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Nacht des Monats mit Bice Curiger
Bice Curiger mit Pudeldame Schnapsi, fotografiert von Vojin Saša Vukadinović.

Nacht des Monats mit Bice Curiger

Vojin Saša Vukadinović geht Gassi mit Schnapsi und Bice Curiger.

Eine der kleinen kulturellen Tragödien der Schweiz besteht darin, dass dem Land eine Kaffeehauskultur fehlt. Abendlicher Treffpunkt für die Zusammenkunft mit Bice Curiger ist die Konditorei Freytag im Seefeld, die nun, am Abend, jedoch bereits geschlossen hat, so dass wir hier leider nicht verweilen können. Zum Trost zeigt mir die Kunsthistorikerin und Kuratorin durch das Fenster die Speisekarte der beliebten kleinen Institution, die auf jedem Tisch unter einer Glasplatte eingelegt ist: «Schauen Sie! Wie im Altersheim! Ich liebe das!»

Curiger hat Pudeldame Schnapsi mitgebracht, eine verspielte Gefährtin, mit der sie hier gern die Nachmittage verbringt, zumal ihr Hund mit ins «Freytag» darf. Wir brechen auf, und die frühere Herausgeberin der stilprägenden Kunstzeitschrift «Parkett» berichtet aus ihrem Leben. Als Heranwachsende war die Tochter einer Tessiner Mutter und eines Berner Vaters – «der Nachname kommt aber aus Einsiedeln SZ!» – in den 1960er-Jahren über die Architekturzeitschrift des Vaters auf die Pop Art aufmerksam geworden. Ihren Enthusiasmus versuchte sie zunächst ihren Mitschülerinnen zu vermitteln. Glücklicherweise widersetzte sie sich etwas später der Verlockung eines «bodenständigen» Studienfachs, denn ohne Curigers hervorragende Arbeit wäre heute nicht nur die hiesige Kunstwelt eine andere. Während des Studiums begann sie mit dem Verfassen erster Ausstellungskritiken, und rückblickend erinnert sie sich gern an jene «tastenden, experimentellen Jahre», in denen das Ausprobieren noch erlaubt war – «das ist heute alles vom Professionalismus und vom Beamtentum zugeschüttet worden». Es folgte eine schöne Monografie zu Meret Oppenheim, und ab den 1990er-Jahren kuratierte sie einige legendäre Ausstellungen im Kunsthaus Zürich, darunter die Schau «Freie Sicht aufs Mittelmeer» oder die erste grosse Retrospektive von Georgia O’Keefe. Heute pendelt sie zwischen Zürich, Giornico TI und Arles, wo sie als künstlerische Leiterin der Fondation Vincent van Gogh wirkt.

Während wir die Farbflächen am Pavillon Le Corbusier bewundern, tollt Schnapsi eine Runde mit einem fremden Hund über die Wiese. Die beiden jagen einander in einer sehr grossen, imaginären, aber doch präzisen Kreisformation. Curiger berichtet derweil, dass sie durch ihr Haustier, das sie sich in der Pandemie zugelegt hat, ihr Quartier ganz neu kennengelernt habe: «Man trifft nicht nur auf andere Hundebesitzer, sondern muss öfters an ungewohnten Stellen stehen bleiben. Dann schweift der Blick in alle Richtungen, so dass mir Details auffallen, die ich davor niemals beachtet hätte. Die ambitiösen Deckenlampen in den Wohnungen. Wie wieder vermehrt Vorhänge aufgehängt werden. Und dann ist da noch diese gefährliche Katze, wegen der ich immer die Strassenseite wechseln muss. Einem anderen Hund soll sie schon ein Auge ausgekratzt haben.»

Als wir auf einer Bank am Ufer des Zürichsees Platz nehmen, ist es bereits dunkel. Plötzlich wird es unmittelbar hinter uns laut, sehr laut – Tinguelys «Heureka» legt krachend mit der letzten Beschallung des Tages los. Wir finden es toll, Schnapsi hingegen ist unbeeindruckt. Curiger erklärt, dass die wundersame «Leerlaufmaschine» ursprünglich für die ETH gedacht gewesen sei. Einige Professoren zeigten sich angesichts der geplanten Platzierung der Plastik vor ihrer Denkfabrik jedoch entrüstet, weil sie ihre Tätigkeit durch Tinguelys Arbeit, die demonstrativ keine erkennbare Funktion hat, verulkt sahen. So wurde aus dem provisorischen Platz am Zürichhorn, welcher «Heureka» zunächst zugesprochen worden war, ein dauerhafter.

Wir drehen eine letzte Runde auf der Hundewiese, denn Schnapsi hat ein grosses Bewegungsbedürfnis. Ausserdem ist sie hier ein Star, der selbst im Dunkeln von anderen Hundehaltern erkannt und namentlich angesprochen wird. Allerdings hat sie auch noch etwas zu erledigen, und dessen Beseitigung führen Nichthundehalter gern als gewichtigen Einwand gegen das Hundehalten als solches an. Curiger macht diese Pflicht jedoch nichts aus. Lachend zückt sie die Plastiktüte: «Das sind die Momente, wo die Hunde mit grosser Genugtuung auf uns Hundebesitzer gucken, wenn wir uns bücken.» Tatsächlich darf sich Schnapsi jedoch in vielerlei Hinsicht glücklich schätzen. Zur Verabschiedung wedelt sie äusserst zufrieden.

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