Nacht des Monats
mit Money Boy
Wir stehen in einer schlecht beleuchteten Industriehalle, da taucht plötzlich ein Kerl mit Skimaske vor uns auf und bewirft uns mit Dollarnoten. «Hat von euch schon einmal jemand eine Gun gefeuert?», fragt er. Die jungen Menschen neben mir recken Wasserpistolen in die Luft. Leergefeuert. Denn der grosse Star des Abends hätte bereits vor einer Stunde auftreten sollen. Doch er sei heute nicht in Feierlaune, erklärt der Maskierte, der für ihn die Stimmung anheizen soll. Das gelingt nur bedingt: Die Zuschauer, grösstenteils männlich, unter zwanzig, buhen ihn aus. Einer schleudert sein Bier in Luft. Und dann, nach einer gefühlten Ewigkeit, betritt er endlich die Bühne: Money Boy, der aus Wien stammende «beste Rapper Deutschlands». Die Goldkette, die auf seinem Bäuchlein ruht, glänzt im Scheinwerferlicht. Er sei froh, in der Schweiz auftreten zu können, sagt er, viel zu lang sei er nicht mehr hier gewesen. Eigentlich hätte man meinen können, dass es den Egomanen eher frustrieren würde, dass ihn bis auf das Zuger Jugendzentrum, in dem wir stehen, hierzulande niemand buchen wollte. Doch für Zweifel bleibt keine Zeit. Der studierte Kommunikationswissenschaftler fängt an zu rappen. «Ich bin der Chickenman / Ich ess das Chicken auf / Und bekomme von dem Chicken / Einen dicken Bauch.» Die Zuschauer kennen kein Halten: Sie stürmen die Bühne, um ihrem Idol noch näher zu sein. Kaum haben es die Securityleute geschafft, einen zurückzudrängen, kraxelt daneben schon der nächste hoch. Ich merke: Die Jungs nehmen das Ganze um einiges ernster als ich. Denn eigentlich bin ich bloss zum Spass hier. Eigentlich sind, so glaubte ich vor dem Konzert, alle bloss zum Spass hier. Selbst Money Boy. Vor allem Money Boy.
Sebastian Meisinger, wie der 33-Jährige mit bürgerlichem Namen heisst, ist nämlich weder für intelligente Texte noch für seinen Bariton bekannt – die Fans mögen ihn, weil seine Songs so schlecht sind. Und das weiss der Monetenjunge auch. Schliesslich verdankt er seinen Erfolg dem Musikvideo «Dreh den Swag auf», einem Konvolut lyrischer Kapitalverbrechen wie «Zähle so viel Money jeden Tag / Ich finde es echt geil / Mein Swagger ist total ausser Kontrolle / Ich bin echt nice», das, eben weil es so schrecklich ist, einen enormen Hype auslöste. Und was folgt auf Hypes? Genau: Plattenvertrag bei Sony, Auftritt bei MTV, Hauptrolle in einer Fruchtsaft-Werbung.
Sigmund Freud schrieb einst, dass es uns Witz und Ironie ermöglichten, einen unterdrückten Trieb auf eine gesellschaftlich akzeptable Weise auszuleben. In diesem Sinne würde es mir Money Boy erlauben, mich für einmal an gewalt- und drogenverherrlichenden Songtexten zu erfreuen, ohne mich dafür schämen zu müssen. Doch leider funktioniert das nur noch halb so gut, wenn man feststellt, dass die Leute rundherum den Witz weder verstehen noch merken, dass es sich um einen handelt.
Während ich noch über Freud sinniere, rammt mir ein Bursche, der mich um mindestens zwei Köpfe überragt, grundlos den Ellenbogen in die Seite. Und ein zweiter, dessen Augenringe bis auf den Boden reichen, torkelt zweimal durch mein Sichtfeld, bis er auf dem Bartresen landet und von der Security nach draussen begleitet wird. Mir wird klar: An diesem Abend werde ich nicht mehr her-ausfinden, ob seine Fans bloss zu jung sind, um die Ironie dieser Kunstfigur zu verstehen, oder ob – im Gegenteil – Money Boys Genialität genau darin besteht, Journalisten und andere Ironiker glauben zu lassen, er sei eine Kunstfigur. Als ich das Konzert kurz vor Schluss verlasse, zeigt sich immerhin, wohin es führt, wenn Leute nicht zwischen Spass und Ernst unterscheiden können: Der Augenringträger liegt nun ausgestreckt auf dem Asphalt. Sein Kapuzenpulli saugt sich langsam mit Rinnsteinwasser voll, während zwei seiner Freunde versuchen, ihn zum Aufstehen zu bewegen. Ein paar Schritte weiter vorn fragt ein Bursche einen anderen brüllend, ob er sich etwa mit ihm prügeln wolle. – Money Boy mag sich für den besten Rapper Deutschlands halten – die besten Fans hat er sicher nicht.