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Nacht des Monats  mit Libertären im Theater
«Der Streik» im Schauspielhaus Zürich, fotografiert von Gina Folly / Schauspielhaus Zürich.

Nacht des Monats
mit Libertären im Theater

Ayn Rands «Der Streik» als Musical inszeniert.

 

«Es ver-schwin-den Men-schen – ein-fach so!», – schön, dass immerhin das Grundthema des Stücks schon zu Beginn im leichten Stakkato in die Herzen und Hirne des Publikums gehämmert wird. Ich sitze mit einer Gruppe von etwa 20 Schweizer Libertären im Schauspielhaus Zürich, auf dem Spielplan steht Ayn Rands «Der Streik» (engl.: «Atlas Shrugged»), von Nicolas Stemann als Musical inszeniert. Zur Sicherheit haben einige ein Bier hereingeschmuggelt.

Zugegeben: Ayn Rands Romane mögen nicht zum Kunstvollsten gehören, was die Weltliteratur zu bieten hat, ihre Philosophie vielen kühl und holzschnittartig erscheinen. Doch man muss ihr lassen, dass sich die Themen ihrer Bücher in die Köpfe eingebrannt haben – wenn auch eher in den USA, wo sie für manche absoluten Kultstatus hat. Die in «Der Streik» gestellte Frage lautet: Was passiert, wenn die Leistungsträger in den Ausstand gehen und alles hinwerfen? Geht es dann allen besser?

Die Melodien sind eingängig, die Musiker spielen sogar live auf der Bühne. Die Texte des Stücks hingegen muss ein Bot geschrieben haben: Wortbröckchen und Reime im Stil von «Schnipp-schnapp, Nase ab» suggerieren fehlende Tiefe. Die eigentliche Hauptfigur des Stücks ist demnach nicht der Kapitalist John Galt, sondern Rand selbst. Jetzt geben wir mal einer Autorin den Rest, scheint das Motto des Abends zu lauten. Eine Frau jüdischer Herkunft hat im Diversity-Theater Zürichs – «safe to bash» – den sonst für den alten weissen Mann reservierten Platz des Fussabtreters eingenommen. Bemerkenswert!

Man fragt sich kurz: Dürfen Linke überhaupt ein libertäres Stück aufführen oder ist das schon ein Fall von kultureller Aneignung? Sie dürfen natürlich, aber leider verpasst Stemann die Chance, sich zu fragen, ob an der Philosophie Rands nicht doch mehr dran ist, als in seinem Stück drinsteckt, nämlich die Gesellschaft als Verhältnis «egoistische Oberarschlöcher (Unternehmer) versus edle Ausgebeutete (les misérables)» zu zeichnen.

Denn es ist ja eher so, dass weder totaler Egoismus noch totaler Altruismus gesund sind. Ersterer bedeutet Krieg jeder gegen jeden und letzterer Krieg gegen sich selbst. Das Buch von Ayn Rand ist wie die Kurbel an den Motoren der Autos in den 1920er und ʼ30er Jahren. Sie will den positiven Geist entfachen, den Zündfunken des Lebenstriebs, der Aktivität und der Eigenständigkeit, der in jedem schlummert. Die Werte von Rand: Produzieren ist wichtiger als verteilen. Jede Gesellschaft, die dieses Verhältnis umdreht, kannibalisiert sich.

Deshalb kommt Rand für die Linke auch gleich nach dem Teufel. Denn wer sich für die Organisation der Umverteilung zuständig sieht, braucht stets Nachschub an Bedürftigen. Das ist der inhumane Antrieb des Sozialismus, der in der gerechten Aufteilung des Elends gipfelt. Kapitalisten sind gierig? Hört, hört: Marx selbst formte die Arbeiterschaft zu Konquistadoren, die denken sollen: Die Firma gehört mir, also nehme ich mir, was mir gehört. Diebstahl als Notwehr, da glauben manche bis heute daran.

Bestohlen fühlen sich gerade offenbar auch ein paar Libertäre im Publikum, und zwar in puncto Zeit. Die Reihen haben sich nach der Pause deutlich gelichtet. «Es ver-schwin-den Men-schen – ein-fach so!» Tatsächlich hat es Stemann geschafft, die «vierte Wand» zwischen Bühne und Publikum zu durchbrechen. Die Leistungsträger hauen tatsächlich ab! Ein hartgesottener Rest hält aber bis zum Ende durch. Bei der berühmten Rede John Galts, die im Ausruf «Taxation is theft!» gipfelt, brandet sogar spontaner, anhaltender Szenenapplaus im libertären Block auf – der einzige des Abends. «Ich bin positiv überrascht!», sagt beim Hinausgehen einer. «Aber meine Erwartungen waren auch sehr, sehr niedrig.»

Die Rand-Verhunzung nimmt man hier also doch eher entspannt auf. Ein Wirtschaftssystem, das es sich leisten kann, Kritik an den eigenen Grundfesten zu subventionieren, muss ja auch nichts beweisen. Ayn Rand wusste das selbst zu gut, als sie meinte: «Geld ist für einige die Wurzel allen Übels – ausser Steuergeld, das ist die Wurzel jeder Wohltat.»

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