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Nacht des Monats mit Zora del Buono
Zora del Buono, fotografiert von Vojin Saša Vukadinović.

Nacht des Monats mit Zora del Buono

Auf der Suche nach dem Café Turc.

 

Es war einer der grossen literarischen Erfolge der Schweizer Literatur 2020: Zora del Buonos Roman «Die Marschallin», der vom bewegten Leben ihrer gleichnamigen Grossmutter erzählt. Viel gelobt vom deutschsprachigen Feuilleton, ist dieses eindrucksvolle Familien- und Politpanorama, das insbesondere die Zeit zwischen Erstem und Zweitem Weltkrieg beleuchtet und von Italien ausgehend Abstecher in diverse Richtungen unternimmt, zugleich eine Geschichte nicht mehr existierender Staaten, Konflikte wie Überzeugungen: Hoffnungen und Tragödien des 20. Jahrhunderts trafen im Leben der titelgebenden Protagonistin aufeinander.

Es liegt nahe, ein nächtliches Treffen mit der Autorin diesem Erfolg zu widmen. Wir entscheiden uns allerdings für etwas anderes. Statt in die Vergangenheit ihrer weit verzweigten Familie tauchen wir in Zoras eigene ein – genauer gesagt: in ihre Jugend. Das klingt einfacher, als es ist, denn bekanntlich hat sich Zürich in den letzten Jahrzehnten enorm verändert, und von den Schauplätzen, die für die einstige Heranwachsende wichtig waren, ist kaum etwas geblieben.

Damals, in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre, war der Kreis 1 ein Sehnsuchtsort für all jene, denen die übrigen Quartiere zu klein und zu beengend waren (vom Rest des Kantons und der Schweiz als Ganzes gar nicht erst zu sprechen). Kleenex galten gerade als aufregendste Band der Stadt, die Alternativszene hing am «Riviera» gerufenen Areal am Bellevue ab, und neben dem noch immer existierenden «Odéon» war das Café Maroc – zärtlich «Marökkli» gerufen – eine feste Anlaufstelle. Bis dann mit den Jugendunruhen 1980 eine radikale Zäsur einsetzte, für die TNT, eine weitere örtliche Punkband, mit «Züri brännt» den Song zur Stunde parat hatte, was Zora übrigens gern als einen gewichtigen Moment in ihrer Sozialisation ausweist. Ihr Lieblingsort war zu jener Zeit das Café Turc gewesen. Dass an dieses nichts mehr erinnert, nehmen wir zum Anlass, um es ausfindig zu machen. Selbstredend ohne Wegweiser.

Wir treffen uns am Bahnhof Stadelhofen. Während wir uns von dort in Richtung Altstadt bewegen, schiebt sich Hund Mica, legal aus Italien in die Schweiz eingewandert, regelmässig zwischen uns. Zora erzählt derweil gerafft von sich, rückwärts von der «Marschallin» über die bis heute existierende Zeitschrift «mare», die sie 1996 mitgegründet hat, über das Leben zwischen der Eidgenossenschaft und West-Berlin, schliesslich über ihr Architekturstudium an der ETH und das Aufwachsen in Zürich.

Am Schiffländeplatz beginnen wir mit der Suche. Eine Gasse nach der nächsten, rauf und runter, Mica stets voran. «Hier vielleicht?», fragt sich Zora – und reicht mit «Nein, es muss woanders gewesen sein» die Antwort gleich nach. Die Erinnerung legt falsche Fährten: War es denn nicht doch in der Ankengasse? Unwahrscheinlich. Schoffelgasse? Auch nicht.

Dann, in der Kirchgasse, meint sie, den einstigen Ort ausfindig gemacht zu haben. Wir stehen vor einem Laden, an dem nichts an die bewegten Zeiten erinnert: Ins Schaufenster blickend überlegt Zora deswegen zunächst laut, ob sie hier wohl richtig liegen mag. Ein Mitarbeiter des Nachbargeschäfts, der uns zufällig hört, bestätigt: Ja, an dieser Stelle befand sich einst das Café Turc. Prompt beginnt Zora, von diesem zu erzählen. Plüschig und dunkel sei es darin gewesen, also von jener Sorte schummriger Gemütlichkeit, von der für Jugendliche eine besondere Anziehungskraft ausgeht – vor allem, weil die Versprechungen des Erwachsenenlebens hier darauf gewartet hatten, entdeckt zu werden. Dass eine gewisse Zürcher Elterngeneration Skepsis gegenüber diesem Ort angemeldet hatte, befeuerte den Wunsch, ihn aufzusuchen. 1980 folgte die Revolte gegen die nicht enden wollenden Ermahnungen.

Für einen kurzen Moment flammt die von jungen Menschen geschriebene Zürcher Lokalhistorie nochmals als Teil der Geschichte des 20. Jahrhunderts auf. Nostalgisch wird Zora gleichwohl nicht. Zu erzählen ist schliesslich wichtiger, als etwas nachzutrauern. Darüber freuen wir uns, ganz gegenwärtig, wie Erwachsene.

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