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Nacht des Monats mit Stephan Bader

Nacht des Monats mit Stephan Bader

Die Zündtemperatur von Holz liegt – je nach Holz – zwischen 270 und 350 Grad Celsius. Wie stark aber muss man ein mittelalterliches Stadttor erhitzen, damit es in Flammen aufgeht? Einmal im Jahr beschäftigen sich die Liestaler mit ihrem eigenen, ganz grossen Chemiebaukasten – und proben den Stadtbrand mit einem feurigen Fasnachtsfest. Bereits am frühen Abend versammeln sich tausende Schaulustige auf dem Wasserturmplatz, um dem Spektakel beizuwohnen. Neben mir steht Stephan Bader. Der junge Mann mit den wuseldunklen Locken ist mit einigen Freunden aus Berlin angereist. Seine Kollegen haben tatsächlich ein Bierfass mitgebracht und versorgen in diesem Moment die Schaulustigen mit der Starkbier-Braukunst aus dem Norden.

Stephan Bader stammt aus dem benachbarten Lausen. 2003 wäre er als Kandidat der Grünen einmal fast der jüngste Landrat des Kantons Baselland geworden – nur ein Platz fehlte. Hätte es geklappt, wäre er aber wohl nie auf die Idee gekommen, einen Bioladen in Berlin zu übernehmen. «Das war zeitweise meine optimistisch-grüne Grossstadt-Utopie», sagt er – sie scheiterte, nach Berlin ging er aber trotzdem. Neu in der Stadt, ohne Job und nun auch ohne Utopie, kam der Schweizer an einer Bar mit einem älteren Herrn vom Goethe-Institut ins Gespräch. Man redete über dies und das – kurz darauf leitete Stephan ein Hotel, das Hotel des älteren Herrn. «Für ihn war ‹Schweizer› gleich solide. Vor allem in Zeiten der dauerhaften Finanzkrise», sagt Stephan. «Plötzlich meinte er, ich solle doch seinen Betrieb führen – ich, der frischgebackene Bachelor in Soziologie und Politik. Und ich war einfach zu neugierig, um das nicht zu machen.» Der Lausener managt seit nunmehr bald drei Jahren die Geschicke des Art-Hotels Charlottenburger Hof. Und die Freunde, die er heute zum Fest in Liestal mitgebracht hat, sind seine Angestellten. Darauf noch ein fränkisches Starkbier – die Berliner prosten sich zu.

Dann schalten die Liestaler das Licht aus. Es ist stockdunkel in den Gassen, die Menge quittiert mit einem vorfreudigen Raunen. Das nun folgende Winteraustreiben haben die Liestaler «Chienbäse» getauft. Am Abend des Fasnachtssonntags werden aus Föhrenscheiten (ich habe nachgeschaut: entflammen bei ca. 270 Grad Celsius) gebundene, brennende «Besen» durch die Altstadt getragen. Keine zwei Meter von uns entfernt kommen sie den Berg hinunter, die schwersten Exemplare wiegen bis zu 100 Kilogramm. «Das Gefälle vermisse ich in Berlin manchmal», sagt Stephan und schaut dann rasch wieder den schwitzenden, verrussten Feuerträgern zu, wie sie einen Teppich aus glimmender Holzkohle auf dem Pflaster hinterlassen. Als einige Dutzend Träger an uns vorbei und – der optische Höhepunkt – durchs Stadttor gewandert sind, flackert weiter oben ein feurig gelber Schein an den Hauswänden. Ein dunkles Rumoren in der bisher andächtig schauenden Menge. Schon sehen wir einen gigantischen Flammenberg um die Kurve kommen. Funken fliegen, Anwohner verschliessen eilig ihre Fenster. Ein Balrog!

Tatsächlich kommt kein Feuerdämon vom Berg herab, sondern ein metallener Karren, mit Tonnen brennender Föhrenscheite belegt, ein rollendes, haushohes Inferno. Der knisternde Wagen wird langsam von sechs starken Männern gezogen – oder eher: gebremst. «Es wird gleich heiss!», sagt Stephan. Und tatsächlich: direkt vor uns halten die Männer den Wagen an, um sich von der Feuerwehr mit kühlendem Wasser benetzen zu lassen. Die Flammen schlagen in den Nachthimmel, schützend wenden wir uns ab, halten die Hände vor das Gesicht. Eine gefühlte Ewigkeit brennt es vor uns, neben uns – und auf unserer Kopfhaut. So fühlt es sich zumindest an. Dann ein Ruck, das brüllende Ungeheuer setzt sich wieder in Bewegung, wird von der Zugluft auf dem Platz noch einmal kräftig angefacht und macht dann seinen Weg durch das alte Stadttor. «Wenn es einen Grund gibt, aus Berlin nach Liestal zu kommen», sagt Stephan, der nun etwas Russ im Gesicht hat, «dann dieser Anblick. Davon können sich die 1.-Mai-Demonstranten in Kreuzberg eine Scheibe abschneiden.»

Nach vier weiteren Wagen, die durch das Tor rasen, ist das Treiben vorbei. Liestals Wahrzeichen bleibt für einmal stehen. Applaus. Krei­schende Kinder. Lachen. Wir schlendern durch die Gassen und die Fasnachtsgesellschaften, über glimmende Kohlereste und Konfetti. Am Stadtrand kommt uns eine erste Kehrmaschine entgegen. Und um 8.35 Uhr geht für Stephan der Zug zurück in die Ruhe Berlins.

Update: Inzwischen ist Stephan Bader für den «Monat» tätig.

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