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Nacht des Monats
mit Levon Malkhasyan

Nacht des Monats  mit Levon Malkhasyan
Levon Malkhasyan, photographiert von Serena Jung.

Es ist 21.30 Uhr, wir sitzen in einem Jerewaner Jazzclub und warten auf den Besitzer, die Lokallegende Levon Malkhasyan. Wir sind zu früh, bestaunen die gutbestückte Cocktailkarte und entdecken darin den «Malkhas», benannt nach dem 70jährigen Pianisten. An alkoholische Schwergetränke wagen wir uns aber noch nicht und drehen eine Runde um den Block. Unser Übersetzer führt uns derweil in den hauptstädtischen Klatsch und Tratsch ein: Ein wahrer Celebrity sei Malkhas. Sein Gesicht sei auf allen Partyfotos der People-Spalten zu sehen, wohl kurz bevor er mit ebendiesem im Salat läge – ein armenisches Sprichwort für jemanden, der zu tief ins Glas geschaut hat. Punkt 22 Uhr installiert sich Levon Malkhasyan auf seinem Lieblingsplatz und vor einem Gedeck aus doppeltem Espresso und Cola. Von dort aus hat er alles im Blick: Bühne und Publikum im Souterrain, Bar und Eingangstür auf Augenhöhe.

«Maria! Maria! Meine Zigaretten, bitte!», ruft Malkhas über die Klänge der Jazzband hinweg, «und Getränke für unsere Gäste. Was möchtet ihr?» Wir halten uns an das Sprichwort, bestellen nun doch Gin and Tonic, den Salat haben wir um die Uhrzeit ja bereits intus. 22 Uhr, das sei der Beginn seines offiziellen Arbeitstages. Um halb 1 Uhr spiele er selbst, nachdem die jeweilige Band ihr Set beendet habe, um 6 Uhr in der Früh gehe er schlafen. Jeden Tag, wenn er nicht im Ausland auftrete. Wie er auf den Jazz gekommen sei, wollen wir wissen. Die amerikanische Musik aus dem kapitalistischen Westen konnte doch wohl nicht sowjetisches Allgemeingut gewesen sein? Mit 15 Jahren sei er das erste Mal darübergestolpert, im Radioprogramm des Senders «Voice of America», der sich auch hier empfangen liess. «Oscar Peterson», entweicht es Malkhas feierlich, während er auf die Wand weist, an der es eingerahmt hängt, sein Idol, Oscar Peterson. Jeden Abend habe er die «Jazz Hour» auf Kassette aufgenommen. Die Stücke Petersons – und nur diese – habe er so lange laufen lassen und wieder zurückgespult, bis seine eigenen Griffe auf dem Klavier sassen. Noten lesen könne er bis heute nicht, Oscar, der habe ihm alles beigebracht. Man hatte ihm einst das Amt des Kulturministers angeboten, Malkhas aber hat abgelehnt. «Diese beiden Dinge habe ich in meinem Leben nie betrogen: das Klavier und den Jazz.»

Als die Gläser leer sind und Malkhas zur nächsten Runde ruft, erkundigen wir uns nach den Zutaten seines persönlichen Drinks. «Wodka. Zitrone. Cola», antwortet er lächelnd. Ob die Zutaten charakteristisch seien, fragen wir auf die darauf folgende Stille nach. Unser Übersetzer lacht laut, fasst Malkhas’ Ausführungen zusammen: «I live as I play. I play as I live», und bedankt sich für uns beim armenischen «Godfather of Jazz» für das Gespräch. Wir nehmen das Zeichen hin und setzen uns mit den neuen Getränken an einen Tisch ohne Bühnensicht, alle anderen seien reserviert, informiert uns das Personal. Um Schlag Mitternacht beginnt sich der Club zu füllen, elegant gekleidetes Volk bestellt ausufernde Früchteplatten und von Trockeneis umwaberte Wasserpfeifen. Eine halbe Stunde später winkt uns Malkhas auf dem Weg zur Bühne zu, kurz bevor seine Finger nicht nur auf den Bildern der Kamera verschwimmen. So rasant das Tempo, so ruhig Malkhas’ Miene, keine Anstrengung zeichnet sein Gesicht, bis auf den Rauch, der von seiner Zigarette im Mundwinkel in Richtung Augen zieht. Dann wendet er sich den paartanzenden Gästen zu und vom Piano weg, ohne sein behendes Spiel zu unterbrechen.

Verboten sei der Jazz in der Sowjetunion nicht gewesen, meinte Malkhas gerade eben noch, eher «nicht gern gesehen». Er sei sogar bis nach Berlin getourt, aber geträumt habe er immer von New York. Gleich Anfang der 1990er Jahre flog er hin, jeden Abend sass er in einem anderen Club. «Ich wollte alle die Leute sehen, die ich nur ab Band kannte. Ich musste wissen, ob so, wie ich die letzten 30 Jahre gespielt hatte, auch hier gespielt wurde – ob ich es richtig gemacht hatte!» New York sei es auch gewesen, weil die Diaspora da weniger vernetzt war als in Kalifornien. Er habe dieser zwar seine vollständige Oscar-Peterson-Kollektion zu verdanken, die von den Diaspora-Armeniern – im Tausch gegen ein paar Jeans – importiert wurde, aber diese Reise habe er selbständig antreten müssen. Heute ergänzen 4000 Platten seine Peterson-Sammlung, und immer wieder verteilt er die eine oder andere einem jungen Jazzer, als Weiterbildung. Wir wissen nicht, wie paarzutanzen sei, deshalb nippen wir mit dem Fuss wippend an Hochprozentigem und rauchen, wie es im New York der 1990er vielleicht auch noch möglich war.

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