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Nacht des Monats  mit Thomas Gierl
Thomas Gierl vor der ratternden «Heidelberg Speedmaster 105 XL», photographiert von Gregor Szyndler.

Nacht des Monats
mit Thomas Gierl


Zytglogge-Verlagsleiter Thomas Gierl holt mich am frühen Abend beim Haupteingang des Schwabe-Verlag-Gebäudes in Muttenz ab. Er bestaunt den Karton unter meinem Arm: «Ein CD-Player? Wer hört denn heute noch CDs?» – «Na ja», erwidere ich, denn Gierl weiss es natürlich besser, erzielt Zytglogge doch seit je einen guten Teil der Einnahmen mit Tonträgern. «Solange es noch Jan Repka gibt» – ein Liedermacher, der Mani Matter auf Tschechisch singt und bei Zytglogge rauskommt –, «kommt man nicht ohne so was durch den Tag.» – «Ja, das stimmt», lacht Gierl.

Wir gehen zum Kühlschrank in der 6. Etage. «Nanu», wundert sich Gierl, «ich hab den Kollegen aus der Druckerei doch gesagt, sie sollen Feierabendbier kaltstellen?» Er gibt mir stattdessen eine Glace. Auch gut, ist es doch ein unwirklich heisser Tag. Seit dem 1. Juli 2015, als die Inhaber der Schwabe AG die Aktienmehrheit der Zytglogge AG übernahmen, befindet sich der Verlagssitz und somit Gierls Arbeitsplatz an der Steinentorstrasse in Basel. «Es sollte mich nicht wundern», mutmasse ich, «wenn der Drucker das Bier bei sich im Drucksaal lagert.» Wir machen uns auf den Weg: Medienvorstufe, Offsetdruck, Digitaldruck, Buchhaltung und EMH Schweizerischer Ärzteverlag – verteilt auf sechs Etagen.

«Es ist schön, wenn Verlage in der Schweiz drucken», sage ich, «nicht in Deutschland, Tschechien oder China.» – «Ja! Und es ist toll, dass Zytglogge vom Thunersee an den Rhein gefunden hat. Das ist eine gute Lösung!», sagt Gierl. Anfangs hatte er eine andere Meinung. Als erstmals die Überlegung im Raum stand, Zytglogge zu übernehmen, war Schwabe-Geschäftsleitungsmitglied Gierl skeptisch. Für kleine bis mittlere Publikumsverlage sei es in der Schweiz schwierig, sich über Wasser zu halten. Man könne nicht erwarten, ein gemachtes Nest vorzufinden. Und vor allem seien da ja auch noch die bisherigen Inhaber, die vielleicht nicht loslassen könnten und überall reinreden würden. Beim ersten Treffen mit den Zytglogge-Besitzern Hugo Ramseyer und seiner Frau Bettina Kaelin Ramseyer verpufften alle Einwände. Die Parteien wurden sich handelseinig, und eine Bedingung wurde in den Kaufvertrag gesetzt: Thomas Gierl muss Verlagsleiter sein.

In der zweiten Etage rattert die «Heidelberg Speedmaster 105 XL»: eine Reihe von sechs grossen grauen Kästen verliert sich in der Tiefe des Raumes, verbunden über einen Steg. Jemand huscht mit einem Kanister zu einem der Druckwerke. Vorne verschwindet rasant Papier, hinten kommt es rasant raus. Sonst sieht man nicht viel. Einer der Drucker führt uns zum Kühlschrank: Bier. «Na, also!» Endlich. Gierl und ich prosten uns vor einer gusseisernen Maschine stehend zu. «Das ist eine ‹OHZ – Original Heidelberg Zylinder›. Eine Buchdruckmaschine aus den 60er Jahren. Die tut immer noch ihren Dienst.» Sie wird eingesetzt fürs «Drucken ohne Farbe» – fürs Stanzen, Rillen, Prägen, Perforieren. Bald stehen wir wieder vor der Speedmaster. Die schafft 18 000 Druckbogen pro Stunde – «mit zwei Leuten pro Schicht». Wir beobachten, wie einer der zwei Spätschichtler Druckbögen mit der Lupe untersucht.

Wie er als Verlagsleiter eingebunden sei in die Produktion der Bücher, frage ich nach einer Weile. «Wie alle im Zytglogge-Lektorat bin ich von A bis Z für die von mir betreuten Buchprojekte verantwortlich.» – «Und wie erfolgt die Auswahl?» – «Wenn sich jemand für einen Text begeistert, setzt er sich an der nächsten Sitzung dafür ein und bittet um eine Zweitmeinung. Kann mich jemand von einem Manuskript überzeugen oder kann ich jemanden von meiner Auswahl überzeugen, nehmen wir das Buch mit einiger Sicherheit ins Programm.» – «Und was sind die dringendsten Baustellen als Verlagschef?», frage ich. «Zytglogge als Verlag und Musiklabel wieder ganz nach vorne zu bringen. Wir wollen das Schaufenster für das aktuelle Schweizer Kulturschaffen in Buch und Ton sein. Wo sind die kommenden aufregenden Stimmen und Federn der Schweiz? Was sind die relevanten gesellschaftlichen Themen und Diskussionen? Die will ich bei uns haben! Die sollen bei uns stattfinden!» Das lasse ich so stehen, als wir in den langsam abkühlenden Abend spazieren, Richtung Gartenbeiz, Cordon bleu und Sitzenbleiben bis 23 Uhr.

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