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Nacht des Monats  mit Gabrielle Alioth
Gabrielle Alioth, fotografiert von Vojin Saša Vukadinović.

Nacht des Monats
mit Gabrielle Alioth

Vojin Saša Vukadinović lässt sich von Gabrielle Alioth über Biber aufklären.

Mit Ufern kennt sich Gabrielle Alioth bestens aus. Erst dieses Jahr veröffentlichte die Schriftstellerin, die seit Jahrzehnten zwischen Irland und der Schweiz pendelt, ihren Band «Seapoint – Strand», eine poetische Würdigung jenes Strandabschnitts, den sie Morgen für Morgen an der irischen Ostküste aufsucht. Auch für unsere Begegnung zieht es die studierte Wirtschaftswissenschafterin, die unter anderem als Konjunkturforscherin tätig war, bevor sie sich dem Schreiben zuwandte, ans Wasser.

Anlass ist, dass sich ein Biberpaar in Zürich angesiedelt hat. Gefällte Bäume, deren Stämme so abgenagt werden, dass sie Bleistiften ähneln, sind untrüglicher Beweis für die Präsenz der Tiere auf der Allmend Brunau. Das sorgte bereits für Unmut, denn die Nager haben es sich an der beliebten Hundewiese bequem gemacht, was nicht ohne Folgen blieb. Die Lokalpresse berichtete vor einigen Monaten, dass sich einer der Biber einen Kampf mit einem penetranten Hund geleistet habe. Für Alioth, selbst Hundeliebhaberin, Anlass genug, dem nachzugehen – und mir, kein Hundeliebhaber, bei dieser Gelegenheit einige räum­liche Besonderheiten Zürichs zu erläutern. «Die Sihl wird unterschätzt», schickt sie voraus, als wir uns dieser nähern, während nicht nur die Zahl der joggenden Banker, sondern auch die der Vierbeiner merklich zunimmt.

Die Vorliebe der Literatin für Ufer bestand von Anfang an. Sie wurde zwar in Basel geboren, ihre Eltern stammen jedoch aus Schaffhausen, das ihr sehr vertraut ist; gleich auf der ersten Seite ihres 2021 erschienenen Romans «Die Überlebenden» taucht Feuerthalen auf, die am Wasser ­gelegene, angrenzende Gemeinde auf der anderen Rheinseite. Auf die Frage, worin sich das Ufer eines Flusses von demjenigen eines Meeres unterscheide, macht die Kennerin professionell «Vergänglichkeit, Unwiederbringlichkeit, Einmaligkeit, der Lauf der Zeit» beim Fluss geltend, während Wellen, Ebbe und Flut beim Meer für «Wiederkehr, Austauschbarkeit, Zeitlosigkeit» stünden.

Sie sei fasziniert von Orten, an denen die Natur und die Industrie zusammenträfen, berichtet sie, bevor sie auf den prominenten Neuling in dieser Gegend zu sprechen kommt: «Was ich toll finde am Biber, ist einerseits, dass er sowohl auf dem Land wie auch im Wasser leben kann, und zum anderen, dass er sich wie andere Tiere vom Menschen nicht beeindrucken lässt, sich seinen Lebensraum mehr und mehr zurückerobert und sich mit der Zivilisation arrangiert. Er hat Zivilcourage.» Als Kennerin des Mittel­alters – Alioth veröffentlichte unter anderem den Roman «Gallus, der Fremde» über den Namensgeber von St. Gallen – weiss sie zudem etwas Wunderliches zu berichten: «Damals galten Biber als Fische.» Während ich noch irritiert bin, weil mir die Anekdote selbst für diese irre Epoche der europäischen Geschichte seltsam anmutet, wird mir bereits erläutert, was es damit auf sich hatte: Mit diesem Trick liessen sich christliche Gepflogenheiten umschiffen, um auch freitags ein Fleischgericht auftischen zu können. Wohl bekomm’s! Dass «Beaver» im Englischen noch etwas anderes meint, gäbe sicherlich genügend Stoff für einen heiteren Roman aus ihrer Feder ab, was ich ihr aber nicht vorzuschlagen wage. Wir haben uns längst die Schuhe ­dreckig gemacht, doch das einzige Tier, das wir entdeckten, ist ein Graureiher, der demonstrativ unbeeindruckt von uns im Fluss posiert. Von Bibern keine Spur.

Entlang der Sihl spazieren wir deshalb in der Dunkelheit stadteinwärts, passieren trainierende Fussballclubs und Skater, noch mehr Jogger und noch mehr Hunde­halter. Wir kommen an einer Kofferinstallation des Bildhauers Roman Signer vorbei, auch eine Allegorie auf Alioths way of life: «Das Dazwischen entspricht auch meinem Leben und ist für eine Schriftstellerin ein idealer Ort, denn es bietet Distanz, erlaubt vom Rand aus auf ein Zentrum zu blicken.»

Was Alioth wohl an Zürich so gut gefällt, dass sie trotz jahrzehntelangem Wohnsitz auf der Grünen Insel und einem von ihr verfassten Band über Schweizer Auswanderer, der eigentlich auch ihre eigene Biografie meint, regel­mässig Zeit hier verbringt? «Da hocken Jugendliche, flanieren Senioren, sammelt sich Schwemmgut neben sorgfältig angelegten Biotopen», erklärt sie, «da hat alles irgendwie Platz, finden alle ihre Ecke und ich auch.» An der Sihlpost verabschieden wir uns jedoch, denn am nächsten Morgen geht es für sie mit dem ersten Flieger nach Dublin.

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