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Nacht des Monats
im eigenen Garten

Nacht des Monats  im eigenen Garten
Artischoke und Liebstöckel vor untergehender Sonne, photographiert von Serena Jung.


Letzten Sommer habe ich nur Bohnen gegessen. Jeden Tag. Das einzige, was unser Schrebergarten nach dem trüben Mai 2016 abwarf, waren Bohnen, die gescheckten. Die Zuckererbsen, hierzulande auch als Kefen bekannt, lösten sich nach der ersten Handvoll Ernte in Luft auf, die Zucchini, hierzulande auch Zucchetti genannt, stellten sich als Kürbisse heraus. Und die tatsächlichen Kürbisse erlagen vor ihrer Reife einer – zumindest uns – unbekannten Krankheit.

Dieses Jahr sollte alles anders werden. Im Februar schon begann das Auberginenheranziehen, im März importierten wir Artischockensetzlinge vom Markt in Vercelli, Italien, und den Barba di Frate säten wir in mehreren Phasen – an Ambitionen mangelte es also nicht. Aber das Glück ist mit den Tüchtigen, die auch etwas von ihrem Handwerk verstehen. Vom frühjährlichen Furor sind nur eine (von vier erwarteten) Gurken und ein paar Sonnenblumen geblieben. Und so strahlt das Feld vor den Toren der Stadt in den letzten Sonnenstrahlen des Kindergeburtstagsnachmittags, Anfang Juni, in körnigem Braun, aus dem ein paar müde Setzlinge ragen.

Es ist das dritte Jahr, in dem ich mich an einer Parzelle im Familiengarten «Im Bändli» beteilige. «Ja zu einem sozialen Experiment» lautete die Losung, unter der ich einwilligte – in Arbeit. Viel Arbeit. Und nochmals Arbeit, die ich schon aus Kindertagen kannte und mich damals schwören liess, in einen Betonblock zu ziehen, sobald ich selbst darüber zu entscheiden hätte. Denn was ich bestimmt nie wieder tun wollen würde: hacken, furchen, säen, ernten, einmachen, zurückschneiden, mähen, kompostieren und in den Boden zurückackern. Schnecken aus den Beeten ausschaffen, Spinnen nach der Schnittlauchernte aus den Ärmeln ziehen, den Schmerz der Wespenstiche unter lautem Protest an der Welt aus den Füssen schütteln. Der ultimative Endgegner: das Unkraut. Lästlinge sage man heute, nicht mehr Schädlinge, sagt das Bio-Gartenbuch, das ich mir, nun im dritten Jahr, ausgeliehen habe. Ich sage: Fieslinge. Winde, Hirse, Schachtelhalm, Ackerehrenpreis, Baumtropfen und wie sie alle heissen, meist ausgezeichnet mit dem Ehrenpreis für die effizienteste Verbreitung durch Wurzelwucher. Der Sticker auf meinem Kassettenspielgerät vor gut 20 Jahren zeigte eine einfache Blume (Korbblütler) und den in freundlichem Font gehaltenen Schriftzug: «Am besten Beton».

Das Verhältnis zum Grün aber hat sich mittlerweile entspannt und die ursprüngliche Losung trägt schöne Früchte: zu neunt sind wir auf der Parzelle – plus ein paar Sprösslinge. An zwei festen Tagen im Jahr schaffen alle mit: herbstens beim Zurückschneiden der Beeren und Bäume, beim Kompostumschaufeln und Abdecken, frühlings beim Umgraben und Gehwegeneuverlegen. Dazwischen zieht es uns neun nach Altstetten, wenn es in der Wohnung zu eng wird und man sich freut über das Stück Rasen, der Platz bietet für die Renovation von Leselampen, für das Haareschneiden ohne Staubsauger und für Diavorstellungen von weiten Reisen – im Schnelldurchlauf, falls der Generator schon etwas stottert. Nachbar Giuseppe arbeitet schon seit 1985 auf seinem Flecken Glück und bietet Hand, wenn das Rankgerüst nicht gerade steht, und weiss, dass man aus dem Gründünger auch Minestrone kochen kann. Er gibt seine Parzelle auf Ende Jahr vielleicht auf, der Körper, er mag nicht mehr so recht. Die Wehmut, sie strömt schon jetzt literweise unter der stets aufgesetzten Schirmmütze hervor. Fragen, ob und was wir helfen können, beantwortet Giuseppe mit einem Lächeln, einem erhobenen Finger, der die Aufforderung zu warten anzeigt, auf die ein Bund schönster Radieschen folgt, die wir stolz nach Hause tragen.

Ein letzter Blick aufs eigene Feld, nachdem Sonnenschirm und Gartendusche versorgt sind, lässt hoffen: noch ist nicht aller Tage Abend. Immerhin die Artischocken recken ihre Blätter noch gen Himmel – nicht sehr hoch, aber augenfällig. Auch die Kartoffeln haben den Durchbruch geschafft und bilden ein grünes Buschband. Die Bohnensaat aber bleibt hinten im Schrank, mindestens bis nächstes Jahr.

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