Nacht des Monats auf
Nachtschicht in Landquart
Bei Nacht und Regen zwischen den Gleisen
Jährlich befördern die SBB rund 450 Millionen Passagiere auf einem 3228 km langen Streckennetz. Damit dies so reibungslos wie möglich vonstattengeht, werden in der Schweiz jede Nacht neue Gleise verlegt, Weichen eingebaut und Fahrleitungen ersetzt. Doch was genau geschieht, wissen die wenigsten. Deshalb begleite ich heute Nacht Martin Grolimund, Ausführungsprojektleiter SBB, auf eine Nachtbaustelle in Landquart, wo alte Fahrleitungen abgebrochen werden sollen.
Um 22 Uhr treffen wir uns für die Sicherheitsanweisungen. Ich habe diese vorgängig bereits per Mail erhalten, wir gehen die wichtigsten Punkte aber nochmals gemeinsam durch. Ich bleibe stets in seiner Nähe, betrete nie unaufgefordert die Gleise. Mit festem Schuhwerk, oranger Arbeitskleidung und Helm ausgerüstet fahren wir zur Baustelle.
Als es dann vom gewohnten Bahnsteig in den ungewohnten Schotter neben den Gleisen geht, habe ich das Gefühl, etwas Illegales zu tun. Grolimund geht vor mir und sagt mir stets, wo ich hintreten soll und wo Vorsicht geboten ist. Nach ca. 800 Metern erreichen wir die Baustelle. Der Duft von Maschinenöl und Abgas kommt mir entgegen.
Die Männer der SBB sind bereits vor Ort und führen erste Vorarbeiten durch. Grolimund stellt sich vor und bespricht sogleich im Inneren der Arbeitslok das weitere Vorgehen der Schicht mit dem Arbeitsleiter. Ich bleibe derweil draussen und lasse mir von den beiden Fahrleitungsmonteuren nochmals die Arbeit erklären. Doch viel Zeit haben sie nicht für mich. Sie müssen die Fahrleitungen ausschalten, kontrollieren und erden. Immer wieder erhalten die Männer über Funk Informationen und Anfragen von anderen Baufahrzeugen vor Ort. Ich merke schon jetzt: Alles ist durchgetaktet und aufeinander abgestimmt.
Martin Grolimund ist fertig mit der Vorbesprechung und wir gehen gemeinsam ein Stück, um die Lage vor Ort zu erkunden. Die Gleise links und rechts der Baustelle sind bereits gesperrt. Trotzdem habe ich ein mulmiges Gefühl, wenn wir die Gleise überqueren. Ich nutze die Gelegenheit und erkundige mich nach allerlei Bahntechnik, die ich schon oft vom Zug aus sah, deren Zweck ich jedoch nicht kannte. Die meisten Gleise sind mit sogenannten Gleisfreimeldeeinrichtungen versehen, damit in Echtzeit festgestellt werden kann, auf welchen Gleisen sich zurzeit ein Zug befindet. In Rangierbereichen befinden sich auch noch einige Handweichen – es wird also noch nicht alles automatisch gestellt.
Zurück auf der Baustelle, ist die Arbeit bereits in vollem Gange. Jeweils in Zweierteams arbeiten die Männer in Krankörben. Zuerst gilt es die Fahrleitung provisorisch zu befestigen, damit man sie auftrennen kann, ohne dass sie unkontrolliert herunterfällt. Plötzlich fährt eine Lok los, obwohl sich kein Lokführer darin befindet. Grolimund lacht über mein Erstaunen – die Männer können die Lok von aussen aus fernsteuern. So braucht es keinen zusätzlichen Lokführer, um die Lok hin und her zu bewegen, und man muss den Krankorb nicht verlassen.
Bisher hatten wir Glück mit dem Wetter. Zwar ging stets ein starker Wind, aber der auf halb zehn Uhr angekündigte Regen blieb aus. Um halb eins ist es dann doch so weit. Zuerst fallen nur leichte, dann immer schwerere Tropfen, die sich zu Schneeregen entwickeln. Ich bin froh um meine Handschuhe; die Arbeiter tragen keine, da sie sonst in ihrer Fingerfertigkeit eingeschränkt wären.
Wir suchen Unterschlupf in der Arbeitslok, die sogar ein bisschen beheizt ist. Grolimund nutzt die Gelegenheit, den Fragebogen des Sicherheitschecks auszufüllen, den er für diese Baustelle eingeplant hat. Sorgfaltspflicht, Kleiderordnung und Sicherheitsvorkehrungen wurden eingehalten. Die geprüften Punkte wurden anschliessend mit den Verantwortlichen besprochen.
Um halb zwei Uhr früh verlassen wir die Baustelle wieder. Ich freue mich auf eine warme Dusche und beneide die Männer nicht, deren Schicht noch bis halb vier im Regen weitergeht.
Nach dieser Nacht werde ich wohl gelassener reagieren, wenn wieder einmal ein Zug aufgrund von Bauarbeiten Verspätung hat. Denn ich habe gesehen, dass die Männer vor Ort, die auch bei schlechten Bedingungen einen engen Zeitplan einhalten müssen, ihr Bestes geben, damit wir Pendler pünktlich und bequem zur Arbeit kommen.