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Nacht des Monats mit Adrian Mueller

Nacht des Monats mit Adrian Mueller

Hitzewelle: New York meldet an diesem Freitagabend kurz nach Sonnenuntergang noch immer 37° C. Adrian Mueller lehnt an einer Strassenlaterne gegenüber dem Village Vanguard. Der ehrwürdige Jazzclub in Greenwich Village, die «Carnegie Hall of Jazz», bot schon Harry Belafonte, Miles Davis und John Coltrane eine Bühne. Die Hemdsärmel hochgekrempelt, mit Ansätzen eines Dreitagebartes und sichtlich gut gelaunt kommt Adrian auf mich zu. «Hey!», sagt er und schwenkt zwei Konzerttickets. Er macht das ganz so, als seien wir alte Freunde, die sich nach Jahren wiedertreffen. Tatsächlich sehen wir uns zum ersten Mal.
Adrian Mueller ist im luzernischen Meggen aufgewachsen und gelernter Metallbauzeichner. Über ein Jahrzehnt ist es her, dass er seiner Heimat den Rücken kehrte. Die Schweiz, ein grosses Damals. Auch mit Metallbau hat er in den USA nichts mehr zu tun: Adrian ist Photograph. Nicht irgendeiner. Als ich ihn auf die internationalen Auszeichnungen für seine Werbephotographien anspreche, grinst er verlegen, nicht ohne Stolz: als Photograph hatte er in der Schweiz nie gearbeitet. Das änderte sich in New York. Nach seiner Ankunft in den USA holte er die Schule nach, lernte in Windeseile Englisch, knüpfte ein weitreichendes Netzwerk in die verschiedensten Branchen und begann mit Beat Brechbühl und Sylvan Mueller eine Kollaboration: Fabrik Studios. Es folgten Aufträge aus der ganzen Welt, Kampagnen für die dicken Fische – mehr als ein Auskommen. Die in Liga eins fleissig kultivierte Erfolgsarroganz, den Snobismus vieler Kollegen gönnt sich der Familienvater jedoch nicht: neuerdings lässt er sich von seinem 4jährigen Sohn Japanisch beibringen.

Im schummrigen Licht des Jazzclubs will ich von ihm wissen, ob er den vielbeschworenen amerikanischen Traum lebe. «Unsinn», sagt er. «Es ist hier genau wie überall: wenn du hart arbeitest, kannst du es schaffen. Wenn nicht, dann nicht.» Das Loft weicht dem Trottoir, das Wasserbett dem Schlafsack? «Wer es hier nicht schafft, landet auf der Strasse. So etwas passiert dir in der Schweiz nicht. Und: jeder, der herkommt, will es schaffen. Die Konkurrenz der Träumer ist hoch, New York ein Haifischbecken. Vor allem für Neulinge.» Die Träumerei sei eine Falle, sagt er. Denn was, wenn der Traum sich nicht erfüllt? Was, wenn der Traum bei näherem Hinsehen gar keiner ist? Der Weg sei sein Ziel, und damit sei er stets gut gefahren. Auch mit Sackgassen kennt er sich aus: «Wenn der Weg Scheisse ist», weiss er, «musst du dir eben hier wie überall einen neuen suchen!» Der Pragmatiker hat aber auch andere Seiten: Seine Frau, erzählt Adrian, sei vor der Geburt ihres gemeinsamen Sohnes als Jazzpianistin tätig gewesen. Die Musik ist nicht die einzige Leidenschaft, die sie teilen: zusammen entwerfen sie Photokompositionen aus Gemüse, Fleisch und Früchten – Takako, die auch gelernte Foodstylistin ist, sorgt für das richtige Motiv, Adrian für Ideen, Licht und passenden Winkel. Er erzählt begeistert von schimmernden Fischhäuten und leuchtenden Gurken, dann wird er unterbrochen: «Ladies and Gentlemen – Welcome to the air conditioned Village Vanguard!» Der ausverkaufte Saal lacht entschleunigt: Fred Hersch, ein ausgemergelter Mittfünfziger, verbeugt sich vor dem Mikrophon auf der weltbekannten «Bühnenecke» des Clubs. Adrian spricht während der nächsten 45 Minuten nicht mehr. Er starrt auf den mehrfach Emmy-nominierten Pianisten und seine zweiköpfige Band, die Stimmung ist angesichts des impressionistischen Stils der Darbietung kühl und dicht. Hin und wieder zittert der Raum leise: unmittelbar unter dem Club liegt ein Subway-Schacht, jeder durchfahrende Zug verursacht ein kleines Beben. Von den grünen Wänden starren Herschs Jazz-Ahnen auf ihn und das Publikum herab, darunter Herbie Hancock, den Adrian vor zwei Jahren kennengelernt und in der grossen Carnegie Hall photographiert hat, wie er später erzählt. «Ein tiefer Mensch, ohne Allüren», sagt er.

Solche Aufträge und Begegnungen seien in New York schwer zu ergattern. «Der Markt ist umkämpft wie selten zuvor.» Und hier ist er dann wieder, sein leiser Stolz: in diesem Jahr sei er dennoch erstmals in der Lage gewesen, mit den ganz Grossen mitzubieten. Und dann seine Lakonie: nicht nur, weil sein Marktwert gestiegen, sondern vor allem, weil der vieler Shootingstars gefallen sei: «Wegen der miesen Wirtschaftslage», sagt Adrian Mueller grinsend, «machen die jetzt alles.» Und bevor wir uns auf der 7th Avenue voneinander verabschieden, fügt er flüsternd hinzu: «Ich aber nicht.»

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