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«Nur Christen, die etwas falsch machen, müssen Angst haben»

Gefährliche und selbst gefährdete Beschützer der Christen in Nahost

«Nur Christen, die etwas falsch machen, müssen Angst haben»

«Christen nach Beirut und Aleviten in den Sarg» skandieren Assad-Gegner Ende April im österlichen Duma, einem Vorort von Damaskus (Christianpost der University of Saint Mary, 05-05-11). Doch ein Video dazu gibt es nicht. Das «Allah verderbe die Aleviten» einer nach Libanon geflohene Syrerin hingegen ist unstrittig und macht auch die ältere Nachricht glaubwürdiger (Abigail Fielding Smith, Financial Times 22-06-11).

Die 2,3 Millionen Christen unter Syriens 23 Millionen Einwohnern sind kaum zu beruhigen. Aus dem Nachbarland Irak flieht seit 2003 eine halbe Million ihrer Glaubensgenossen. Viele entkommen zu ihnen und berichten über den Terror. In Ägypten sind es Salafisten, Anhänger eines streng wahabitischen Islams, die Kirchen verbrennen  und Gläubige töten oder verstümmeln. Als im März in Qena einem Kopten die Haut aufgeschlitzt und ein Ohr abgeschnitten wird, setzt die Justiz auf Versöhnung, statt den Täter zu belangen. Der Besänftigungsversuch seines Imams unterstreicht die Grösse der Gefahr: «Nur Christen, die etwas falsch machen, müssen Angst haben». Zu ihren Fehlern gehört die Übernahme von Ämtern, in denen sie über Muslime entscheiden. Bei Einsetzung eines für Qena vorgesehenen christlichen Gouverneurs prophezeit der Imam «grosses Unglück». Nach dieser kaum verhüllten Pogromankündigung verzichten die Kopten erst einmal auf ihren Mann, ohne zu wissen, ob dieses Nachgeben sie vor weiteren Verlusten bewahrt (Yaroslav Trofimov, Wall Street Journal, 11-06-11).

In den Protestbewegungen Ägyptens und Syriens marschieren auch junge Christen. Sie wollen ihren Eltern die Panik nehmen und erklären der Welt, dass Bürger aller Religionen aus der bald gesicherten Freiheit Gewinn ziehen werden. Sie erinnern ein wenig an radikale junge Juden, die in Europas 68er-Bewegung vorne dabei sind, bis sie der Hass vieler Linker auf Israel davon treibt.

Syrien bleibt für Christen noch heikler als Ägypten. Der halbsäkulare Mubarak schützt die Kopten. Seine Sunniten stellen die grosse Bevölkerungsmehrheit. Bewusst gegen sie geplante Untaten müssen sie auch von einer neuen Regierung nicht fürchten. Das Assad-Regime in Syrien hingegen gehört selbst zu einer Zehn-Prozent-Minorität, die – nicht anders als ihre christlichen Pendants – durchaus des Schutzes bedarf. Aleviten sind auf der Hut, weil sie Verfolgung nicht nur vom Hörensagen kennen. Die vom Gaddafi-Menschenrechtspreisträger Erdogan beklagte Einflusslosigkeit auf Assad hat viel damit zu tun, dass auch die Aleviten seines Landes seit der Osmanenzeit immer wieder schikaniert werden. Zwar gehören die Assads als Nusairier einer speziellen alevitischen Konfession an und können deshalb nicht automatisch auf die Solidarität anderer Aleviten hoffen. Aber alle Aleviten sind auf ihre Weise Anhänger des Ali ibn Abi Talib wie orthodoxe, lateinische und alle Varianten protestantischer Christen sich auf Jesus beziehen. Sie mögen untereinander streiten, aber bei einer Verfolgung von Christen durch andere stehen sie doch zusammen. Wie die Aleviten erhoffen sich Syriens Christen vom türkischen Premier nach den immer noch geleugneten Ausmordungen und Vertreibungen im 20. Jahrhundert ohnehin nichts.

Syriens Aleviten haben mithin stärkere Gründe, ihre Macht mit Panzern zu verteidigen als Potentaten, die lediglich ihre Pfründe behalten wollen, aber nicht gleich auf einen Genozid gefasst sein müssen. Assads Elitesoldaten werden so zu «Mördern, denen viel Leides geschah». Weil die Beschützer der christlichen Syrer selbst Opfer von Verfolgungen waren und wieder werden können, stacheln sie die ebenfalls leidgesättigte Angst der Christen – etwa durch Fotos brennender Gotteshäuser – noch weiter an, um wenigstens sie als Alliierte zu behalten. Christliche Würdenträger helfen dem Regime mit Solidaritätsadressen – und müssen das wohl auch (Bassam Kodmani, Financial Times, 15-06-11).

In Ägypten werden Christen aufgrund ihrer Abschirmung durch das alte Regime heute als Profiteure der Macht denunziert, denen man im Namen ausgleichender Gerechtigkeit allerhand nehmen dürfe. Wie die Kopten sind auch die Christen Syriens bei Bildungsabschlüssen und Spitzenpositionen überrepräsentiert. Weil ihre Schutzherren für die eigene Rettung längst massiv töten, fällt die daraus erwachsende Schuld auch auf die Betenden in den Kirchen. Ihnen könnte – nach uralter Revolutionslogik – also nicht nur das Erarbeitete, sondern auch Heimat und Leben geraubt werden. Womöglich wird man ihnen brandgefährliche Treuebekundungen abfordern. «Seid ihr bereit, ins Feuer zu laufen und die Grenzen des zionistischen Feindes zu durchbrechen?» – so testet Assad am 5. Juni die Loyalität seiner Palästinenser. Wer könnte Christen oder Aleviten garantieren, dass eines Tages nicht auch sie auf diese Weise geprüft werden?

Vertreibung und Ausrottung von Minderheiten sind Mittel der Wahl für Bewegungen, denen der Sieg die Positionen nicht beschert, nach denen ihre zornigen jungen Männer streben. Die müssen allerdings erst einmal ganz handfest erfahren, dass sie nicht nur ein Freiheits-, sondern vor allem ein Mengenproblem haben. Wenn ein Positionsinhaber getötet, verjagt oder auch nur friedlich abgewählt ist, dann aber gleich drei oder mehr verdiente Kämpfer auf seinen Sessel wollen, schlägt die Stunde des Bürgerkriegs, in dem die Revolution nicht etwa ihre Kinder, sondern die überzähligen Brüder frisst.

Auch in dieser Gewaltperspektive wirkt Syrien explosiver als Ägypten. Am Nil folgen auf 1000 Männer, die im Alter von 55 bis 59 Jahren auf den Ruhestand warten, 2900 Jünglinge im Alter von 15 bis 19 Jahren, die nach oben wollen. In der Schweiz, Deutschland oder Österreich bereiten sich gerade mal 1000, 800 bzw. 750 Nachwachsende auf die Posten von 1000 Alten vor. In Syrien aber sind es 4300, weshalb dort auch nach hohen Verlusten weiter gekämpft werden kann. Und immer noch steht die Rache aus für die 20‘000 sunnitischen Opfer von 1982 in Hama. Damals hatte Syrien 9 Millionen Einwohner. Jetzt sind es 14 Millionen mehr.

Die Aleviten kennen also nicht nur den schwelenden Hass. Sie wissen überdies, dass mehr Personal für seine Exekution bereit stehen als je zuvor. Durch die Bewaffnung von Aleviten wird die gesamte Volksgruppe zum Kombattanten. Für alle geht es jetzt um Leben und Tod. Aber sie sehen auch ihre gratwandernde Chance. Im UNO-Sicherheitsrat schützen China und Russland die NATO vor einem weiteren Krieg mit vorzeitig ausgehender Munition à la Libyen. So vertrackt läuft Geschichte, dass eine gefährdete Fraktion auf solche Impotenz ihre Hoffnung setzt, während die andere sie als Verrat erlebt.

Dieser Artikel von Gunnar Heinsohn erschien ebenfalls auf der Seite des publizistischen Netzwerks Die Achse des Guten

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