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Nacht des Monats mit Christian Wenker

Nacht des Monats mit Christian Wenker
Im Röntgenraum mit Netzpython: Zootierarzt Christian Wenker, photographiert von Torben Weber / Zoo Basel.


Im Basler Zolli kennt man den Zootierarzt Christian Wenker: «Wann kommt denn das Okapi zur Welt?», fragt ihn ein neugieriger Besucher. Christian Wenker lässt sich bloss einen ungefähren Zeitraum entlocken, ehe wir unseren Spaziergang fortsetzen, in Richtung Affenhaus.

Nicht nur die Besucher, auch die Totenkopfäffchen kennen ihn. Kaum sind wir um die Ecke, als hinter der Glasscheibe auch schon ein Schrei ertönt, und die ganze Bande flüchtet auf die Kletterbäume. Dann beobachten sie ihn aus sicherer Höhe. Sie fürchten ihn. Kein Wunder, er stand ja auch schon mit Blasrohr und Narkosepfeilen hier.

Als wir in den Servicegang bei den Gorillas gehen, ist mir mulmig. Die Tiere zögern, als sie mich sehen. Ich brauche ein paar Takte, mich an sie zu gewöhnen – lang genug, um mich in ihren Augen zum Menschen zu machen. Sie verlieren das Interesse an mir, konzentrieren sich auf Christian Wenker. Seine Stimme beruhigt sie, mich das Gitter zwischen uns. Bei den Schimpansen kommt ein Affe nach dem anderen, legt die Hand auf die Glasscheibe und wartet, bis er das auch tut. Da ist nichts vom Misstrauen der Totenkopfäffchen zu spüren.

Christian Wenker zeigt mir die Schimpansen-Dame Kitoko. Ein Junges hängt an ihrem Bauch. «Sie hat ihr letztes Jungtier verloren», erklärt er. «Sie hielt den Leichnam während Wochen in ihren Armen. So lange, bis ich keine Obduktion mehr machen konnte», fügt er an – sein Bedauern schliesst die verpasste Gelegenheit, die Todesursache herauszufinden, ebenso ein wie Mitleid mit der Mutter. «Umso wichtiger und schöner, dass sie jetzt ein neues Baby hat.»

Wir gehen in die Tierarztstation. Metalltische, OP-Leuchten, an den Wänden Röntgenbilder: Schlangen, Vögel, Schildkröten. In den Schränken stapeln sich Medikamente, auch solche, die ich aus eigener Anschauung kenne – schleimlösender Hustensirup etwa. «Nicht für jedes Tier gibt es Medizin», erklärt er. «Deshalb müssen wir viele Medikamente vom Menschen aufs Tier umwidmen.» – «Kennen Sie eigentlich jedes Tier auswendig, oder müssen Sie von Fall zu Fall büffeln?» – «Vieles kennt man, aber eben nicht alles. Da muss ich mich schlau machen: sei es bei Kollegen oder in der Literatur. Es gehört zum Job, die eigenen Grenzen zu kennen. Ich muss genau wissen, wann ich Experten brauche: etwa Kinderärzte für kranke Menschenaffen oder Tierzahnärzte.»

«Und wie merkt man, dass ein Tier krank ist?», frage ich, denn mir ist aufgefallen, dass Wenker kein Wartezimmer hat, in dem kränkelnde Bisons im «Schweizer Monat» blättern oder Zebras nervös mit den Hufen scharren. «Das braucht eine sehr gute Beobachtungsgabe. Kranke Tiere verbergen ihr Gebrechen – in der Natur sind sie allzu leichte Beute.» Nicht immer ist der Fall so deutlich wie bei einer Antilope mit offenem Beinbruch. Aber auch dort erweist sich die Sache als kompliziert. Natürlich kann man das Bein gipsen. Dazu aber muss man das Tier narkotisieren – und zwar bei jedem Verbandswechsel. «Und der wird häufig nötig sein, denn einem Tier kann ich keine Bettruhe verordnen», gibt er zu bedenken. «Soll man das Tier mehrmals die Woche narkotisieren? Oder soll man ihm diesen Stress ersparen – es erlösen?» Solche Fragen gehören zu seinem Job. Christian Wenker bemüht sich, jedem Tier gerecht zu werden, von der Futtermaus bis zur Heuschrecke – mit Feu sacré und respektvoller Distanz. Dabei muss er weder auf überzogene Wünsche eingehen wie manche Haustierärzte noch die Eingriffe auf Kosten-Nutzen-Rechnungen reduzieren wie Nutztierärzte.

Seine Erfahrungen hat er gemeinsam mit Co-Zootierarzt Stefan Hoby, der Biologin Tanja Dietrich und dem Fotografen Torben Weber zum Buch «Das Okapi hat Husten» (CMS-Verlag, Basel; erscheint im November) verarbeitet. Viel sagt er dazu noch nicht – aber ich sehe ihm die Vorfreude an –, nur: «ich hab ja schon einiges publiziert, wissenschaftlich oder in Zeitungen – aber das ist was ganz Besonderes!». Die Buchvernissage findet übrigens im Zolli statt: bleibt zu hoffen, dass die Totenkopfäffchen dann eine Ausnahme machen und neugierig zuhören, statt die Flucht zu ergreifen.

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