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Nacht des Monats im Kloster Einsiedeln
Auf dem Weg zum Zimmer im Kloster Einsiedeln, fotografiert von Jannik Belser.

Nacht des Monats im Kloster Einsiedeln

Ein Zimmer im weltberühmten Benediktinerkloster.

Es ist ein wunderbarer Herbstnachmittag, und ich fahre nach Einsiedeln, in den idyllischen Wallfahrtsort im Herzen des Kantons Schwyz. Der Ort ist kürzlich in die Schlagzeilen geraten, weil AfD-Politikerin Alice Weidel dorthin gezogen ist – gegenüber «Blick» sagte der Gemeindepräsident: «Ich freue mich über jeden, der kommt.» Ich freue mich, weil ich ein Zimmer im weltberühmten Benediktinerkloster reserviert habe. An der Hofpforte, der «Reception» des Klosters, erhalte ich den Schlüssel zu Zimmer 38 im Gästetrakt. Es ist grosszügig eingerichtet mit Bett, Waschbecken, Schreibtisch sowie der obligaten Bibel. Erwartet mich hier «Ora et labora», bete und arbeite, wie es im Orden der Benediktiner geschrieben steht? Der Tagesablauf im Kloster verläuft geordnet und strukturiert: Die Mahlzeiten und die Gottesdienste finden täglich zur selben Uhrzeit statt, an Sonn- und Feiertagen mit nur minimal verändertem Stundenplan. Um 16.20 Uhr treffe ich Gastpater Cyrill, der mich via die «Klausur» zu meinem ersten Gottesdienst des Tages, der Vesper, bringt. In diesen Gängen des Klosters herrscht striktes Stillschweigen, doch prompt fällt mein Kugelschreiber aus der Jackentasche auf den kalten Steinboden – der Aufprall kommt in der stillen Leere beinahe einem Überschallknall gleich. Pater Cyrill schmunzelt und öffnet mir die Tür zur Kirche: Die Mönche singen lateinische Sprechchöre; heute bitten sie Gott um Trost und beten für die «Verbindung aller Christen». Zum Abschluss versammeln sie sich vor der Gnadenkapelle und singen der berühmten «Schwarzen Madonna» das «Salve Regina» zu – zahlreiche Pilger und Schaulustige verfolgen das Spektakel. «Beim Mitbeten und Mitsingen bitten wir Sie, die Stimme zurückhaltend zu gebrauchen», heisst es in der Hausordnung.

Verordnetes Schweigen auch beim Nachtessen: Die Mönche verteilen sich hinter zwei einander gegenüberliegenden, weiss bedeckten Tischen, sprechen stehend ein gemeinsames Tischgebet. «Erst nähren wir uns des Wort Gottes, danach leiblich», erklärt mir Pater Jean-Sébastien wortwörtlich; was für den Kleriker alltäglich sein mag, klingt für mich Weltlichen auch heute noch ein wenig seltsam. Vom oberen Tischende aus werden Suppentöpfe und Servierplatten mit Schinkengipfeli und Salat nach unten gereicht. Wir speisen, trinken Rotwein oder Apfelmost und horchen zunächst einer Bibellesung, danach den sanften Klängen eines Flötenkonzerts in C-Dur von Antonio Vivaldi. Eine Glocke erklingt, die Mönche erheben sich, danken Gott für seine Gaben und verlassen den Speisesaal.

Pater Theo Flury, Organist und Professor am päpstlichen Institut für Kirchenmusik in Rom, erklärt sich zu einem Interview bereit. Schnell entwickelt sich unser Gespräch zum philosophischen Diskurs. Flury sieht das Kloster als Rahmen, in dem sich die Mönche den wichtigen Fragen des Lebens stellen können. Das Ziel: Gott zu suchen, den Weg zu Gott zu finden. Die Klostergemeinschaft symbolisiert eine Zugehörigkeit zu einem Ort, eine Verankerung. In welchem Verhältnis steht der Glaube zur Freiheit? Die Freiheit sei ein sehr äquivoker, vieldeutiger Begriff, meint Pater Theo: «Wir brauchen im Leben eine klare Werteordnung, eine Wertanschauung, die uns den Rücken freihält. Der Glaube mag anfangs wie eine Einschränkung wirken, tatsächlich liefert er uns aber Perspektive und ist somit ein Wegbereiter wahrer Freiheit.» Wir könnten zusammen wohl noch stundenlang über die Freiheit sinnieren.

Gemeinsam schreiten wir zur Kirche und zur Komplet, dem Abendgebet; auch hier wird wieder gesungen. Man dankt für den vergangenen Tag und bittet Gott um eine ruhige Nacht. Nach dem letzten Amen ist Schluss: Der Tag im Kloster endet bereits um 20.30 Uhr. Ich mache mich auf den Weg zu meinem Zimmer. In den Klostergängen ist die Dunkelheit nun endgültig eingekehrt, das einzige Geräusch ist der Rhythmus meiner Schritte; gruselig, irgendwie aber auch monumental. Am Ende des Ganges wartet ein bekanntes Gesicht auf mich: Der Gastgeber höchstpersönlich, Abt Urban Federer, drückt mir im Namen der gesamten Klostergemeinschaft seine Gastfreundschaft aus und wünscht mir eine gute Nacht. Zum Pfeifen des Windes schlafe ich ein.

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