Nacht des Monats beim Grasshopper Rugby Club Zürich
«Ah, come here, you beautiful man!» und «Ist hier gerade jemand Meister geworden?», hört man allenthalben an diesem Samstagabend vor einem Zürcher Irish Pub. Beautiful oder besser stattlich sind sie allemal: die grossgewachsenen, breitschultrigen Mannen des Grasshopper Rugby Club Zürich – ihres Zeichens frischgebackene Schweizer Meister und erste deutschsprachige Mannschaft, die den Wanderpokal mit einer Plakette ziert.
Sieben Stunden vorher, Winterthur, 14.30 Uhr: die beiden Finalisten wärmen sich auf. Nyons «Piraten» wirken im schwarzen Dress, das sie für das Spiel gegen ein weisses tauschen, wie Neuseelands «All Blacks». Tanzen tun sie leider nicht. Dann: GC startet stark in den Match, ist schnell fünfzehn zu null in Führung, das sind zwei «gelegte Tries», einer samt Nachpunkte – «Erhöhung» genannt – sowie ein erfolgreicher «Straftritt», so was wie ein Freistoss – oder so. Die Regeln sind zahlreich, es ist mein zweites Spiel überhaupt, die Hälfte sehe ich sowieso nicht, aus Selbstzensur. Während meine Hände auf die eigenen Augenlider schlagen, prallt auf dem Platz Schulter auf Schulter, schlingen sich zwei Arme um ein im Spurt begriffenes Bein, stürzt sich Mann auf Mann, zuunterst der Ball – und immer mal wieder erspähe ich durch die Finger einen neuen Körper, der unter dem Menschenstapel hervorzukriechen sucht.
Dann, kurz vor der Halbzeit, werden gleich zwei Jungs von GC auf die Bank geschickt. Ich weiss nicht wie lang noch weshalb. Freund Marco meint: «Wegen untertriebener Härte!», Freund Beat ist heute hier, um etwas von der «Flut an Testosteron» abzubekommen – seine Worte, ehrlich. Ich bin vor allem wegen Nummer sechs hier, Mitbewohner Philipp, der seit 2007 spielt.
Die zweite Halbzeit: Nyon rückt heran, es steht nur noch 18 zu 17 für die Zürcher. Nyons Fangesänge, angeleitet von einer Trompete, wehen vom Anpfiff weg wie dichte Schwaden herüber, das halblokale Publikum sucht lange noch die Einheit, konkurriert sich bisweilen, auch weil sich einige dann doch sträuben, «Hopp GC!» zu rufen. Zu sehr belastet sind die beiden Buchstaben «G» und «C» in der Kombination, wir einigen uns, ja auch ich, dann doch noch auf ein sonores «Zöri! Zöri! Zöri!». Und: als alle stehend klatschen, pfeifen und schreien, gelingt er, der Coup. «Zöri!» verwandelt kurz vor Schluss einen Straftritt – 3 Punkte – und rettet den Stand von 21 zu 17 über die letzte, die 80. Minute. Sieg. Meister. Endlich.
Gegründet wurde der «Rugby Club Zurich» 1968 von englischsprachigen Expats aus dem Vereinten Königreich. Der zweitälteste Club der Schweiz existierte vierzig Jahre, sah eine Liga sich entwickeln und trat 2008 dem Polysportivclub Grasshoppers Zürich bei. Nicht spannungsfrei ging die Eingliederung vonstatten. Das in zwei Lager geteilte Zürich, Grasshoppers gegen FCZ, sorgte im lokalen Rugbyclub für eine Splittergruppe, die heute als «Rugby Union Zurich» firmiert.
Zurück in Zürich bildet der Fussball in Brasilien auf gefühlten 50 Flachbildschirmen auch an der Meisterfeier im «Paddy Reilly’s» das Hintergrundprogramm. Gott sei Dank! In den Spielpausen zeichnet sich jeweils der musikalische Schreckenshorizont ab, der ohne WM zum vollen Soundtrack des Abends geworden wäre.
«Ah, you beautiful man!» – schon wieder! Das Pub, das auch die Trikots sponsert, hat eine Runde Champagner spendiert. Die Riesen mit den winzigen Gläschen in einer Pranke wirken irgendwie entrückt, das grosse Bier in der anderen hilft, die Perspektive wieder geradezurücken. Der testosteronhungrige Freund wird umgehend in die Feierrituale – gemeinsames Tabakschnupfen und allgemeines Umarmen – integriert, abgetastet und als würdig befunden. «Warum spielst du eigentlich nicht?» Er strahlt und antwortet: «Ich weiss es auch nicht!» Nach weiteren Runden Bier, Umarmungen und Meistergesängen überlasse ich ihn, sein neues Team, die Fans und die Schiedsrichter, die beschlossen hatten, ebenfalls auf die Siegermannschaft anzustossen, der Nacht. Doch schon am nächsten Morgen stolpere ich in unserem Wohnzimmer über den schlafenden Kapitän, koche Wasser für Nudelsuppe mit Spiegelei – und höre leise krächzend die Frage: «Ist hier gerade jemand Meister geworden?»