Nacht des Monats
mit Stefan Angehrn
Ronnie Grob trinkt Matcha mit Stefan Angehrn.
Das Haus, das Stefan Angehrn mit seiner Freundin Bettina Pape in Oetwil an der Limmat bewohnt, ist stattlich: 500 Quadratmeter Wohnfläche, verteilt auf fünf Etagen, auf einem Grundstück mit 2000 Quadratmetern Fläche. Das Ziel war eigentlich ein Generationenhaus, aber nun sind alle Kinder ausgezogen und haben ihm bereits fünf Enkel beschert. Die beiden empfangen mich mit einem Matcha-Getränk in der vierten Etage, die in den Garten führt.
Wir treffen uns auf den Tag genau 24 Jahre nach seinem grössten Triumph im Boxsport: Am 13. Dezember 1997 besiegte er Olympiasieger Torsten May durch einen technischen Knockout – die Bilder von Angehrn im Siegestaumel mit blutunterlaufenen Augen (und dazu einem geplatzten Trommelfell!) erinnern an den Film «Rocky» – tatsächlich ist er in seiner Karriere nie k.o. gegangen. Den Gürtel und die Handschuhe aus dem Kampf hat er aufbewahrt. Wir machen ein paar Fotos vor dem Sandsack, dem man gleich am Eingang eine reinhauen kann.
Zuletzt geboxt hat Angehrn am 31. März 2000, aber natürlich sei er dem Sport weiterhin verbunden, das Boxen habe sein Leben immerhin 15 Jahre lang bestimmt. Wenn er einen Boxkampf schaut, bewegt er sich unwillkürlich intuitiv mit – «so zu boxen wie Roy Jones Junior, das wäre mein Traum gewesen!». Fragen aufstrebende Talente nach Tips, gibt er sie ihnen. Und einmal in der Woche geht er morgens in den Boxkeller zum Training, ganz für sich alleine: «Aufwärmen, zehn Runden etwas arbeiten, abkühlen. Für mich ist das Grossvatersport.» Am Schluss seiner Karriere war in den Boulevardmedien viel Negatives über ihn zu lesen. Das gehöre zum Promi-Leben dazu, findet er, Boulevardmedien müssten eben Auflage verkaufen. Ausserdem profitiere er ja auch von seiner Bekanntheit: «Leute von 40 an aufwärts kennen mich – und das ist viel wichtiger als alles andere.»
In der wenig boxbegeisterten Schweiz lief es in der Folge nicht mehr ganz so gut. Ein von Angehrn organisierter, aber schlecht besuchter Titelkampf in Kloten handelte ihm 424 000 Franken an Schulden ein, die er später erfolgreich wieder abbaute. Unter dem Titel «Plan B» brachte er dazu 2005 einen Schuldenratgeber heraus, mit Geleitworten von Adolf Ogi und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Rückblickend sagt er lapidar: «Für meinen Sport habe ich das falsche Land erwischt. In Italien oder Deutschland hätte ich mit dem, was ich geleistet habe, wohl 5 bis 10 Millionen verdient.»
Stefan Angehrn ist heute 57 Jahre alt, sieht aber deutlich jünger aus. Nach einer KV-Lehre in einer thurgauischen Damenkleiderfirma verdiente er sein Geld bei seinem Vater, einem Akkordgipser, der sich im thurgauischen Hüttwilen selbständig gemacht hatte. Der körperlich anstrengende Job war zusätzliches Training, und er konnte dabei freinehmen, wann immer er wollte. Auch heute arbeitet er frei, ist immer und nie im Einsatz. Zusammen mit Bettina Pape ist er seit 2012 im Network-Marketing tätig, das Motto ihrer Firma Swiss Shape lautet «Gesundheit ist lernbar». Sie finden ihre Kunden mehrheitlich in der Schweiz und bieten ihnen eine ganze Palette von Produkten und Dienstleistungen an. So verspricht das Programm «Darm fit – Mensch fit», in 30 Tagen zu neuer Vitalität, Wohlbefinden und Gewichtskorrektur zu verhelfen. Neben der Einnahme verschiedener natürlicher Nahrungsergänzungsprodukte wird dabei Wert gelegt auf eine Ernährung mit viel Eiweiss, Gemüse und Salat. Und auf Essenspausen: In der Nacht darf während 12 Stunden nichts gegessen werden, zwischen den Mahlzeiten während 4 Stunden nichts. An sich ist es Ernährungsunterricht für Leute, die sich bisher nur wenige Gedanken über Ernährung gemacht haben.
Wir fahren nach Geroldswil, holen uns im Bürogebäude eine Pizza Roma mit Schinken ab und setzen uns ins süsslich riechende Büro von Swiss Shape. Hier wurden vor Corona regelmässig Events durchgeführt, heute passiert das via Kamera und Green Screen. Dennoch konnten sie die Pause konstruktiv nutzen, nämlich zur Erstellung einer Webseite, die nun auch wieder jüngere Kunden mit sich bringt. Bis vor Corona sei das Geschäft via Mundpropaganda so gut gelaufen, dass kein Grund bestand, die Webseite auszubauen. Wir verabschieden uns, und Angehrn erzählt mir noch, dass er Donald Trump persönlich kenne, die Verbindung ist natürlich über das Boxen zustande gekommen: «Ein hochintelligenter Mann, ähnlich wie Blocher. Jene Amerikaner, die ich kenne, waren alle total happy mit ihm. Endlich mal einer, der ein Land wie eine Firma führt.»