUERST bezahlen!
Thomas Hirschhorn wur-de 1957 in Bern geboren. Von 1978 bis 1983 studierte er an der Schule für Ges-taltung in Zürich. Spätestens seit der Teil-nahme an der Docu-menta XI in Kassel (2002) wird er zu den schöpferischsten, einflussreichsten und meistdiskutierten Künstlern seiner Gene-ration gezählt. 2004 wurde er mit dem Joseph-Beuys-Preis der Beuys-Stiftung in Basel ausgezeichnet. Thomas Hirschhorn lebt und arbeitet in Paris.
Das Interview mit Thomas Hirschhorn wurde als Briefwechsel via E-Mail geführt. Es ist hier gekürzt, aber ansonsten unverändert wiedergegeben.