Nicht auf den Staat warten
Die steuerliche Begünstigung von Stiftungen ist für die Gesellschaft ein gutes Geschäft. Auch inhaltlich liefern sie wichtige Impulse.
Eine Brandrede des niederländischen Historikers und Journalisten Rutger Bregman am World Economic Forum vom Januar 2019 wurde international stark beachtet. Das Video aus Davos ging viral, wie man schon vor der Pandemie zu sagen pflegte. In einer Diskussion über die ungleiche Verteilung des Reichtums sagte Bregman:
«Ich komme mir vor wie auf einer Feuerwehrkonferenz, auf der niemand über Wasser sprechen darf. Hört einfach auf, über Philanthropie zu reden, und fangt an, über Steuern zu reden. […] Wir können Bono noch einmal einladen, aber wir müssen über Steuern reden. Darum geht es. Steuern, Steuern, Steuern. Alles andere ist meiner Meinung nach Bullshit.»
Gemäss Bregman gibt es nur eine Massnahme, die nachweislich dazu beitrage, die materielle Ungleichheit verringern zu können: Steuererhöhungen für wohlhabende Leute, die sich an Orten wie Davos treffen.
Dient Philanthropie primär der Steuervermeidung, und ist sie deshalb sogar schädlich für die Allgemeinheit? Diese Fragestellung haben der Verband der Schweizer Förderstiftungen, SwissFoundations, und die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PWC 2019 aufgenommen und die finanziellen Folgen von Förderstiftungen untersucht. Ihre Studie «Stiftungen – ein gutes Geschäft für die Gesellschaft» scheut sich denn auch nicht, über Steuern zu reden – solche, die bezahlt werden, und solche, die nicht bezahlt werden. Im Kern der Analyse stehen verschiedene Modellrechnungen. Sie errechnen, wie viele Steuern dem Schweizer Staat durch die Gründung einer Förderstiftung entgehen.
Steuerfranken vs. Stiftungsfranken
Dass der Staat aufgrund einer Stiftungsgründung weniger Mittel einnimmt, ist im Schweizer Steuerrecht beabsichtigt. Wie praktisch alle anderen westlichen Demokratien bietet auch die Schweiz ihren Bewohnern die Möglichkeit, Geld direkt an gemeinnützige Organisationen zu geben und im Gegenzug weniger Steuern abzuliefern – in der Überzeugung, dass hiermit ein gesellschaftlicher Mehrwert entsteht. Damit wird, so die Überlegung, ein Geldstrom gefördert, der andernfalls nicht dem Gemeinwohl zugeflossen wäre.
Die Studie stellt der Stiftungsgründung verschiedene Varianten der privaten Nutzung des Geldes gegenüber – eine Anlage am Kapitalmarkt oder die Gründung einer Investmentgesellschaft. Sie geht als Grundannahme davon aus, dass ein Steuerfranken einem von einer Stiftung ausbezahlten Franken gleichgesetzt werden kann; eine Annahme, über die man durchaus diskutieren kann. Klar ist aber: In der Schweiz sind nur Stiftungen, die gemeinnützige Zwecke verfolgen, steuerbefreit. Kapital und Gewinn einer Stiftung dürfen ausschliesslich für den in der Stiftungsurkunde definierten Zweck verwendet werden. Zentral ist dabei, dass der Empfängerkreis offen und nicht auf wenige Personen begrenzt ist.
Im Schweizer Stiftungsrecht ist der Rückfluss des Vermögens an die Stifterin oder den Stifter grundsätzlich ausgeschlossen. Wird eine Stiftung aufgelöst, fliessen die restlichen Mittel an eine andere gemeinnützige Organisation mit ähnlichen Zwecken. Schweizer Stiftungen werden gleich von zwei staatlichen Behörden kontrolliert – der Aufsichts- und der Steuerbehörde.
«Gemeinnützige Stiftungen können sich Themen und Anliegen widmen,
derer sich der Staat nicht oder nur zum Teil annehmen kann,
etwa im Bereich der wissenschaftlichen Forschung.»
Die Gesellschaft profitiert
Was sind die Erkenntnisse der Untersuchung? Sie kommt zum Schluss, dass die Gesellschaft viel stärker profitiert, wenn Privatpersonen ihr Geld in eine Förderstiftung einbringen, als wenn sie das Geld behalten und Steuern zahlen – eine bemerkenswerte Tatsache. Die Vergleichsmodelle zeigen auf, dass Stiftungen weitaus mehr Mittel ausschütten, als der Staat durch die Besteuerung der entsprechenden, privat angelegten Mittel erzielen könnte.
Gemeinnützige Stiftungen können sich Themen und Anliegen widmen, derer sich der Staat nicht oder nur zum Teil annehmen kann, etwa im Bereich der wissenschaftlichen Forschung. In der Studie heisst es: «Sie sind flexibel, verstehen sich als Brückenbauer und soziale Innovatoren. Sie können erhöhte Risiken tragen und neue Ideen anschieben, die mithelfen, eine gemeinsame Zukunft zu gestalten.»
Vor allem im Jahr der Errichtung der Stiftung können Stifter in der Schweiz eine deutliche Steuerersparnis verbuchen und bis zu 20 Prozent ihres steuerbaren Einkommens abziehen – bei den direkten Bundessteuern, bei Kantons- und Gemeindesteuern. Trotz dieser signifikanten Erleichterung – auch das durchaus überraschend – profitiert die Allgemeinheit in den meisten Fällen schon nach kurzer Zeit von einer Stiftung. In der Praxis erreicht das Stiftungsmodell seinen Break-even innerhalb eines Monates bis maximal eineinhalb Jahren. Das Fazit der Studie: «Ab diesem Zeitpunkt ist die Stiftung für die Gesellschaft nur noch ein gutes Geschäft.»
Durch ihre Autonomie in der Mittelvergabe hätten Stiftungen die Möglichkeit, innovative und noch nicht erprobte Lösungsansätze zu gesellschaftlichen Problemen zu finanzieren, schrieben Georg von Schnurbein und Steffen Bethmann in «Philanthropie in der Schweiz» 2010. Philanthropie finde sich in allen gesellschaftlichen Sektoren und bilde einen elementaren Beitrag zu einer funktionierenden Zivilgesellschaft. «Jede Gesellschaft profitiert von den philanthropischen Handlungen ihrer Mitglieder», schreiben Schnurbein und Bethmann. Das ausgeprägte freiwillige Engagement in der Schweiz sei das Zeichen einer starken Zivilgesellschaft, die nicht den Staat als Wohlfahrtsproduzenten in der alleinigen Verantwortung sehe.
Aktion statt abwarten
Die Grössenverhältnisse sind dennoch zu beachten, wie es sich in der Coronakrise erneut gezeigt hat: Während Stiftungen Hilfsfonds in der Höhe von einigen Millionen bereitstellten, gab der Schweizer Staat Milliarden aus. Im «Schweizer Stiftungsreport 2021» heisst es deshalb in diesem Zusammenhang: «Stiftungen können Zeichen setzen, aber sie können niemals den Staat ersetzen.» Die Studie «Stiftungen – ein gutes Geschäft für die Gesellschaft» betont dagegen, dass Stiftungen Ausdruck des freiwilligen Engagements der Bürger für das Gemeinwohl seien. «Sie sind ein pluralistisches Element in einer Gesellschaft, in der bei anstehenden Themen nicht primär auf das Eingreifen des Staates gewartet wird.»
Vor diesem Hintergrund, so kommt die Studie zum Schluss, sei es weiterhin sinnvoll, dass der Staat gemeinnützigen Stiftungen und deren Stiftern steuerliche Privilegien einräume. Damit zeigt sich: Der Verband der Schweizer Stiftungen hat keineswegs Angst davor, an der Feuerwehrkonferenz über Wasser zu reden. Dass aber Stifterinnen und Stifter Einfluss nehmen können, wie ihr Geld verteilt wird, macht die Feuerbekämpfung insgesamt nicht schwächer, sondern flexibler – und letztlich schlagkräftiger.
Die Studie «Stiftungen – ein gutes Geschäft für die Gesellschaft» ist hier verfügbar.