«Noch sind wir in der Schweiz in einem liberaleren Umfeld»
Der politische Druck nimmt zu, den Salz-, Fett- oder Zuckergehalt von Produkten zu regulieren. Der CEO von Zweifel Pomy-Chips wehrt sich dagegen und setzt auf die Macht der Konsumenten.
Herr Harlacher, noch im Februar 2020 vermeldete Zweifel ein weiteres Rekordergebnis bei den Umsätzen. Wie ist die Firma nun von der Coronakrise betroffen?
Wir beliefern normalerweise die Hotellerie, die Gastronomie, Vereine, Snackstände, Ausflugsorte – all diese Kunden können wir derzeit nicht mehr bedienen. Supermärkte und Tankstellen erhalten natürlich weiterhin unsere Produkte, und im Detailhandel legen wir sogar zu – in der Summe setzen wir eher grössere Mengen ab. Dies auch, weil die Bewohner der etwa 3,8 Millionen Haushalte jetzt mehrheitlich zu Hause sind, dort ihr Mittag- und Abendessen einnehmen und zwischendurch auch snacken. Im operativen Geschäft haben die vom Coronavirus ausgelösten Weisungen des Bundesrats unsere Organisation, die Prozesse und Produktion deutlich verändert, was einen besonderen Einsatz unserer Mitarbeitenden erforderte. Glücklicherweise blieben wir alle bisher von einer Ansteckung mit dem Coronavirus verschont.
Wer Gewicht abnehmen will, sollte nicht zu Chips greifen. Bestätigen oder dementieren Sie das?
Wie bei allem ist es eine Frage der Dosis, da bin ich ganz bei Paracelsus. Wer auf seine Gesundheit achtet, darf gut zwischendurch Pommes Chips essen, so wie er zwischendurch Schokolade, Käse, Wein oder Softdrinks konsumiert. Viele Leute essen gerne Pommes Chips, wissen aber gleichzeitig auch, dass sie nicht zu viel davon zu sich nehmen sollen. Der bewusste Genuss soll beim Konsum im Vordergrund stehen.
Was für Reaktionen erhalten Sie denn auf Ihre Produkte?
Ich staune oft über die vielen, auch emotionalen Rückmeldungen unserer Kunden. Ein Beispiel: Wir drucken ja – weltweit einzigartig – auf jeder Packung Chips ab, von welchem Bauernhof die Kartoffeln stammen. Die Kartoffeln für diese Packung hier (er nimmt eine Packung zur Hand) kommen von Christine Studer in Zuzwil im Kanton Bern. Im langjährigen Durchschnitt sind über 95 Prozent der von uns eingesetzten Kartoffeln aus der Schweiz. Trotzdem gibt es Situationen, in denen zu wenig Schweizer Kartoffeln für die Produktion zur Verfügung stehen, und dann gibt es Kunden, die nachfragen, warum kein Schweizer Bauer auf der Packung stehe. Aber schlechte Ernten können nun mal vorkommen. Kartoffeln sind ein Naturprodukt und der Ernteertrag ist stark witterungsabhängig.
Und Rückmeldungen zu gesundheitlichen Auswirkungen?
Die kommen hauptsächlich von Konsumentenschutzorganisationen. Sie üben Druck aus, bilden Interessengruppen und instrumentalisieren Politiker, bis das allenfalls in eine Initiative mündet, ein neues Gesetz oder eine neue Präventionsmassnahme entsteht. Politiker nehmen diese Vorlagen oft dankbar auf, schliesslich sieht sich jeder Konsument gerne geschützt. Noch sind wir in der Schweiz in einem liberaleren Umfeld. Der Druck nimmt aber zu, Regulierungen nachzuvollziehen, die von Regierungen und Verwaltungen in Brüssel ausgegangen sind.
Wie stehen Sie zu Zucker- und Fettsteuern?
Lenkungsmassnahmen sind nicht per se negativ, denken wir an die CO2-Lenkungsabgabe. Die gewonnenen Mittel müssen aber unbedingt zweckgebunden eingesetzt werden, und nicht, um irgendwo ein Finanzloch zu stopfen. Ähnlich könnte man bei Zucker, Fett und Tabak argumentieren, aber das gilt natürlich immer nur dann, wenn es übermässig konsumiert wird. Und da sind wir sofort wieder bei der Eigenverantwortung des einzelnen: Eigentlich haben wir Konsumenten enorm viel selbst in der Hand mit unserem Verhalten.
Ja, fast alles!
Würde die breite Masse massvolles Verhalten nicht nur artikulieren, sondern auch im täglichen Gebrauch konsequent ausüben, wäre vieles nicht notwendig. Fragt man Menschen vor dem Laden, ob sie für Tierschutz und nachhaltige Produktion seien, sagen fast alle Ja. An der Theke aber greifen dann doch viele beispielsweise zum billigsten Pouletfleisch und nicht zum ausgewogen gefütterten Schweizer Biohuhn mit viel Auslauf. Ein einleuchtendes Erlebnis zur Dissonanz zwischen Aussage und Verhalten hatte ich, als ich vor vielen Jahren bei Coca-Cola arbeitete: Es ging um die Einführung der Aludose in der Schweiz, und eine von uns durchgeführte Befragung zeigte, dass insbesondere Junge die Aludose aus ökologischen Gründen für völlig unangebracht hielten. Als Coca-Cola die Dose dann einführte, waren es dann aber die Jungen, die sie hauptsächlich kauften. Unser Hauptproblem ist die Nichtkonsequenz! Würden Menschen konsequent ausüben, was sie beabsichtigen, gäbe es weniger Notwendigkeiten für Einschränkungen.
Wiederum kann man feststellen, dass sich die allermeisten völlig vernünftig verhalten. Ich kenne niemanden, der jeden Abend drei Packungen Pommes Chips isst.
Zwischen medial vermittelter und tatsächlicher Realität verläuft ein Graben. Geht es um das Thema Fett und Zucker, zeigen die Medien gerne ein dickes Kind vor dem Fernseher mit einem Süssgetränk und einer Packung Chips. Dadurch wird ein Klischee bedient. Ich sage damit nicht, dass es solche Fälle nicht gibt, aber es sind wenige und bei ihnen ist das Problem oft vielschichtig und teilweise in der Familie, der Lebenssituation oder bei der fehlenden Bewegung zu suchen.
«Unser Hauptproblem ist die Nichtkonsequenz!
Würden Menschen konsequent ausüben, was sie beabsichtigen,
gäbe es weniger Notwendigkeiten für Einschränkungen.»
Wie viel Chips werden denn gegessen?
Der Konsum von Chips und Snacks in der Schweiz beläuft sich pro Kopf und Jahr auf 1,4 Kilogramm. Eine Person verzehrt also im Monat durchschnittlich etwas mehr als eine 100-Gramm-Packung.
Mir fällt auf, dass die Erwartungen an produzierende Unternehmen ständig ansteigen: Nun sind nicht mehr nur einwandfreie Produkte gefragt, sondern auch ein moralisches Verhalten. Wie gehen Sie damit um?
Wir achten darauf, woher unsere Rohstoffe kommen und wie wir mit unseren Partnern umgehen. Etwas aus einer Selbstverständlichkeit heraus zu tun, ist ein wirklicher Wert. Moralische und ethische Werte im Unternehmen zu vertreten und zu leben, erachte ich als wichtig.
Wie hat sich die Diskussion auf das Produkt ausgewirkt: Haben Sie bei der Herstellung etwas geändert? Streuen Sie beispielsweise weniger Salz auf die Chips?
Vor drei Jahren haben wir von Sonnenblumenöl auf Schweizer Rapsöl und beim Salz auf Schweizer Alpensalz der Saline de Bex umgestellt. Den Salzgehalt der Chips und Snacks konnten wir in den letzten Jahren leicht reduzieren. Was wir zudem anbieten, sind Chips und neue Produkte auf Bohnenbasis mit etwa 40 Prozent weniger Fettanteil. Den Salzgehalt oder den Fettanteil zu reduzieren, ist eine Gratwanderung bei unseren Produkten, denn beides sind auch Geschmacksträger. Natürlich könnten auch wir sogenannte «Low Salt Chips» anbieten. Der weltweite Marktanteil dieser Produkte ist jedoch verschwindend gering. Wichtig ist auch, den Salzgehalt in Relation zu sehen: Konsumieren Sie Chips, die sensorisch als stark salzhaltig wahrgenommen werden, nehmen Sie damit weniger Salz auf als mit Brot, bei dem das Salz in den Teig eingearbeitet ist und in deutlich höheren Mengen konsumiert wird.
Was sagen Sie dazu, wenn sich der Staat, beispielsweise mit Informationskampagnen, aufschwingt, darüber zu richten, was der einzelne Bürger konsumiert? Soll das nicht die Freiheit des Bürgers bleiben?
Das ist die Freiheit des Bürgers. Indem er sich konsequent verhält, hat er es in der Hand, dafür zu sorgen, dass niemand anders in Versuchung kommt, für ihn Entscheidungen zu fällen.
Die Konsumentenschutzorganisationen üben doch aber durchaus Druck aus.
Nehmen wir das Ampelsystem, das von Konsumentenschutzorganisationen in Europa entwickelt wurde, die der Ansicht waren, man müsse den Konsumenten noch besser schützen. Konsumentenschutzorganisationen, Firmen und die Verantwortlichen für Gesundheit in Regierung und Verwaltung haben sich hier gegenseitig angetrieben, so dass heute mehrere Systeme bestehen, die miteinander konkurrieren. Es ist davon auszugehen, dass wir diese in ein paar Jahren auch in der Schweiz haben werden. Nicht weil es das BAG so wollte, sondern weil sie sich im europäischen Umfeld etabliert haben und so auch für uns unumgänglich werden.
«Geht es um das Thema Fett und Zucker,
zeigen die Medien gerne ein dickes Kind vor dem Fernseher
mit einem Süssgetränk und einer Packung Chips.»
Wie ist die aktuelle Gesetzeslage – was alles muss zwingend auf eine Packung Chips?
Zwingend aufgeführt werden müssen Sachbezeichnung, Zutatenliste, Nährwertdeklaration und das Haltbarkeitsdatum. Aus freien Stücken drucken wir zudem informative Icons (für Veganer, laktosefrei, glutenfrei).
Wird es dereinst eine Situation geben, in der das BAG sagt: «Diese Chips haben so viel Fett und Salz drin: Wir verbieten sie im Sinne des Konsumenten und Kunden»?
Dass das in den nächsten zwanzig Jahren so passiert, erachte ich als unwahrscheinlich.
Es wird also weiterhin erlaubt sein, Chips zu essen?
Da habe ich keine Bedenken! Lenkungssteuern wie eine Zucker- oder Fettsteuer könnten aber entstehen und unsere Produkte verteuern. Eine Zuckersteuer wurde letzten Herbst im Ständerat debattiert. Auch in den Kantonen Wallis oder Neuenburg wurden ähnliche Initiativen lanciert.
Was halten Sie von Werbeverboten? Singapur hat 2019 das Bewerben von stark zuckerhaltigen Getränken untersagt.
Die Kommunikations- und Werbefreiheit ist ein Grundprinzip einer freien Wirtschaft und auch eine wichtige Voraussetzung für die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Schweiz. Als Präsident des Schweizerischen Werbeauftraggeber-Verbandes setze ich mich für die Werbefreiheit ein, notabene für Produkte, die legal verkauft werden können.
Welche Regulierungen im Betrieb belasten Sie?
Mehr als unter Regulierungen leiden wir unter dem zunehmenden Zertifizierungsdruck. Das Problem dabei ist, dass der Aufwand für eine Zertifizierung stark ansteigt. Zertifikaten liegt ja eigentlich eine gute Idee zugrunde: Detailhändler können von ihren Lieferanten verlangen, dass diese nach gewissen Richtlinien zertifiziert werden, damit sie weniger Aufwand für Kontrollen haben – schwarze Schafe können so identifiziert werden. Nur hat sich das Zertifizieren mittlerweile zu einem lukrativen Businessmodell entwickelt, das ständig ausgebaut wird. Was inzwischen alles zertifiziert wird, ist aus meiner Sicht zu umfassend: Neben den Produktionsbedingungen und -abläufen werden ganze Managementprozesse und Strategiedokumente diskutiert und beurteilt. Wie oft werden eigentlich Journalisten zertifiziert?
Zum Glück nie!
Qualitätsjournalismus müsste doch auch zertifiziert werden. Wenn Journalisten nach der Anzahl Klicks bezahlt werden, ist das doch ein Thema.