Nacht des Monats im Schneetreiben
Ronnie Grob mit Jeremias Dubno auf dem Üetliberg.
Mit der S 10 auf den Zürcher Hausberg und dann durch die Sonnenbrille auf die graue Nebeldecke blicken – so hatten wir uns das vorgestellt. Gelandet sind wir auf eisglatten Wegen im Schneetreiben, zwischen haufenweise fröhlichen Kindern, die den ersten Mittwochnachmittag im Jahr feiern, an dem man mit dem Schlitten den Üetliberg runterdüsen kann. Könnte man hinüberblicken auf die Erhebung an der anderen Seeseite – man kann, aber zu sehen sind nur Schneeflocken –, könnte man ein Klagelied anstimmen, zu dem Samuel Zünd die Musik und Jeremias Dubno den Text geschrieben hat: «mir arme, arme Mänsche vom Züriberg | mer bestürd min Lohn, min Bsitz und bald au no mis Erb… | mir arme, arme Mänsche händ Sorge au | was dänkt ächt mini dritt vo minre vierte Frau.»
«Mir arme Mänsche vom Züriberg» ist nur einer der Songs, die von den beiden komponiert wurden für das Stück «Trittligass» – ein Freilichtmusiktheater in der Zürcher Altstadt an besagter Trittligasse im Niederdorf. Die Zusammenarbeit von Jeremias Dubno mit Bariton Samuel Zünd, der im Stück den klagesingenden Banker spielte, funktionierte so: «Ich schickte ihm die Texte fixfertig geschrieben, inklusive Strophen und Refrain. Und dann schrieb er die Musik dazu.»
Die «Trittligass» ist eine Neuauflage. Erstmals veranstaltet wurde das Theaterstück im heissen Sommer 1960, weil kulturell nichts los war in der Stadt und die Menschen nach Unterhaltung und Zerstreuung suchten: «Man vergisst es gerne, aber früher gab es im Sommer keine Kultur», erzählt Dubno, «keine Festivals, keine Stadtkonzerte, auch alle Theater waren zu.» Kein Wunder, wurde irgendwann jemand aktiv und füllte diese Lücke. Im vermaledeiten Coronajahr 2020 ist wieder alles so trist wie damals. Also verkaufte man die Neuauflage, den Umständen angemessen, als «sommerliches Grippenspiel».
Rückblickend war die Dernière des Stücks eines der wenigen Kulturerlebnisse überhaupt, die ich letztes Jahr miterleben durfte. Unter dem mächtigen Baum des Quartierplatzes liess der Anlass einen sonnigen Sonntagabend wunderbar ausklingen. Auf der Bühne mimte Walter Andreas Müller Pfarrer Sieber und Christoph Blocher, suchte Christian Jott Jenny als Amtsleiter Guggenbühl nach neuen Ideen für Zürich, und auch Jürg Randegger hatte seinen Auftritt.
Jeremias Dubno, der im Stück verschiedene Kleinrollen spielte, machte die Kantonsschule in Bülach und studierte etwas Publizistik und Politologie. Nach einem Job bei der Produktion von «Lüthi & Blanc» landete er – «aus mir unerfindlichen Gründen» – im engeren Autorenteam der SRF-Satiresendung «Giacobbo / Müller». Offenbar habe er beim Tryout von 30 bis 40 Leuten «die Schnorre weit genug aufgemacht», lacht er. Via Domenico Blass gelangte er zu Christian Jott Jenny, für dessen «Amt für Ideen» er heute hauptsächlich arbeitet. Mit dem «furchtlosen» Jenny arbeite er bestens zusammen, überhaupt mache ihm die Abwechslung an seinem Job viel Freude. Er bearbeitet für das «Amt» alles Schriftliche, also die Newsletter, die Kommunikation, die Webseite, und schreibt auch mal eine Rede für Jenny. Und er verfasst das regelmässig erscheinende Amtsblatt: «Unser Amtsblatt ist nur Nonsense und etwas Werbung. Es bringt nicht ganz so viel Geld, gehört aber zum Paket, das uns allen Spass macht. Es ist lässig, dass nicht alles bis ins letzte Detail kalkuliert wird bei uns.»
1960 waren es Namen wie Ines Torelli, Jörg Schneider, Margrit Rainer, Ruedi Walter, Inigo Gallo und Peter W. Staub, die den langweiligen Sommer aufpeppten. Im Jahr zuvor, im Frühling 1959, gab es Werner Wollenbergers Musical «Eusi chlii Stadt», das anlässlich der Eröffnung des Hechtplatztheaters aufgeführt wurde. Dass nun wieder neue Songs auf Züritüütsch geschrieben und gesungen werden, ist erfreulich.
Im harten Gegensatz zu den warmen Sommertagen ist es jetzt Wetter für ein Raclette, und das gönnen wir uns im Uto-Kulm-Take-away. Bei dieser Kälte können die draussen aufbewahrten Kartoffeln ja nur so lauwarm sein, aber es schmeckt hervorragend! Nach einem Spaziergang durch den Wald, auf dem nicht nur wir mit der Balance kämpfen – überall stolpern und stürzen die Leute –, geht es zurück an den SZU-Bahnhof Ringlikon. Der Schlittelhang ist voll mit Kindern. Es sieht aus wie auf einem Winterbild von Brueghel.