Nacht des Monats mit Manon Pfrunder
«Wieso haben wir Theatermenschen es verlernt, für die Leute zu spielen?», fragt mich die junge Frau ziemlich aufgebracht. «Wieso hat eine ganze Zunft verlernt, dass Theater für die Leute da ist – und nicht für Selbstverwirklichungsschauspieler, -regisseure und -autoren?»
Manon Pfrunder, junge Schweizer Schauspielerin, steht neben mir und macht sich Gedanken zum «guten» Theater. Anspruchsvoll solle es ja schon sein, sagt sie, geistreich und auch kritisch. Aber ansonsten? «Der Theaterbetrieb ist selbst eine einzige grosse Inszenierung…», sagt sie leicht nachdenklich. Und sie weiss, wovon sie redet, auch wenn sie nicht genau weiss, wo es mit ihr hingehen wird. «Zwei deutsche Agenturen sind an mir interessiert», sagt sie. Ihre langen braunen Haare um ihren rechten Zeigefinger wickelnd, stellt sie nach einer Pause lachend fest: «Jetzt geht es wohl ans Planen meiner Theaterzukunft.»
Manon hat im letzten Winter «2 nach Orff» von Marcus Everding in Zürich inszeniert. Um ihn für das Projekt zu begeistern, ist sie mit ihrer Eigeninterpretation des vielschichtigen Stoffes nach München gefahren. Nachdem sie Everding bei einem Kaffee eine persönliche Einführung gegeben hatte, stimmte er dem Projekt schliesslich zu, vergass aber nicht, ihr mitzuteilen, dass er sie bei der ersten Anfrage zu ihren Änderungen an seinem Text am liebsten «gleich umgebracht» hätte. Manon lacht. «Trotzdem ist er zur Premiere gekommen.» Heute stehen keine verstimmten Autoren auf unserem Programm, sondern für einmal gar keiner. Manons Wunsch: Theatersport in Miller’s Studio – alles wird hier mit Hilfe des Publikums live improvisiert. «Warst du schon einmal bei einem Impro-Theater-Fest?», fragt Manon mich flüsternd, als wir uns in den Saal setzen. Ich muss verneinen. Mehr als die «Schillerstrasse» verbinde ich damit nicht. Für sie sei es auch das erste Mal, sagt sie. «Ist bestimmt gute Unterhaltung, wenn auch nicht tiefgründig.»
Aber genau daran mag es liegen, dass Spannung und Drive in diesem Theatersaal für alle spürbar sind, erklärt mir Manon in der Pause. «Wir Theaterleute müssen wieder lernen, beim Zuschauer Lust auf Theater zu wecken. Viele Leute haben Hemmungen, in die grossen Häuser zu gehen, weil die Stücke einfach zu abgedreht, zu schwierig und auch nicht besonders einnehmend sind.»
Das Schweizer Theatersport-Team liegt derweil mit 0:3 hinter dem Team USA-Kanada und muss aufholen. Das Team hat hierfür offenbar nur zwei Möglichkeiten: Entweder es gefällt dem Publikum auf der Bühne besser als das gegnerische Team – das ist hier und heute für die Schweizer leider nicht der Fall –, oder es bindet das später über die gezeigte Leistung abstimmende Publikum mit ein. Regelmässige Besucher des Impro-Theaters, die sich gegen exponierte Momente absichern wollen, nehmen in der Mitte Platz. Wir haben das leider nicht getan. Zwei Minuten später stehen wir bereits im Scheinwerferlicht auf der Bühne. Manon kommt aus dem Lachen nicht heraus. Vor ihr steht reglos eine andere junge Schauspielerin, der freundliche Herr direkt vor mir hat uns eben heraufgeholt. Wir, die rot angelaufenen Publikumsjoker des Teams Schweiz, sollen die beiden «bedienen» – während sie sich unterhalten. Möglichst passend zum Dialog natürlich. 3, 2, 1 – los! Wir bewegen also Arme, Kopf, sogar Beine und den ganzen Rumpf unserer zwei menschlichen «Puppen». Das Publikum lacht, ob über oder dank uns, das ist bis zuletzt nicht klar. Dann: Applaus. Manon, ganz der Profi, ergreift meine Hand und wir verbeugen uns.
Die Schweiz wird gegen das Team USA-Kanada dennoch mit 1:5 verlieren. Den einen Punkt gab es für unsere «Puppen-Nummer». Als wir das Miller’s Studio verlassen, streut sich in uns ein erlebnisbefreiter Frohsinn aus – eine Art kulturelle Bereicherung, die man nach gutem Kino, einer guten Oper oder eben nach gutem Theater verspürt. «Das ist Kunst», sagt Manon losgelöst. «Sie entsteht dort, wo das Handwerk den Betrachter berührt. Nirgends sonst.»