Nacht des Monats
Jannik Belser geht mit Ramon Zenhäusern surfen.
Das Surfcenter haben wir vorgewarnt: Mein Gast ist 2,02 Meter gross und wiegt 100 Kilogramm, ohne ein extragrosses Board würde er wohl hoffnungslos im Zürichsee absaufen. So stechen Ramon Zenhäusern und ich an diesem Freitagabend mit einem überdimensionalen Brett an Bord in den See. Anfangs Woche noch Training auf dem Gletscher in Saas-Fee, heute mehrere Medientermine in Zürich, tags darauf einen Besuch bei einem Sponsor in Bern: Der Terminkalender des 29jährigen Skiprofis ist auch in den Sommermonaten ausgebucht. Zenhäusern hat den besten Winter seiner bisherigen Karriere hinter sich: In seiner Paradedisziplin, dem Slalom, beendete er die Weltcupsaison auf dem dritten Rang der Gesamtwertung. «So konstant bin ich noch nie gefahren», meint der Walliser zufrieden. Zenhäusern blickt bereits dem kommenden Winter entgegen: «Verbessern, gesund bleiben, Freude haben», sagt er auf seine Ziele angesprochen.
Lässig reitet Zenhäusern auf der hohen Welle hinter dem Motorboot, feilt dank den Instruktionen des Surflehrers im Boot an seinem Stil. Er verlagert sein Gewicht nach vorne, drückt die Ferse zum Brett, dreht die Hüfte bewusst nach aussen und richtet sich auf. Nun sieht das auch vom Kahn prima aus! Durch den Wellengang eines vorbeifahrenden Boots kommt Zenhäusern ins Straucheln: Er kann sich einige Sekunden auf dem Brett halten, bevor er mit einem Lachen kopfvoran ins Wasser platscht.
Zenhäusern war anderthalbjährig, als er erstmals in der Walliser Moosalpregion auf zwei Brettern die Piste unsicher machte – heute ist auf seinem Heimatberg ein Skilift nach ihm benannt. Schon früh drehte sich bei ihm vieles um Sport: Er fuhr nicht nur Ski, sondern war auch ein begeisterter Tennisspieler. Weil es den Naturfreund jedoch irgendwann störte, dass er in den kalten Wintermonaten in der Halle Tennis spielen musste, setzte er auf den Skisport. Zum Profi war es ein langer, vor allem aber auch ein teurer Weg: Wie alle Jungtalente war Zenhäusern lange auf die finanzielle Unterstützung durch seine Eltern angewiesen. Bis heute erhält der Walliser keinen fixen Lohn: Im Skisport ist man als Athlet gewissermassen selbständig erwerbstätig, die Sponsorenerträge finanzieren den Lebensunterhalt. So bleibt Zenhäusern unabhängig, erhält von niemandem Ernährungsvorschriften oder Sportverbote für die Freizeitplanung. Eine Schattenseite hat diese Freiheit jedoch: «Wenn ich mich verletze, habe ich das Problem.» Ramon Zenhäusern hat sich deshalb eine Absicherungsstrategie aufgebaut: An der FernUni Schweiz, die ein flexibles und grossmehrheitlich ortsunabhängiges Studium anbietet, hat er abseits des Skizirkus einen Bachelor in Wirtschaftswissenschaften erlangt. Wie es denn nach seiner Skikarriere weitergehe? «Keine Ahnung», antwortet er. Er verschwende noch nicht allzu viele Gedanken daran. «Sofern es die Gesundheit zulässt, will ich schon noch einige Jahre fahren. Julien Lizeroux hat vergangenen Winter ja auch erst im Alter von 41 Jahren seinen Rücktritt verkündet.»
Gegen Ende unseres Ausflugs fühlt sich Zenhäusern auf dem Surfbrett so wohl, dass wir ihm spontan eine Getränkeflasche zuwerfen. Er fängt sie, trinkt einen kräftigen Schluck und strahlt über beide Ohren. «Eigentlich gar nicht so schwierig», meint Zenhäusern mit einem Schmunzeln. Seinen Surfgang lässt er filmen, das Video wird er später auf seinen Social-Media-Kanälen verbreiten – schliesslich sei man als Einzelsportler ja auch ein bisschen Influencer.
Bei Sonnenuntergang fahren wir zurück in den Hafen in Wollishofen: Es herrscht ein reges Treiben, zahlreiche Gruppen sitzen hier gemütlich am See und geniessen den schönen Spätsommerabend. Zenhäusern zückt sein Handy und sucht sich eine Zugverbindung heraus: Er möchte heute noch seine Freundin Tanja Hüberli besuchen, die wenige Tage zuvor mit ihrer Teamkollegin die Beachvolleyball-Europameisterschaften gewonnen hat. Zenhäusern entschuldigt sich für den raschen Abgang und eilt zur Bushaltestelle.