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Nacht des Monats  mit Rico Zandonella
Rico Zandonella, fotografiert von Andrea Seaman.

Nacht des Monats
mit Rico Zandonella

Andrea Seaman steht mit Rico Zandonella in der Küche.

Es ist Samstagabend, als ich das kleine Restaurant namens «Rico’s» in Küsnacht am Zürichsee aufsuche. Allerdings nicht als Gast, denn Chefkoch und Besitzer Rico Zandonella hat mich eingeladen, ihn in der Küche zu beobachten. Aufgrund des schönen Wetters ist der Garten voller Gäste, von denen einige bereits an ihren Getränken nippen und ihre Vorspeisen verzehren. Hier ist Platz für etwa dreissig Personen, und es gibt eine Menge Kunst zu sehen, darunter sechs Metallköpfe von Hirschen.

Als ich in die Küche trete, ist Rico bereits fleissig bei der Arbeit. «Ursprünglich wollte ich studieren, um Innenarchitekt zu werden, der mit Design herumspielt.» Ich frage ihn, warum er nicht diesen Beruf ergriffen habe. «Weil meine Familie nicht die Mittel dazu hatte und mein Vater, der in Ascona kleine Boote vermietete, mir mit 17 sagte, dass ich meinen Lebensunterhalt verdienen müsse.» Zum Glück war seine Mutter Köchin und kannte den Direktor des örtlichen Hotels Ascolago, das ein Restaurant hatte, in dem der berühmte, mittlerweile pensionierte Küchenchef Horst Petermann arbeitete. Der damals 14jährige Rico wurde sein Lehrling. «Ich bereue es kein bisschen», sagt er und lächelt.

In der Küche überreicht er mir einen Löffel, um eine Sauce zu kosten, die nach Krustentieren schmeckt. Meine Geschmacksnerven sind begeistert. «Weisst du», bemerkt er nebenbei, «man braucht neun Stunden und eine riesige Pfanne, um eine gute Sosse zu machen.» Das erfordert Hingabe und harte Arbeit. «Zu meiner Zeit haben wir morgens um 8 Uhr angefangen und um 1 Uhr nachts aufgehört.» Als er jünger war, hatte er die Energie, so lange am Herd zu stehen, und hielt es für normal, weil es damals einfach so war. Heute, mit 62 Jahren, steht er um 6 Uhr auf, geht mit seinen beiden Bulldoggen Rocco und Bruna spazieren, trainiert dann im örtlichen Fitnessstudio, um dann um 8 Uhr mit der Arbeit zu beginnen. Die kurze Pause von 15 bis 16.30 Uhr ist einem zweiten Spaziergang mit den Hunden gewidmet. Erst spätabends fällt er ins Bett.

Ein solcher Arbeitseinsatz macht es heutzutage schwierig, Praktikanten zu finden, da die Jugend nicht mehr die notwendige Ausdauer besitzt. 30 Jahre lang hat er unter Petermann in dessen Lokal gearbeitet, bevor daraus das «Rico’s» wurde. Am Ufer des Zürichsees gelegen, könnte man meinen, dass es ein sofortiger Erfolg hätte werden sollen, zumal Rico zwei Michelin-Sterne und achtzehn Gault-Millau-Punkte vorzuweisen hat. Doch die Ablösung war ein Wagnis. «Ich bin ins eiskalte Wasser gesprungen, habe meine dritte Säule aufgegeben, um mein neues Restaurant zu finanzieren, und war voller Zweifel.» Das Leben in der Wohnung direkt über dem Restaurant war zeitweise entmutigend, weil kaum Gäste kamen. Aber: «Mein innerer Wille siegte. Ich sagte mir: Ich muss kämpfen und an mich glauben.» Mit einem Augenzwinkern berichtet er, dass die ersten drei, vier Jahre die Hölle waren. «Die Stammgäste waren von der neuen Ästhetik verunsichert, weil ich Farben liebe, sie in meine Speisen und die Einrichtung des Restaurants einfliessen lasse.» Tatsächlich sind die Farben hier sehr knallig und der Geschmack der Speisen eine Explosion. Er giesst etwas Spargelsuppe in eine Tasse, aus der ich vorsichtig trinke. Die Freude, die sich sogleich einstellt, erklärt, weshalb das Restaurant dann doch zum Erfolg wurde. Die kürzlich verstorbene Tina Turner gehörte zu den Stammgästen.

In der Küche verhalten sich Rico und seine drei Köche ganz anders als prominente Fernsehköche wie Gordon Ramsay, der seine Souschefs und Kunden anschreit, wenn sie einen Fehler machen. Bei «Rico’s» ist die Küche eine Oase der Ruhe. Als ein Chefkoch versehentlich die Anordnung der Komponenten auf einem Teller durcheinanderbringt, deutet Rico mit einem kurzen Nicken an, dass ein neuer Teller mit neuen Speisen hermüsse. Perfektion ist alles, aber nicht auf Kosten eines respektvollen Umgangs miteinander.

Meine Gedanken kehren zu den grossen Saucentöpfen zurück, deren Inhalt durchgeseiht werden muss. Ist es nicht schwer, sie zu heben und zu kippen? «Deshalb muss man ins Fitnessstudio gehen», sagt Zandonella lachend, der auch mit 62 Jahren noch nicht an die Rente denkt. Die Sonne ist untergegangen und die Küche geschlossen. Doch der Duft seiner Kreationen liegt noch immer in der Luft. Dank ihrem überragenden Geruchssinn dürften seine Bulldogen die Kochkünste ihres Herrn wohl am meisten schätzen.

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