Nacht des Monats mit Min-Uk Kim
Min-Uk Kim und ich treffen uns vor dem Primetower in Zürich-West. Weil ich aus irgendeinem Grund dachte, in diesem aufstrebenden Quartier der Stadt, da müsse sich einer aus Seoul doch wohlfühlen. Eigentlich kommt Min-Uk aus dem Süden Südkoreas, genauer aus Busan, immerhin der zweitgrössten Stadt des Landes, und ist nur für sein Design-Studium in Seoul. Wir streunen durch die Geschäfte in und um Frau Gerolds Garten, klettern auf die Frachtcontainer. Ob er sich auf Zuhause freue, frage ich ihn. Er würde lieber bleiben, meint Min-Uk. Er überlege sich sogar, seinen Master in der Schweiz zu machen, sagt er, aber nicht in Zürich – zu wenig international. Er wolle lieber nach Basel, er habe gehört, dass die Basler ihre Kartoffeln in Deutschland und ihr Baguette in Frankreich kauften.
Ein Semester hat Min-Uk nun hier an der ZHdK absolviert – und genau so lange kennen wir uns: ein Semester. Min-Uk ist nämlich mein Sprachtandempartner. Er bringt mir Koreanisch bei und ich ihm Deutsch. Heute ist unser letzter gemeinsamer Abend, bevor er wieder abreist. Und er verzieht das Gesicht: Um vom einen Ende des Geländes zum anderen zu gelangen, müssen wir durch das Fonduezelt. Ich beschleunige den Schritt. Nicht Käse-, sondern Nudelsuppe soll es sein, heute, so zum Abschied.
Min-Uk und ich, wir verstehen uns ganz gut, können sogar auf ein gemeinsames kulturelles Erbe zurückgreifen – amerikanische Popmusik und TV-Serien. Was die Kulturen unserer jeweiligen Heimatländer betrifft, liegt die Sache bereits etwas anders. Als Halbkoreanerin ist mir vieles, obwohl bekannt, doch fremd. Für Min-Uk ist hingegen glasklar: sein Gegenüber hat keine Ahnung von Korea – und darum doziert er in entsprechendem Duktus. Ob ich gewusst hätte, dass in den 1970ern viele Koreaner nach Deutschland eingewandert seien und dort das stark knoblauch- und chilihaltige, fermentierte Nationalgericht «Kimchi» nur am Wochenende hätten essen können, da sich die einheimische Nase an den unweigerlich folgenden Hautausdünstungen gestossen habe. Nein, sage ich, verschweige ihm aber auch nicht meine eigene Zurückhaltung in solchen Dingen. Min-Uk lacht. Er erklärt, dass man in Korea ebenfalls einen Ausdruck für unangenehme Ausdünstungen von uns Milchproduktekonsumenten – also: uns Laktovoren – habe. Am schlimmsten sei es im Sommer in öffentlichen Verkehrsmitteln, da er selbst nicht so gross sei und somit sein Riechorgan genau auf der Höhe westlicher Achselhöhlen. Guten Appetit!
Bei unserer Ankunft im kleinen, japanischen Restaurant «Ikoo» müssen wir warten: ausgebucht. Min-Uk strahlt. Wenn der Laden so gut laufe, meint er, könne er vielleicht auch sein eigenes koreanisches Restaurant eröffnen, ja sogar eine Franchise-Kette. Er habe erst in Zürich gemerkt, wie gut er eigentlich kochen könne. Das Speisen in Restaurants verbiete ihm sein knappes Budget, deshalb habe er angefangen, online Rezepte zu suchen, nachzukochen – und zu perfektionieren. Überhaupt würde er viel lieber sein eigenes Start-up gründen, als gleich zu Ende zu studieren. Das eine schliesse das andere doch nicht aus, meine ich. Min-Uk meint: doch. Hätte man erst einmal zu Ende studiert, erwarte das koreanische Umfeld, dass man anschliessend gleich eine Arbeit in einer Firma suche, finde – und ihr bis ans Lebensende treu bleibe. Ob es wahr sei, dass in Südkorea alle bei den grossen Konzernen arbeiten möchten, frage ich ihn. Oh ja, aber die Anforderungen – welche Universität man besucht habe und aus welcher Familie man stamme – seien lächerlich hoch.
Auf der Speisekarte entdeckt Min-Uk «Kimuchi», scharf eingelegtes Gemüse. Nun schüttelt er mit dem Kopf. «Das mag ich nicht», sagt er. Nicht des Geschmackes wegen, sondern weil «Kimuchi» eine japanische Kopie von «Kimchi» sei, aber in Japan als traditionell japanisch verkauft werde. Wie er denn zu Japan stehe, frage ich. Er verstehe die Politik Japans und besonders seinen Umgang mit der Geschichte nicht und streue deshalb gerne eine kleine Prise Polemik. Die beste japanische Nudelsuppe gebe es aber vor dem Eingang seiner Universität. Wenn ich in Seoul sei, so lade er mich darauf ein, Widerrede ausgeschlossen – und es klingt, als würde er vor allem sich selbst damit meinen.
Heimatdiskurse führen bei mir zu rasant zunehmender Müdigkeit. Ich lade Min-Uk, wenn auch nicht auf französisches Baguette, doch noch auf ein Zürcher Bier in die «Mars Bar» ein – Interplanetares für den Internationalen!