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Nacht des Monats mit sieben Freunden und Bekannten

Nacht des Monats mit sieben Freunden und Bekannten
Generation Y, photographiert von Philipp Baer.

Man ist mindestens 30, halbwegs im Job angekommen, kann sich womöglich demnächst auch das «Familien-Ding» vorstellen – und ist trotzdem irgendwie desillusioniert: Echte Politik und einträgliche Geschäfte, so scheint’s, werden stets von anderen für andere gemacht, von Besservernetzten oder Speichelleckern, von Parteisoldaten und PR-Beratern, von denen, die man als Kind schon Scheisse fand.

Generation Golf, Generation Praktikum, Generation X, Y oder Z – keine Ahnung, wo man da dazugehört. Muss, ja soll man überhaupt?

An einem Abend im April treffe ich sieben Freunde und Bekannte aus verschiedenen Kreisen, um herauszufinden, wer oder was wir sind. Alle arbeitstätig, teils in leitenden Positionen, manche mit medial doch anständiger Reichweite. Treffpunkt: Quartierbeiz. Immer gut für die Bodenhaftung, wenn das grosse Bier im Weizenglas kommt und die Speisekarten aus dem hauseigenen Tintenstrahldrucker. Am Tisch sitzen vier Männer und drei Frauen, die in den späten 70ern und frühen 80ern geboren wurden.

Wir diskutieren fast vier Stunden lang. Klar ist: Die demographische Entwicklung, ein baldiges Rentnerheer, wird zunehmend dafür sorgen, dass unsere Freiheiten eingeschränkt werden. Sie wollen Ruhe, Ordnung, Sicherheit. Ihr Bewahrungsdenken wird von Politikern aller Couleur als Wählerpotential geortet – und also kultiviert. Als Minderheit können wir uns zwar Gehör verschaffen, müssen aber zugeben, dass wir den Reichtum nicht geschaffen haben, also leicht reden können, wenn es um seine Verteidigung geht. Und das stimmt. Mit dem goldenen Löffel im Mund geboren, haben wir, wenn man einigen am Tisch glauben darf, den Höhepunkt des Wohlstands schon gesehen. «Prepare for the breakdown», sagt einer. «Postdemokratie!», ruft ein anderer. Eine plädiert zur Abhilfe bei Politikverdrossenheit für mehr Föderalismus. Das stärke nicht nur das eigene Stimmrecht, sondern auch die Verantwortung. Jeder solle ausserdem über das Anlegen eines eigenen Kartoffelackers nachdenken. Nur für den Fall… – Ach Gott, wird Pommes frites kauend eingewandt, die Sache mit der Schweizer Selbstversorgung habe schon mal nicht recht funktioniert, nein gar nicht – vielleicht doch lieber dem technischen Fortschritt vertrauen? Der grösste Irrglaube, dem man anhängen könne, sagt da jemand. Die Idee, für jedes Problem gäbe es mal eine App, sie vernichte täglich so viel Geld wie der Berliner Flughafen in Jahren. Na ja, sagt da jemand, und bestellt noch ein Glas Wein, vielleicht mehr «sinnvolles» Wachstum statt naiver Technikgläubigkeit? Das Naivste sei doch dieser Wachstumsglaube! Es gehe auch ohne, man solle sich besser darauf einstellen. Zumindest in Europa. Der alte Kontinent: eh abgehängt, aufgrund der rückwärtsgewandten Trantütigkeit der letzten Generationen auch vergleichsweise schlecht ausgebildet, streut jemand ein. Zumindest, was die Zukunftsbranchen angeht. Umso schlimmer, dass wir jetzt auch noch die Kontingente hätten. Selbst das, was immer funktioniert habe, die Institutionen im Land, sei damit zu reinen Potentialverwaltungs- und Zukunftspräventionsanstalten geworden. Na! Auch wieder logisch, sagt ein anderer. Probleme, so was hat ja nach landläufiger Lesart eh nur das Ausland. Und wenn man die Ausländer so lang wie möglich draussen halten könne, so habe man auch weniger Probleme. Ein Kontrollstaat sei die Folge, warnt jemand. Überwachung, Zäune und Mauern? Lampedusa! Und gut, dass sie trotzdem kommen, ruft da jemand, seit zigtausend Jahren wandern die Menschen um den Globus, werden immer besser, glücklicher, reicher, zufriedener und friedlicher – wieso sollte das jetzt aufhören? Weil der Zug zu voll ist. Ja sind denn alle verrückt geworden?!

Die Maya wurden nicht glücklicher, sagt jemand.

Nun, eine «Generation» hat sich auch um halb zwölf noch nicht herauskristallisiert. Ich war etwas ratlos. Zwei Tage später dann schreibt Christoph Blocher im «Magazin», dass er sich einzig und allein «der Wirklichkeit» verpflichtet fühle. Und vielleicht macht das ja den Unterschied: Die, die nicht wir sind, glauben an «eine Wirklichkeit», eine daraus ersichtliche Leitkultur, einen «gesunden Menschenverstand». Wir nicht. Wir haben viele Wirklichkeiten, akzeptieren sie. Und sind darauf bedacht, sie einander auch zu lassen. Das ist unser Kapital. Nun muss es nur noch «jemand» nutzen.

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