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Maximilian Stern

Am Ende dieses Abends weiss ich wieder, warum ich an meinem eigenen Esstisch so selten Schriftsteller bewirte: weil sie einem zuweilen den Eindruck vermitteln, man sei ein archetypisch-neoliberales Kapitalistenschwein (immerhin) allererster Güte, man selbst wisse das bloss nicht. Vier Stunden zuvor hatte Robert Menasse sich noch lachend und mit zünftigem Händedruck als «Robert. Froid mi!» vorgestellt. Was war zwischen Salat und Glace, was war zwischen dem Max-Frisch-Preisträger und mir passiert?

Es begann mit einem «Angebot, das ein Kulturredaktor nicht ablehnen kann»: gemütliches Abendessen bei Familie Stern in Zürich, wahr und wirklich, kernig-echt mit Kind und Kegel – und obendrein mit dem linksliberalen österreichischen Schriftsteller und Essayisten Robert Menasse, von mir tiefverehrt und hochgeschätzt ob seiner wunderbar angriffigen Feuilletons und seiner politisch unkorrekten Milieuprosa. Während ich, leicht verspätet, noch den Mantel abwerfe, hebt der Herr mit den belockten Geheimratsecken über der markanten Brille schon sein Glas, lächelt goldig und «Zum Wohle!».

Familie Stern bewirtet fürstlich, Sohn und Kollege Maximilian hat nicht nur gekocht, sondern regt auch gleich die intellektuellen Diskussionen um Kunst, Schriftstellerei und Politik an. Alle diskutieren mit, die Stimmung ist ausgelassen und freundlich, während ich noch darüber sinniere, warum ich nicht öfter Schriftsteller zum Abendessen einlade. Es muss dann irgendwann während des Hauptgangs gewesen sein, dass sich Menasse bei mir erkundigte, welchem deutschen Bundesland ich wohl entstamme – das sei ihm ob meiner Schweizer Intonation kaum identifizierbar. NRW. «Ach!», ruft Robert und schlägt hier die Brücke zu seinem aktuellen Lieblingsthema: Er sei ja erst kürzlich zu Recherchezwecken bei der EU in Brüssel gewesen, die Damen und Herren Abgesandten aus Nordrhein-Westfalen fand er toll, fleissig und noch von Idealen beseelt, also gar nicht so «typisch deutsch», wie er das vorher angenommen habe. Überhaupt, so führt er aus, sei die Europäische Union doch eine wunderbare Sache, ja ein Ideal, dessen Wert man kaum an der aktuellen profan-politökonomischen Empirie messen dürfe. Während ich vom Bier zum Weisswein übergehe und Max mir noch etwas Quinoa-Auflauf herüberschöpft, mache ich den kapitalen Fehler des Abends: Ich frage Menasse, ob da nicht vielleicht zutage trete, dass Ideal und Wirklichkeit in dieser Sache kaum je zueinanderfinden werden, und ob nicht doch ein konsequenter Föderalismus bedenkenswert sei. Danach ging’s intellektuell wie zwischenmenschlich abwärts: Die skeptischen Blicke übers schriftstellerische Brillengestell häuften sich, ebenso der Griff zum Weinglas, der zur Zigarette – die Wogen gingen hoch. Bilateral. Denn die anderen Tafelgäste schwiegen. Während Robert und ich uns irgendwann bloss noch wechselseitig der Naivität, des Ideologisierens oder der Verzerrung von Tatsachen bezichtigten, wanderten die Familienköpfe hin und her wie beim Wimbledonfinale. Einzig Maximilian, ganz der Diplomat, der er mal werden wird, versuchte zu vermitteln, man könne beide Standpunkte mit Recht vertreten. Es war zwecklos. Robert und ich, so dachte ich – und wohl auch Max irgendwann –, wir werden heute keine Freunde mehr. Eher empirischer Nachweis für die Richtigkeit der Luhmann’schen Systemtheorie, dass Subjekte, die in unterschiedlichen (Denk-)Systemen daheim sind, nie die gleiche Sprache sprechen, sich folglich auch nicht verstehen, geschweige denn dialogisch voneinander lernen werden. Darauf noch ’nen Wein!

Als mich Max’ Stiefvater zu später Stunde nach Hause fuhr, war er irritierend guter Dinge. Die Diskussion zwischen Menasse und mir, fragte er, sie sei doch einstudiert gewesen – wir hätten das bestimmt schon oft geprobt? Ich musste verneinen. Den Robert, sagte ich, hätte ich just zu Tisch erst kennengelernt. Und zwar im doppelten Sinn, es sei doch unabsichtlich tragisch geworden. Er habe es genossen, sagte mein Gastgeber, und meinte, die Wahrheit liege wahrscheinlich irgendwo in der Mitte. Als ich ausstieg und mich bedankte, war ich mir sicherer denn je: So etwas wie Wahrheit, das gibt es nicht. Weder in der Kommunikation noch am bestgeerdeten Esstisch.

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