Nacht des Monats mit Werner Tobler
«Gibt es etwas, das Sie nicht mögen?», fragt Cuisinier Werner Tobler, nachdem wir uns gesetzt haben. «Chefkoch», überlege ich, klingt nach Discount. Unpassend in einem Restaurant, wo die Schere zwischen Arm und Reich für einmal hummerrot ist und in einem mächtigen Topf voll heisser Brühe vor sich hindümpelt. Drum herum blitzt und blankt es. Wären die Türen zur Küche weiter geöffnet, wäre also die Zugluft stärker, so würden die beinahe einhundert hängenden Edelstahlkellen wohl eine Art Glockenspiel abgeben, dann womöglich fein orchestriert von Werners Cuisinierhänden, die gleichzeitig auch noch Teig kneten, brutzelndes Fleisch wenden und feinste Kräuter von kleinen Büschlein zupfen. Bloss, um damit das Spektakel auf den Tellern in nächster Potenz zu verfeinern. Urs, meine Begleitung, winkt jedenfalls ab. «Kein Fisch.» Ich weiss, dass Werner Tobler sicher zu maritimen Gaumenspässchen aufgelegt wäre, allein: heute soll es nichts mit Kiemen oder Flossen sein. «Keine weiteren Auflagen?», fragt Werner skeptisch über seine Brille. Das anschliessende, sonore «Gut» aus dem Mund eines mit 15 «Gault Millau»-Punkten ausgezeichneten Gourmet-Kochs klingt auf seine ganz eigene Art verheissungsvoll. Dann beginnt es.
Hamburgerli von der Königskrabbe auf badischem Spargel an Gemüse-Vinaigrette. Wir sitzen im Restaurant Braui in Hochdorf LU. Genauer: in Werner Toblers Küche, an einem eigens für die Erlebniscuisine («Erlebnisgastronomie» klänge auch nach Privatfernsehen…) hierher drapierten Holztisch, auf dem uns sieben Gänge serviert werden. An den Pfannen und Töpfen vorbei fliesst leicht geniessbarer Jazz, «manchmal zittern sie aber auch zu AC/DC», wie Werner hinzufügt. Urs hebt das Glas Rheinriesling, «gekeltert nach deutscher Art». Der Wein komme trotzdem, wie alles hier, so ruft Werner aus dem begehbaren Kühlschrank, aus der Umgebung. Und er schmeckt, wie alles an diesem Abend, als sei er von einem anderen Stern.
Werners Mitarbeiter rupfen Salat, legen weichste Läppchen Fleisch in Marinaden und falten ausgewalkten Teig zu Pasta. Alles wortlos, einzig wenn Werner eine neue Bestellung aus dem Restaurant von der Pinnwand nimmt, bewegen sich seine Mitarbeiter zu ihm – «1x Poulet, 1x Säuli, 1x Wiener Schnitzel!» –, um sich dann sternförmig entfernend wieder an ihre Partikularaufgaben zu machen.
Seit 35 Jahren steht der gebürtige Thurgauer vor Pfannen und hinter Öfen. Seit 8 Jahren steht er mit der «Braui» auf eigenen Beinen und trotz eines Rufs, der weit über die Landesgrenzen hinausgeht, nur sehr selten neben sich. «Ich war vielleicht 12 oder 13, als ich wusste, dass ich nichts anderes mehr machen will.» Seine Küchenchefin Fränzi bringt derweil ein Blumentöpfli als dritte Vorspeise. Im Tongefäss: Waldblumen und -kräuter, heute selbst gepflückt. «Wir machen hier keine Nouvelle Cuisine», sagt Werner. «Eine einfache, gute Küche braucht vielleicht zwei Prozent Kreativität. Der Rest ist Freude!», ruft er, am anderen Ende der Küche Fleisch klopfend. Das Unternehmerische erledige seine Partnerin, die er in einem Fastfoodrestaurant in Sarnen kennenlernte. «Meine Rettung», sagt er, denn unternehmerisch tauge er nicht viel. Gitzigigot auf Blanquette von frischen Morcheln, neuen Kartoffeln und Frühlingszwiebeln.
«Warum soll ich bitte Knoblauch aus China kaufen, wenn es hier den besten Knoblauch vor der Haustür gibt? Das ist doch Schwachsinn!», ruft Werner während des Hauptgangs am Telefon. Als ich ihn – eine Abtwiler Weinbergschnecke kauend – nach seinen Prinzipien frage, sagt er: «Alles von hier, soweit möglich. Und beim Fleisch gilt: Tierischen Stress essen wir auf!» Seines kommt deshalb aus einem Luzerner Schlachthof, in den jedes einzelne Tier begleitet wird. Vom Bauern, versteht sich. «So bleiben die Tiere ruhig – und das Fleisch geniessbar.» Tatsache. Ob man aber die Frösche, zu denen diese drei Schenkel auf meinem Teller gehörten, auch auf ihrem letzten Sprung begleitete, bleibt ungewiss.
Vanillesoufflé mit Rhabarber, Bourbon–Vanilleglace und Vanilleschaum. «War gut, nicht?», fragt Werner später, als er sich zu uns setzt. «Alles ausser Fisch», antworte ich lachend. Werner, der Schelm, nimmt seinen «rein dekorativen» Olivenzweig aus der Armtasche und fügt hinzu: «Heute hätten wir eh keinen gehabt.»