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Nur für Fans

Die SVP bekundet zunehmend Mühe, ausserhalb ihrer Stammwählerschaft Stimmen zu finden, ihre Kommunikation ist in den 1990er Jahren steckengeblieben. Exemplarisch zeigt das die Kampagne gegen die EU-Waffenrichtlinie.

Nur für Fans
Leere Tribüne, fotografiert von Michael / CC BY-SA 2.0.

 

Im Januar 2019 reichte die Interessengemeinschaft Schiessen Schweiz (IGS) über 125 000 gültige Unterschriften gegen die Übernahme der neuen EU-Feuerwaffenrichtlinie ein. Die SVP war zwar nicht Teil der IGS, hatte die so nutzlose wie einschneidende Verschärfung des Waffengesetzes im Parlament aber als einzige Fraktion abgelehnt. Dementsprechend ergab sich ihr eine gute Gelegenheit, sich im Vorwahlkampf von der opportunistisch agierenden bürgerlichen Konkurrenz abzuheben. Um ihr Nein zum neuen Gesetz zu begründen, setzte sie statt auf ein eigenes Argumentarium auf eine Online-Editorial-Kampagne: In der Zeit zwischen dem Beginn der Referendumskampagne und dem Abstimmungssonntag erschienen auf www.svp.ch 15 Meinungsbeiträge von 14 verschiedenen Parteikadern (12 Nationalräten, 1 alt Nationalrat, 1 Kantonsparlamentarier) zur Vorlage.

Das zentrale – und einzige mehrheitsfähige – Argument der Befürworter der Gesetzesverschärfungen lautete, die Nichtübernahme der EU-Waffenrichtlinie bedeute die automatische Beendigung der Schweizer Schengen-Mitgliedschaft. Damit befand sich die Ja-Kampagne im diametralen Widerspruch zur Position desjenigen Bundesrates, der das Schengener Abkommen ausgehandelt hatte. Im Vorfeld der Schengen-Beitrittsabstimmung vom Juni 2005 hatte dieser nämlich schriftlich versichert, dass a) die Nichtübernahme einer Weiterentwicklung des Schengen-Acquis durch die Schweiz im Normalfall nicht zur Beendigung des Schengen-Abkommens führen würde1 und dass b) der Schweiz im Rahmen ihrer Schengen-Mitgliedschaft keine Verpflichtung erwachsen würde, «einschneidende Beschränkungen in ihrem Waffenrecht» oder die Einführung der Bedürfnisklausel zu beschliessen.2

«Fehlte der Politik der 1990er Jahre Unerschrockenheit, Bestimmtheit und eine gewisse Härte, sind heute Substanz, Konsistenz, Präzision und – ganz besonders – Gelassenheit Mangel­ware.»

Die Befürworter der Vorlage in massive Erklärungsschwierigkeiten zu bringen, wäre dementsprechend einfach gewesen. Doch aus unerfindlichen Gründen brachte diese für das Ja-Lager höchst unangenehmen Stellungnahmen des damaligen Bundesrates keiner der Autoren richtig in Anschlag. Stattdessen wurde in schwer nachzuvollziehender Weise über das ungebührliche Verhalten der EU gegenüber der Schweiz geklagt und vor den Gefahren der dynamischen Rechtsübernahme gewarnt. Parteipräsident Albert Rösti zum Beispiel mahnte, dass «wir uns nicht erpressen lassen dürfen», obgleich die neue EU-Waffenrichtlinie ein nicht im mindesten gegen die Schweiz gerichteter Rechtsakt war; Jean-François Rime rief dazu auf, eine «starke Botschaft nach Brüssel zu senden, endlich unsere Souveränität zu respektieren», obwohl Bern die Gesetzesänderungen gar nicht aufgrund äusserer Not übernommen hatte. Tatsächliche Fehlleistungen der EU im Zusammenhang mit ihrer Neuregelung des Legalwaffenbesitzes blieben dagegen so gut wie unerwähnt: zum Beispiel die Tatsache, dass die Gesetzesverschärfungen mit einer Serie von Terrorattentaten legitimiert wurden, zu deren Verübung keine einzige legal erworbene Waffe benutzt worden war.

Plattitüden und Rundumschläge statt Substanz

Worüber wurde überhaupt abgestimmt? Das Gros der Autoren scheiterte bereits an der Klärung dieser Frage. Die IGS hatte das Referendum aufgrund zweier spezifischer Gesetzesverschärfungen ergriffen, die den Rechtsanspruch des unbescholtenen Bürgers auf Erwerb und Besitz handelsüblicher Feuerwaffen faktisch in ein staatliches Privileg umwandelten: das explizite Erwerbs- und Besitzverbot für gängige Halbautomaten (inklusive der zivilen Ordonnanzsturmgewehre) und die Einführung der sogenannten Bedürfnisnachweispflicht.3 Werner Salzmann ging in seinem Beitrag auf beide dieser Verschärfungen ein. Jean-Luc Addor und Jean-François Rime erwähnten die Waffenverbote in gebotener Deutlichkeit. Den übrigen zwölf Beiträgen waren keine Informationen über die relevanten Unterschiede zwischen altem und neuem Gesetz zu entnehmen.

Werner Salzmann, Heinz Brand und der Kantonsparlamentarier Roland Mesot boten Texte, die als Resultat einer gedanklichen Auseinandersetzung mit der Vorlage bezeichnet werden können. Der Rest der Stellungnahmen fiel vor allem durch Oberflächlichkeit und Redundanz auf. So erwähnten zum Beispiel geschlagene acht Autoren, das neue Gesetz sei nutzlos, jedoch kein einziger, dass nutzlose Gesetze als nutzlose Freiheitsbeschränkungen prinzipiell tabu sein müssten. Vor allem aber schrieb mit Ausnahme von Werner Salzmann niemand auch nur einen halben Satz über die ordnungs- und sicherheitspolitische Bedeutung der Abschaffung des Rechtes auf privaten Waffenbesitz. Dass Waffenlose ihre Grundrechte notfalls weder ohne noch gegen den Staat durchsetzen können? Dass in einem Staat, in welchem der Besitz handelsüblicher Feuerwaffen nur Behördenmitgliedern erlaubt ist, die Souveränität letztlich bei der Exekutive liegt? Dass zwischen der Privatwaffendichte und dem Anteil der sogenannten Hot Burglaries4 an der Gesamtmenge der Einbruch- und Einschleichdelikte ein gut belegtes, umgekehrt proportionales Abhängigkeitsverhältnis besteht? Offenbar alles zweitrangige Details, deren Erwähnung sich auch im Hinblick auf den unter dem Motto «Frei und sicher» anlaufenden Wahlkampf nicht lohnte.

«Wie von den Medien ausführlich berichtet wurde, setzte die Partei auf das Bild eines Schweizer Apfels, der von Maden zerfressen wird, welche die EU und die hiesigen Parteien links der SVP darstellen.»

Wurde mit Substanz gegeizt, gab es Plattitüden, Rundumschläge und frei Erfundenes im Überfluss. Jean-Luc Addor zum Beispiel offenbarte dem Leser, dass es «die Mission und der Stolz eines Polizisten ist, Kriminelle zu jagen, und nicht ehrliche Bürger». Alt Nationalrat Yvan Perrin sah sich veranlasst, die EU-Kommission als «Jean-Claude Juncker und seine Bande» zu bezeichnen. Andrea Geissbühler verwechselte die Verschärfungen für Langwaffen mit jenen für Kurzwaffen und behauptete, für die seit 2008 bewilligungspflichtigen Halbautomaten, deren Besitz mit der Gesetzesrevision verboten wurde, «brauche es neu eine Bewilligung», machte aber den Effort, auf Dinge wie die KESB und den «fast ausschliesslich von ausländischen Kriminellen verübten Drogenhandel» einzugehen. Und Andreas Glarner repräsentierte seine Marke, indem er die Erfindung verbreitete, die Bataclan-Attentäter hätten Handgranaten in den Konzertsaal geworfen5, um sich danach wie folgt an seine Leser zu wenden: «Sie werden sich fragen: Handgranaten? Warum werden denn Handgranaten nicht verboten? Ganz einfach: Die sind für Private schon überall in Europa verboten. Also ein grosses ‹Mei, mei› für diese bösen Jungs, welche sich nicht an die Gesetze gehalten haben…»

Wen sprechen politische Texte an, in denen über alles Mögliche hergezogen wird, das eigentliche Thema aber kaum Beachtung findet? Wer hört hin, wenn Parlamentarier tausendmal gehörte Klamauksätze aus der Handzettelversion des Parteiprogramms zum Besten geben oder gar blanken Unsinn erzählen? Offensichtlich nur Leute, die weder auf Stringenz noch Faktentreue besonderen Wert legen und sich weder an Banalität, Schludrigkeit noch ständigen Wiederholungen stören – ergebene «Fans» also, die ihre Partei primär als Vermittlerin eines «Wir gegen alle anderen»-Lebensgefühls schätzen und sich ihre Abstimmungsempfehlungen mehr oder weniger unkritisch zu Herzen nehmen. Auf Bürger hingegen, deren Übereinstimmung mit der Parteimeinung nicht schon von vornherein feststeht, bleibt derartige Kommunikation hingegen bestenfalls wirkungslos. Wer die Editorials gegen das neue Waffengesetz las, um sich über die Sichtweise der Gegner der Vorlage zu informieren, erhielt wohl am ehesten den Eindruck, hier werde aus einer Mücke ein Elefant gemacht – oder gar, das Referendum sei eine Zwängerei von Leuten, die mit dem Urteil des Volks zur Selbstbestimmungsinitiative nicht zurechtkamen.

SVP-Kommunikation 1993 und 2019

Niemand missioniert mit Absicht so, dass er nur bei bereits Konvertierten Anklang findet. Die SVP-Führung muss überzeugt sein, die gewählte Kommunikationsstrategie besitze auch ausserhalb des «Fanblocks» Mobilisierungspotenzial. Warum, lässt sich an der Wahl des neuesten Wahlkampfsujets – und besonders an dessen Wertung durch Parteistrategen – erahnen. Wie von den Medien ausführlich berichtet wurde, setzte die Partei auf das Bild eines Schweizer Apfels, der von Maden zerfressen wird, welche die EU und die hiesigen Parteien links der SVP darstellen. Die Frage zum Bild: «Sollen Linke und Nette die Schweiz zerstören?» Damit orientierte sie sich stark am sogenannten «Messerstecher-Plakat», das die Zürcher SVP im Herbst 1993 geschaltet hatte. Dieses zeigte eine von einem schwarzen Schatten mit erhobenem Messer überraschte Frau, die Botschaft lautete: «Das haben wir den Linken und den ‹Netten› zu verdanken: mehr Kriminalität, mehr Drogen, mehr Angst.»

Führende Köpfe der Partei waren voll des Lobes. Christoph Blocher zum Beispiel sprach von einer «Punktlandung» und freute sich, «dass jetzt endlich über die Sache geredet wird»; Roger Köppel vermeldete sogar: «Der Provokationsangriff hat mit der Präzision einer Fernlenkwaffe eingeschlagen […] Die Journalisten ereifern sich. Entrüstung und Empörung auf allen Kanälen. […] Alles dreht sich wieder um die SVP.» Bezogen auf den von SVP-Gegnern befallenen Schweiz-Apfel wirken diese Einschätzungen geradezu humoristisch. Neben Vorwürfen einer Entmenschlichung und Vergleichen mit nationalsozialistischer Propaganda, wie sie bereits als Reaktion auf frühere Sujets erfolgt waren, erntete das Plakat nämlich vor allem Prädikate wie «von Verzweiflung zeugend» und «dämlich».6 Leitartikelmässige Auseinandersetzungen mit dem «Phänomen Volkspartei» blieben weitestgehend aus, eine vertiefte Beschäftigung mit den SVP-Wahlkampfthemen ebenfalls – zu reden gaben vor allem die zahlreichen Unmutsbekundungen aus dem eigenen Lager. Beim Social-Media-Team der Partei war die Ratlosigkeit so gross, dass es allen Ernstes einen Tweet absetzte, in dem es ein paar Online-Kommentare als Beweis dafür anführte, «dass es für unser Plakat nicht nur Haue gibt, sondern auch Lob».

Mit Bezug auf das sechsundzwanzigjährige Originalsujet – und das dürfte der springende Punkt sein – treffen die Urteile von Blocher und Köppel hingegen voll und ganz zu. In der Hochblüte der ausländer- und sicherheitspolitischen Korrektheit und zu einer Zeit, als sich vor allem linke Politiker gerne ein Denkermäntelchen umwarfen, war das Messerstecher-Plakat tatsächlich nichts weniger als eine Punktlandung. Die Medien damals reagierten mit Eifer, Entrüstung und Empörung, wodurch sie nolens volens bewirkten, dass über die Sache geredet wurde und sich alles um die SVP drehte. Wir erinnern uns: Beflügelt vom Erfolg macht die Partei das Sujet umgehend zum neuen Standard ihrer Kommunikation und vergrösserte ihren Stimmenanteil in der Folge rasant: Die konfrontative bis brachiale Art, politische Themen aufs Tapet zu bringen, entsprach offensichtlich auch jenseits ihrer bereits akquirierten Klientele einem Bedürfnis.

Themenferner, aus der Zeit gefallener Klamauk

Der Erfolg dieses Kommunikationsstils hielt lange an, doch die politische Kultur hat sich seither verändert. Im linksgrünen Lager haben die Alt-68er mit Intellektuellenanspruch das Zepter längst einer Generation «Aktivisten» übergeben, die sich durch lärmige Militanz, Dreistigkeit und masslose Selbstgerechtigkeit auszeichnen. In den Mitteparteien bestimmen heute orientierungslose «Gestalter» den Ton, die Kaskaden von Leersätzen von sich geben. Vor allem aber hat sich der politische Diskurs in den letzten zehn Jahren durch die zunehmende Nutzung von sozialen Medien verändert. Wer nicht ausschliesslich offline am politischen Leben teilnimmt, tritt alle paar Momente in eine Pfütze aus Primitivität, Frust, Streitsucht, übersteigertem Geltungsdrang, Hysterie und Moralinsäure. Unter diesen Umständen erzielt durch das Megafon an den Mann gebrachte Grobschlächtigkeit exakt dasselbe wie das feinsinnig vorgetragene Gerede vom «multikulturellen Zusammenleben» vor 25 Jahren: ein Gefühl des Überdrusses.

«Sowohl die Waffengesetz-Kampagne wie auch das neue Wahlplakat sind mehr oder weniger generischer Klamauk.»

Mir macht der SVP-Stratege gegenwärtig den Eindruck eines eingeschneiten Glaceverkäufers, der sich während eines langen Sommers davon überzeugt hat, die Jahreszeiten seien ohne Einfluss auf seinen Geschäftsgang. Auf die sinkenden Umsätze reagiert er bislang mit der Strategie «Mehr vom Gleichen»: Das Messerstecher-Plakat nahm noch Bezug auf konkrete, im Verantwortungsbereich des politischen Gegners entstandene Probleme (die offene Drogenszene in der Stadt Zürich unter SP-Stadtpräsident Josef Estermann sowie der Mord am Zollikerberg, der ein sehr schlechtes Licht auf den damaligen Justizdirektor Moritz Leuenberger warf). Sowohl die Waffengesetz-Kampagne wie auch das neue Wahlplakat sind hingegen mehr oder weniger generischer Klamauk.

Fehlte der Politik der 1990er Jahre Unerschrockenheit, Bestimmtheit und eine gewisse Härte, sind heute Substanz, Konsistenz, Präzision und – ganz besonders – Gelassenheit Mangelware. Wirksam provozieren könnte die SVP dementsprechend mit a) entspannt-souverän auftretenden Vertretern, die b) das Geschwätz der Mitte und das Systemwechselgeschrei der Linken durch wohlüberlegten, konzis geäusserten Widerspruch deklassieren. Hierfür bräuchte diese Partei dringend mehr Intellektuelle im positiven Sinne des Wortes: Kader, die hinter Namen wie Edmund Burke, Edgar Bonjour oder Thomas Sowell nicht erst mal Mitglieder von Jean-Claude Junckers Bande vermuten.

  1. «Im Falle der Nichtübernahme einer Weiterentwicklung (des Schengen/­Dublin-Besitzstandes) sind die Vertragsparteien verpflichtet, nach pragmatischen ­Lösungen zu suchen. Im äussersten Fall hätte die Ablehnung der Übernahme ­eines neuen Erlasses die Kündigung der Abkommen zur Folge.» In: Botschaft des ­Bundesrates zur Genehmigung der «Bilateralen II», BBI 2004 5965, 5968.

  2. «Ein Referendumskomitee befürchtet einschneidende Beschränkungen in ­unserem Waffenrecht. Diese Befürchtung ist unbegründet […] Nach wie vor braucht es für den Erwerb einer Waffe keinen Bedürfnisnachweis.» In: Erläuterung des Bundesrates zur Volksabstimmung vom 5. Juni 2005 («Abkommen zu Schengen und Dublin»), S. 13.

  3. Diese stipuliert, dass eine Waffe nur besitzen darf, wer der zuständigen Behörde einen von ihr akzeptierten Spezialgrund nachweisen kann, der den Besitz rechtfertigt.

  4. Einbruchs-/Einschleichdelikte in Anwesenheit der Bewohner.

  5. Offiziere der Einsatzkräfte, die unter Eid Zeugnis über das Geschehen vor Ort ­ablegten, erwähnten keinen Einsatz von Handgranaten. Für die Zeugenaussagen vgl. den Untersuchungsbericht der Nationalversammlung.

  6. http://www.nzz.ch und http://www.aargauerzeitung.ch

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