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Nordföderation!

Wie England die Europäische Union befreien könnte

Angst, bei Abkehr von Brüssel im Nationalismus zu landen, lähmt die EU-Europäer beim Planen ihrer Zukunft. Dabei wird die Sorge über einen neuen Chauvinismus nicht nur von interessierter Seite geschürt, sondern auch von nachdenklicheren Zeitgenossen wirklich verspürt.

Selbst dem britischen «Economist» wird angst und bange, dass beim Ausscheiden Grossbritanniens aus der EU eine isolierte Insel zurückbleibe, deren Exporte von Resteuropa mit hohen Zöllen belegt würden. Dabei wissen die Autoren der Zeitschrift, dass es im Normalfall auch Importe gibt und niemand in Europa gerne einen Markt von über 60 Millionen Konsumenten verlieren würde, bloss um die Briten zu bestrafen.

Im Nachdenken über Londons nächste Schritte bleibt mithin auch der «Economist» merkwürdig national beschränkt. Er schaut bei einem Neuzuschnitt Europas ganz vorrangig auf die Vor- und Nachteile für das Vereinigte Königreich. Dabei würde ein entschlossener englischer Schritt die Alte Welt regelrecht elektrisieren. Viele, die sich zu klein wähnen, um ihrem Widerwillen gegen das EU-Kommissariat Taten folgen zu lassen, würden plötzlich erkennen, dass es ein Morgen jenseits von Schuldenkollektiv und Kleinstaaterei gibt. Dieses Aufwachen würde den Horizont der britischen Strategen erweitern. Sie würden sehen, dass man sich keineswegs schnöde davonmachen muss, sondern nach passenderen Bindungen Ausschau halten kann.

Nur London kann hier die Richtung weisen. Gewiss könnte auch Frankreich die EU verlassen. Aber wer würde da mitgehen wollen? Bei Deutschlands Abgang würden sich noch ganz andere Fragen stellen.

Denken wir die Sache weiter. Was sollte die Skandinavier noch in der EU halten, wenn England nicht mehr dabei wäre? Norwegen gehört schon jetzt nicht dazu, treibt dennoch freien Handel über die European Economic Area (EEA) und verteidigt seine eigene Währung. Island verfährt bis zu seinen EU-Beitrittsverhandlungen ähnlich und könnte jetzt gleich von Brüssel auf eine Nordföderation umsatteln. Würden sich die Niederlande in der EU noch heimisch fühlen, wenn die nordeuropäischen Gegenpole zur Südschiene nicht mehr dabei wären? Und wie viel besser sähe es für Flandern aus, wenn man sich nicht allein gegen Wallonien, sondern für etwas Neues entscheiden könnte? Auch ein Eigenweg Schottlands verlöre den Geschmack des Eskapismus, weil sich doch alle Betroffenen zwischen Belfast und Cardiff im neuen Staatenbund wiederfänden.

Es sind mithin nicht allein Nationalstaaten, die sich der EU nur noch mit Ingrimm beugen. Gerade in etlichen ihrer Untergliederungen wird der grösste Zorn verspürt. So zahlt etwa das Bundesland Hamburg nicht nur an die Brüsseler Nomenklatura, sondern – über den Länderfinanzausgleich – auch für jahrzehntelange Verschwendungen in Bundesländern wie Bremen, Berlin und dem Saarland. Weil niemand sich vorstellen kann, wie Hamburg alleine gehen könnte, auch die Hamburger selbst nicht, bleibt man da hilflos und missmutig. Aber mitwirken bei einer Föderation mit Skandinavien und den britischen Inseln, ja diesem Raum sogar als Tor zu dienen, öffnete einen Weg, auf dem auch Schleswig-Holstein – mit dem Nordostseekanal als kostbarer Mitgift – mitziehen könnte. Schliesslich war Altona von 1664 bis 1864 schon einmal bei Dänemark.

Vorwürfe, in eine blutteutonische Vergangenheit abzudriften, wären von vornherein abwegig. Denn diese Norddeutschen würden einer grossen Föderation freiwillig als Minderheit angehören. Niemand hätte sie dort zu fürchten. Ihren bürgerlichen Bestrebungen könnten sie ohne Scham und Verunglimpfung nachgehen.

All die erwähnten Länder (Tabelle unten): Das wäre ein Territorium von über 3,8 Millionen Quadratkilometern – globalökonomisch die Nummer vier – mit zehn Sprachen und 120 Millionen Einwohnern, die fast alle Englisch verstehen. Es könnte ein neuer und kulturenreicher Staatenbund werden, der intern Handelsfreiheit verbürgt, sich nach aussen offen hält, aber auf der Respektierung seiner Grenzen besteht.

Wie wichtig Grenzen sind, demonstriert die bisherige EU, wenn sie Zäune in Griechenland baut und Kriegsschiffe vor Lampedusa und Sizilien kreuzen lässt, um die vielen hundert Millionen im Blick zu behalten, die aus Afrika und dem Islamgürtel nur noch weg wollen. Grenzen sind die Bedingung dafür, dass die auch in neuen Räumen weiter vor sich hin alternden Europäer eine aktive Einwanderungspolitik betreiben können. Die darf Könner nicht immer nur entmutigen, indem man sie mit der Versorgung halber Nationen oder eines ganzen Kontinents überfordert.

Da alle Teilnehmer an der Nordföderation – ausser Schweden – schon Mitglieder der Nato sind, wissen sie sich auch als Militärbündnis zu organisieren, das mit dem britischen Nuklearpotential im Rücken auch in der rauheren Welt von morgen kaum erpressbar wäre. Mit ihrer Energieautarkie aus Öl, Gas, Wasserkraft und alsbald Schiefergas ohne Ende entstünde ein gewichtiger Partner für die Friedenskräfte der Menschheit.

Das Brüsseler Regime könnte nach Schaffung einer Nordföderation seiner Agonie nicht lange entkommen. Umgehend verlöre es über die Nettozahler Grossbritannien, Niederlande, Flandern-Belgien, Dänemark, Schweden, Finnland sowie Hamburg/Schleswig-Holstein aus Deutschland rund 7 Milliarden Euro pro Jahr. Diese Rebellen könnten ihre schlanke Gemeinschaftsbürokratie mit einem Bruchteil des so Gewonnenen betreiben und den Rest für ihre bitter notwendige Zukunftssicherung einsetzen. Wer noch zu Brüssel hält, würde entweder noch mehr Geld als je zuvor fordern oder – wie Restdeutschland – jetzt erst recht von der bisherigen Überlastung herunter wollen. Der undemokratische Apparat würde unfinanzierbar und sein Heil in der Flucht suchen.

Noch segensreicher aber könnte sich die Abnabelung des Nordens auf die bisherigen Transfer-Europäer auswirken. Einmal mehr erstaunt der «Economist» durch sein Barmen, dass die nur noch «lethargischer» würden, wenn London nicht weiter mitmachte und ab und an ein bisschen Schwung in den Laden brächte. Natürlich wäre das Heulen über eine egoistische Aufkündigung abendländischer Solidarität laut und anhaltend zu vernehmen. Vor Ort aber würde man sich nach Ausbleiben der geschenkten Fische wieder entschlossen um die viel zu lange vergessenen Angeln kümmern.

Der Anreiz – nach erfolgreich gemachten Hausaufgaben –, an die Nordföderation anzudocken oder einem weiteren Bund – etwa im Alpenraum – zuzustreben, würde all die Selbstheilungskräfte wecken, die momentan durch Schuldenerlasse nur immer mehr in Lähmung übergehen. Statt Racheaktionen der Verlassenen – wiederum vom «Economist» kleinmütig erwartet – gäbe es nicht nachlassende Anstrengungen und alsbald Bewerbungen für einen Beitritt zum Klub. Am Ende könnte ein beträchtlicher Teil Europas von neuem zusammenkommen – nicht unter einer Megabürokratie, sondern in einem Bund der Freien. Die hätten gelernt, dass auf die ethnische Eigenbrötelei von gestern keineswegs ein «Europa über alles» folgen muss.

Die kleine Schweiz mit ihren vier Sprachkulturen weiss das schon seit Jahrhunderten.

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