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Nacht des Monats mit  Haralampi G. Oroschakoff
Haralampi G. Oroschakoff, fotografiert von Milosz Matuschek.

Nacht des Monats mit
Haralampi G. Oroschakoff

Einem Dandy, der an Berlin leidet und sich in seinem Namen zuhause fühlt.

Berliner Altbau, 400 Meter Luftlinie entfernt wurde einst Benno Ohnesorg erschossen. Haralampi G. Oroschakoff öffnet mir die Tür. Ich treffe den wohl letzten Dandy Europas, einen Baum von einem Mann (einst Dritter bei den Wiener Tennismeisterschaften) und zugleich vielbeachteten Künstler und Publizisten.

Ausgestattet mit einem Espresso, zwischen Wänden mit Büchern, auf ungarischem Parkett und neben Bildern der russischen Konzeptualisten bekomme ich eine exklusive Kostprobe aus seinem in Kürze erscheinenden Buch «Das Lächeln des Emigranten»: «Während ich zeichne, zarte, stärkere, missglückt entschiedene Linien auf dem Papier beschreibend, unwiederholbare Linien, schmiede ich böse Gedanken. Ich wüte, morde, reisse verstopfte Gedärme aus, zertrete Gesichter zu Matsch, wüte im Blut, besessen vom Hass auf den bürgerlichen Fortschrittsoptimismus, den neuen gesichtslosen Metropolenglanz mit seinen begradigten, verkehrsberuhigten Zonen, endlosen Regelungen und Massnahmen, kolportieren Träumen der Wiederholung.» Man sieht ihm diese bösen Gedanken nicht unmittelbar an, denn er lebt gut, das graue Wintersakko mit Einstecktuch steht ihm ungemein («ist noch von meinem Vater, ich habe mir noch nie etwas gekauft»).

Doch er leidet. An Berlin? Auch, denn Berlin ist ein Provisorium, eine Banalität, eine Illusion und ein Missverständnis. Die Räume des Geistes werden immer enger: Political Correctness, Quotenkunst, ein Kunstmarkt, der an Schiebung grenzt. In Haralampi G. Oroschakoff lebt ein untergegangenes Europa weiter, da ist bulgarischer Adel, Wiener Unbeschwertheit, da ist die Grandezza des vielgereisten Weltbürgers, der auf Enge im Grunde mit Gegenwehr reagieren muss. Er war Starkünstler, reüssierte u.a. in München, Cannes, New York, Köln, feierte Ausstellungserfolge. Dann entdeckt er sein wahres Herzensthema, den Ost-West-Dialog, den er mit seinen Doppelkreuzbildern gestaltete, die ich für etwas «esoterisch» halte, worauf er milde verschnupft reagiert. Gefangen zwischen früher und heute, ist es das? Mit Smartphone in der Hand ist er stets am Puls der Zeit, und dann kommen beiläufig Sätze wie: «Das da ist übrigens ein Bild des Hofmalers Alexander II., ‹Tscherkessen im Kaukasus›, von 1893 müsste das sein.» Oroschakoff ist ein fahrender Scholast. Und bringt mich jetzt in sein Atelier, ein altes Fabrikgelände im Berliner Westen, zwischen Schrebergärten und Wohnwagensiedlungen.

Wie die Kulisse einen Menschen verändern kann! Hier ist er nicht mehr der mondäne ältere Herr, sondern der Fabrikbesitzer; sein Vater war Industrieunternehmer in der österreichischen Stahlproduktion. Unzählige Bilder, Skizzen, Ausstellungskataloge, Poster, Skulpturen (wie Lenin als Dandy) zieren die Räumlichkeiten dieser mittelständischen Kunstfabrik. Zwischen den kühlen Wänden entsteht auch, was er unter dem Hashtag #poeticlife auf Facebook postet, seine Haltung zur Welt, die oftmals Selbstverteidigung ist. Haben die Menschen es verlernt, poetisch zu leben? «Sie haben es nie gekonnt», sagt er. Denn Selbstbestimmung, Individualisierung muss man sich neben Ablenkungen und «Asozialisierungen grundsätzlichster Art» erst einmal leisten können. Das Individuelle werde heute denunziert, und dass links für den Fortschritt stehe, habe er nie verstanden. Fortschrittlichkeit ist nicht parteilich. Das Talent des Künstlers, Dinge früher und anders zu sehen, ist auch sein Leid: «Nachrichten über Kurzarbeit, heute wieder, bald wohl Entlassungsmeldungen und alle diskutieren sie über weisse alte Männer. Und über Greta.» Er schüttelt den Kopf.

Nach einem Abstecher in die Galerie seines Freundes Rudi Molacek, ehemals Dressman, Starfotograf und heute der wohl weltweit grösste Sammler tibetanischer Gebetsteppiche, finden wir dann doch noch einen Platz im «Manzini», seinem Lieblingsitaliener. Wir reden über Hayek, den Unabomber, die Apokalypse des Johannes, den Kampf Individuum gegen die Gesellschaft und (bei einer Zigarette) kurz darüber, was er vom neuen Freund seiner Tochter hält, die sich bald zu uns setzt. Ist das nicht doch Heimat hier? «Heimat ist mein Name. Meine Familiengeschichte. Und Wien. Wien dann doch.» Er beisst in sein Wiener Schnitzel, nippt am Tempranillo und zeigt es mir: Das Lächeln des Emigranten.

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