Wir brauchen Ihre Unterstützung — Jetzt Mitglied werden! Weitere Infos

Nacht des Monats mit Nico Brunner und Joe Kunz

Nacht des Monats mit Nico Brunner und Joe Kunz

Träume vom romantischen Aussteigerdasein auf einer einsamen Insel enden nach euphorischem Beginn nicht selten in einem Blutbad. Mal ist es ein Hai, der die Sezessionisten in Stücke reisst, mal bringen sie sich gegenseitig um. Dass aber das Blut bereits zu Beginn einer – zugegeben: zeitlich auf eine Nacht limitierten – Inselerfahrung fliesst, ist doch mehr als ärgerlich. Nun, schön der Reihe nach:

Hochsommer im Golf von Rapperswil: bei einem Kopfsprung in den Obersee habe ich schmerzhafte Bekanntschaft mit den Wandermuscheln der Insel Lützelau gemacht. Meine Arme, die rechte Bauchseite und meine Fusssohlen sind aufgerissen, ich stehe blutend in der Schlange am Receptionskiosk des hiesigen Campingplatzes, um nach Jod und Verbandszeug zu fragen. Der Herr vor mir – auch noch nass, in Hawaii-Shorts, volles Rücken-, aber lichtes Kopfhaar – schlägt auf die Tischglocke. «Bitte läuten». Steht ja auch drauf. Ruhig bleiben, ist nur ein bisschen Blut. Wenig später verliert er die Geduld, schlägt nochmals drauf und nochmal, dreht sich dann kopfschüttelnd um, sieht meinen Oberkörper und sagt: «Sie bluten.» Ich nicke. Stimmt. Vorlassen will er mich aber nicht, wie es scheint. Dann Tumult im Kiosk. Nico Brunner, bewehrt mit Gummihandschuhen, stürmt durch eine Tür, wirft den sogenannten Scheissestöpsel in einen Eimer, das Handkleid hinterher, setzt ein Lächeln auf und wendet sich dem Herrn an der Glocke zu: «Schön, dass Sie hier sind. Was kann ich für Sie tun?» – «Na endlich. Einmal Fischknusperli, bitte!»

Schnitte und Schürfungen sind bald darauf vergessen, Nico Brunner und Joe Kunz haben mich zusammengeflickt, gemeinsam sitzen wir auf der Kioskveranda und schauen ins Schilf. Nun kann das Inselleben beginnen! Auch der Herr aus der Schlange hat sich wieder beruhigt und sitzt zwei Bänke weiter an seinen Fischknusperli. Die sind übrigens, so Nico, eine lokale Institution. Gleiches soll die ganze Insel Lützelau werden. Gemeinsam haben sich Joe und er 2011 für den Job des Inselpächters beworben. Und den Zuschlag gekriegt. «Seitdem sind wir Schreiner, Maler, Gärtner, Klempner, Putzmänner, Vogelschützer, Köche und Campingwarte in Personalunion», lacht Nico, der nun seine Engelslocken unter einer schwarzen Basecap versteckt.

Die beiden Rapperswiler kennen das Eiland noch aus Kindheitstagen. Damals waren sie Gäste. Nun sind sie Inselpächter, haben ihrem ersten Leben als Atmosphärenphysiker (Nico) bzw. Oberstufenlehrer und Schweizer Kanumeister (Joe) eine Auszeit gegönnt. Der Verkehrsverein von Rapperswil gibt ihnen vor, was und wie hier alles zu pflegen, zu mähen und freizupumpen ist, mehr nicht – eine Pacht, wie es wohl eigentlich für einen Pächter üblich ist, müssen sie für das Betreiben von Campingplatz und Kiosk nicht entrichten. Ein guter Deal, findet Joe. Dass sie ihr geregeltes Leben für mindestens vier Jahre gegen ein mehr oder minder windiges Insulanerdasein eintauschten, war den beiden bei Abschluss des Vertrags klar, unterschätzt haben sie die Insel aber dennoch. «Insel ist Insel, hier ist nichts so wie drüben», meint Nico nachdenklich in Richtung Festland. Und romantisch sei es schon gar nicht: Stille, stundenlang, tagelang. «Ein eigenartiges, unwirklich einsames Gefühl, wenn man hier 24/7 anwesend und eventuell ganz allein ist.» Ade, robinsonsches Insel­paradies?

Sobald die Sonne Leute auf und in den Obersee treibt, ändert sich das Inselbild schlagartig. Aus einem Eiland, auf dem Saisoncampingzelte und ein Kiosk die einzigen Zeugnisse menschlichen Lebens sind, wird eine Freizeitdestination abseits der ausgelatschten Uferpfade: «Da stehen dann am ersten schönen Freitag des Jahres 200 Leute auf dem Steg, wollen essen und trinken – und wir haben 2 Mann in der Küche, die gleichen 2 Mann an der Reception und nochmal die gleichen 2 Mann im Service. Wenn dir dann das Gas ausgeht, hast du keine Zeit mehr, Zürcher Journalisten mit sterilen Pflastern zu flicken», sagt Joe. Die beiden lachen. Offenbar nehmen sie Stille wie auch Stress mit Humor.

»
Abonnieren Sie unsere
kostenlosen Newsletter!