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Nieder mit den Barrieren!

Nieder mit den Barrieren!

Man soll Frauen nicht wie Kinder behandeln. Aber egalitäre Rahmenbedingungen schaffen, damit sie ihr Wissen und ihre Fähigkeiten einsetzen können.

 

In der Februar-Ausgabe des «Schweizer Monats» schrieb Nicole Ruggle über die Infantilisierung der Frau. Während sie wichtige Beispiele für politische Heuchelei der feministischen Bewegung nennt, liegt sie mit ihrem Denkbild der Infantilisierung und des Opfer­feminismus gänzlich falsch.

Sie plädiert dafür, dass sich Frauen mehr Können und Fachwissen aneignen sollen, um Eigeninitiative zu ergreifen und auf den Schutz des väterlichen Staates zu verzichten. Was sie dabei vergisst: Frauen verfügen bereits hierüber. In der Schweiz erhalten seit 2008 mehr Frauen ein Bachelordiplom einer universitären Hochschule als Männer. Dieses Bild zeichnet sich im ganzen EU-Raum ab: Mehr als 45 Prozent der 30- bis 34jährigen Frauen haben einen Hochschulabschluss – zehn Prozent mehr als Männer. Ihr Prozentsatz übersteigt in allen Staaten denjenigen der Männer.1

Am nötigen Fachwissen kann es also nicht liegen. Vielmehr legen zahlreiche Studien nahe, dass die Rahmenbedingungen Männer begünstigen. Beispielsweise ist das klassische Einstellungsverfahren innerhalb von Männerdomänen ungeeignet für Frauen, da vor allem die Hochqualifizierten den Wettbewerb ­gegen Männer scheuen – und das aus gutem Grund, denn sie haben immer noch mit Widerständen und Sympathieverlusten zu rechnen. Schwächt man den Wettbewerb durch «Soft Quotas» oder fokussierte Losverfahren ab, treten erheblich mehr hochqualifizierte Frauen in den Wettbewerb um eine Stelle ein. Das haben mehrere empirische Studien herausgefunden, unter anderem eine von uns durchgeführte.2

Nun könnte argumentiert werden, dass sich Frauen zwar Wissen aneignen, jedoch das falsche. So studieren immer noch weniger Frauen als Männer so­genannte MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) und Wirtschaftswissenschaften3 – Bereiche, die anderen Studienrichtungen bezüglich Geltung und Lohn überlegen sind, weil sie von Männern dominiert werden. So wie hochqualifizierte Frauen den beruflichen Wettbewerb gegen Männer scheuen, tun sie dies auch in ihrer Ausbildung, was sie mehr als Männer hindert, Eigeninitiative zu ergreifen. Beides rechtfertigt den von Ruggle diffamierten Schutz des «väterlichen Staates», um hier für egalitäre Rahmenbedingungen zu sorgen.

Ein weiteres Hindernis für die Gleichstellung ist die tief verankerte Idee «traditioneller» Geschlechterrollen, wie eine Umfrage der Zeitschrift «Annabelle» mit dem Forschungsinstitut Sotomo ergeben hat. Demnach befürwortet die Mehrheit der Deutschschweizerinnen ein Familienmodell, in welchem die Frau weniger arbeitet als der Mann. Dass zudem auch vollzeiterwerbstätige Frauen angeben, im Haushalt mehr zu leisten als ihre Partner, ­offenbart: Auch Männer denken in «traditionellen» Rollenbildern. Diese Erkenntnis wird durch eine Studie prominenter Ökonominnen4 unterstützt, welche zeigt, dass Frauen mehr Zeit für Haushaltsarbeiten aufwenden, sobald sie mehr als ihre Männer verdienen. Zudem legen zahlreiche Studien nahe, dass die Scheidungswahrscheinlichkeit steigt, sobald eine Frau mehr als ihr Mann ­verdient. Falls es frau also trotz allen Erschwernissen schafft, die Karriereleiter hochzuklettern, wird sie zu Hause mit weiteren Schwierigkeiten konfrontiert. Vermutlich ist das von Ruggle vorgeschlagene Verhandeln am Familientisch deshalb leichter ­geschrieben als getan. Zudem schwächt eine inkonsistente Argumentation ihre Sichtweise: Einerseits müssten Frauen nach Ruggle mehr Können erwerben, andererseits dieses anscheinend noch nicht vorhandene Wissen dann aber anwenden, um «am Familientisch genauso hart zu verhandeln wie beim Jobinterview».

Nochmals: Der Feminismus möchte die Emanzipation weder künstlich forcieren noch zwangsgewährleisten, sondern institutionelle Barrieren beseitigen, damit Frauen ihr Wissen endlich einsetzen können. Ebenso wichtig ist, dass sie sich ihr Wissen in Männerdomänen ohne Antizipation von Geringschätzung aus­suchen können. Und wer sagt dann, dass der Zuwachs an Produktivität die Kosten der Gratis-Kitaplätze nicht wettmacht?

  1. https://www.destatis.de/Europa/DE/Thema/Basistabelle/BildungKultur.html

  2. Joël Berger, Margit Osterloh und Katja Rost: Focal Random Selection Closes the Gender Gap in Compe­titiveness. In: Science Advances, 6 (2020). https://­advances.sciencemag.org/content/6/47/eabb2142.full

  3. https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/­bildung-wissenschaft/personen-ausbildung/­tertiaerstufe-hochschulen/universitaere.html

  4. Marianne Bertrand, Emir Kamenica, Jessica Pan: Gender Identity and Relative ­Income within Households. In: The Quarterly Journal of Economics, 130 (2015), S. 571–614

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