Nacht des Monats mit Thaïs Odermatt
Machen die zwei Pünktchen auf dem «i» eigentlich viele Probleme? Thaïs, die stets ihren Namen erklären muss, zeigt mir ihre Identitätskarte. Die Behörden haben kein Problem damit, ausserdem seien sie doch ganz einfach zu finden auf der Tastatur, gleich über dem $-Zeichen. Ich treffe Thaïs Odermatt in Luzern, einer Stadt, die mein Vorurteil, dass es dort immer regnet, an diesem Abend bestätigt. Zehn Jahre lang hat Odermatt in Luzern gewohnt und an der HSLU den Bachelor in der Studienrichtung «Video» im Departement Design & Kunst gemacht. Seit Juli 2014 wohnt sie in Berlin, zusammen mit ihrem Freund, einem Kameramann. «Match made in heaven!», rufe ich. «Geht so», lacht sie. «Wenn man nach einem anstrengenden gemeinsamen Drehtag nach Hause geht, kann man ja dann dort nicht über den Kameramann motzen.» Das Paar lernte sich kennen, als Carlos, ursprünglich aus dem spanischen Toledo, ein Austauschjahr in Luzern machte. Das Wetter wird ihn nicht gelockt haben, denke ich.
Odermatt, Tochter einer Kunsthistorikerin und eines Eisenplastikers, ist im Kanton Nidwalden aufgewachsen, in Oberdorf bei Stans. In dieser Region hat sie auch schon mehrere Kurzfilme gedreht: Für «Nid hei cho» (2009, 17 Minuten) besuchte Odermatt ein Berggebiet, das nur mit der Luftseilbahn erreichbar ist und in dem gewildert wird. «Kurt und der Sessellift» (2012, 20 Minuten), schon mehrfach vom Schweizer Fernsehen ausgestrahlt, widmete sich dem Sesselliftbetreiber Kurt Mathis, der einen für 12 Franken von Alpboden auf den Haldigrat bringt. Der ruhige, poetische Film, der den Winter auf dem Haldigrat zeigt, wurde an Bergfilmfestivals in Ushuaïa, in Brasilien und sogar in den flachen Niederlanden gezeigt – ja, auch dort gibt es Bergfilmfestivals. Ach ja, den Publikumspreis der Kurzfilmtage Winterthur hat er auch gewonnen. «Ich bin immer wieder erstaunt, wie viele in der Region diesen Film kennen, und mir scheint, er ist gleichermassen beliebt in allen Schichten: ich hatte jedenfalls positive Rückmeldungen sowohl von Förstern als auch von Architekten.» Auch mich hat dieses Porträt, das den Sesselliftbetreiber ins Zentrum rückt, während die Filmemacherin im Hintergrund bleibt, auf ihre Arbeit aufmerksam gemacht. Der Platz hinter der Kamera scheint ihr ganz recht zu sein. Selbst im Scheinwerferlicht zu stehen, eher nicht so.
Vom Restaurant «Weisses Schloss» in der Luzerner Neustadt steuern wir auf die Kapellbrücke zu. Dass es Touristen gibt in Luzern, kann in dieser Regennacht nicht bestätigt werden. Die Reisegruppen aus China und Indien liegen wohl bereits in ihren Hotelbetten, müde vom Tag. In Berlin habe sie zuerst vier Monate lang von einem Stipendium profitiert, sagt sie. Nun gehe sie das Masterstudium an: «Regie» an der Filmuniversität Babelsberg in Potsdam. In ihrem Jahrgang studieren mit ihr drei weitere Studenten Dokumentarfilm, fünf Spielfilm. Odermatts neuestes Projekt trägt den Titel «Amazonen einer Grossstadt», es geht darin um kämpfende Frauen. «Meine Vision ist es, verschiedene Frauen zu porträtieren und aufzuzeigen, dass es sich lohnt, auf eine positive Art zu kämpfen – und mich interessiert, wie Frauen kämpfen.» Protagonistinnen hat sie bereits gefunden: zum Beispiel eine 70jährige Sprayerin, die es sich zur Lebensaufgabe gemacht hat, Hakenkreuze und rechte Parolen zu übersprühen. Weil sie kürzlich den Spruch «Merkel muss weg» in «Hass muss weg» übersprayt hat und dabei erwischt wurde, sollte sie 450 Euro Busse zahlen. Sie hat Berufung eingelegt.
Wir laufen einmal quer durch die Stadt, und nach der Kapellbrücke stossen wir auf eine Armee weisser, 140 Zentimeter grosser Soldaten: Stormtroopers aus der Filmreihe «Star Wars». 108 von ihnen stehen im Scheinwerferlicht, bewacht von einem Luzerner Wachmann, der uns freundlich bittet, keinen anzufassen und auch keinen mitzunehmen, denn sonst – er lacht – sei er dann morgen seinen Job los. Mitten durch das schönste Novembernachtwetter, also durch Regen, Wind, Kälte und Dunkelheit, geht’s dem See entlang ins Hotel Montana – etwas erhöht bietet dessen «Louis Bar» eine herrliche Aussicht über den Vierwaldstättersee. Doch kaum sitzen wir, stellt der Barpianist seine Arbeit ein. Auf unsere fragenden Blicke sagt er: «It’s nothing personal. I just need a break.» Auf dem Rückweg treffen wir auf Wilhelm Tell, aber nur in Form eines Schiffrestaurants. Die Sturmtruppen stehen still. Luzern ist so aufregend wie erwartet.