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Nationalstolz: Inspiation Deutschland

Ich hatte während der Fussball-WM ein eindrückliches Erlebnis in einer Berliner Beiz, als vor dem Final ein deutscher Kollege neben mir aufstand und die Nationalhymne inbrünstig mitsang. Auf Nachfrage gab er an, dass für ihn als ehemaligen DDR-Bürger die Hymne für den Mauerfall und die neue, grenzenlose Freiheit stehe und für Gänsehaut sorge. In den […]

Ich hatte während der Fussball-WM ein eindrückliches Erlebnis in einer Berliner Beiz, als vor dem Final ein deutscher Kollege neben mir aufstand und die Nationalhymne inbrünstig mitsang. Auf Nachfrage gab er an, dass für ihn als ehemaligen DDR-Bürger die Hymne für den Mauerfall und die neue, grenzenlose Freiheit stehe und für Gänsehaut sorge.

In den letzten Jahrzehnten ist ein deutsches Selbstbild entstanden, das auf den Ereignissen der jüngeren Geschichte des Landes beruht. Ich überlege, wie es diesbezüglich in der Schweiz aussieht. Unser National­gefühl ist geprägt von Ereignissen, die Jahrhunderte zurückliegen. Wilhelm Tell, der den Gesslerhut nicht grüssen wollte, grüsst immer noch aus zahlreichen Politikerreden. Die wehrhafte Standhaftigkeit gegen das Habsburger Reich, Nazideutschland, den Kommunismus – und neuerdings die EU – ist das bestimmende Motiv. Die heiligen Kühe der Schweiz (Souveränität, Neutralität, direkte Demokratie) sind vollumfänglich von der SVP besetzt. Als Gegenreaktion machen die anderen Parteien den Fehler, diese zur Schlachtbank führen zu wollen: Sie versuchen, eine Schweiz zu erzählen, die ohne Geschichte auskommt. Die Schweizer jedoch sind stolz auf ihre Tradition und Werte – und vertrauen deshalb mangels Alternativen dem
rückwärtsgewandten Geschichtsverständnis der SVP. 

Es ist nun höchste Zeit, dass wir uns zusammen­­setzen und mit der Unterstützung von Historikern ein gut vermittelbares geschichtliches Narrativ für eine fortschrittliche Politik freisetzen.

Dafür müssen wir auch die heiligen Kühe kidnappen; es gibt nichts Patriotischeres, als sich für eine Schweiz einzusetzen, welche die in den letzten 150 Jahren aufgebauten Stärken, Freiheiten und Standortvorteile nutzt.

Wer deshalb am 12. September (1848) statt am 1. August unserer Freiheit gedenkt, erzeugt – zumindest bei mir – Gänsehaut.

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