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Nach uns der Schuldenberg
Patrick Eugster, zvg.

Nach uns der Schuldenberg

Trotz des drängenden Problemdrucks tut sich das Parlament schwer mit echten Reformen des Rentensystems. Es gibt aber Grund zur Hoffnung, dass die Politiker nun auf den Weg der Tugend und der Nachhaltigkeit zurückfinden.

 

Wie finanzieren wir die AHV-Renten, sollte die Schweiz dereinst eine Million mehr Rentner als heute zählen? Es ist keine hypothetische Frage: Bereits in 30 Jahren wird die zusätzliche Million Realität sein. Diese Million Rentner werden alle eine AHV-Rente beziehen – im Schnitt etwas mehr als 20 000 Franken pro Jahr. Die Mehrausgaben für die AHV belaufen sich also auf über 20 Milliarden Franken in einem einzigen Jahr.

Zwar wird auch die Zahl der Erwerbstätigen zunehmen, also jener Personen, welche in die AHV einzahlen. Allerdings viel weniger stark. Finanzieren heute noch mehr als drei Erwerbstätige die AHV-Rente eines Pen­sionärs, werden es in 30 Jahren nur noch zwei Erwerbs­tätige sein.

Diese Realitäten sind längst bekannt und dennoch tun sich Bundesrat und Parlament seit jeher schwer damit, eine Lösung zu finden. Das Rezept lautete bisher: Steuererhöhungen. So wird das Problem nicht gelöst, sondern nur in die nächste Legislaturperiode verschoben. Nach uns die Sintflut. Sollen sich die künftigen ­Generationen darum kümmern.

Das Ungleichgewicht nimmt zu

Diese Generationen sehen sich wegen dieser unbekümmerten Haltung mit einem immer grösseren Schuldenberg konfrontiert. Auf etwa 125 Milliarden Franken beziffert das Bundesamt für Sozialversicherungen den ­kumulierten Fehlbetrag bis ins Jahr 2045. Das ist fast dreimal so viel, wie die AHV heute in einem Jahr gesamthaft an Renten auszahlt. Faktisch müsste also die Rentenauszahlung für drei Jahre sistiert werden, nur um das Defizit bis ins Jahr 2045 zu decken. Und im Jahr 2046 ist nicht Schluss: Mit jedem weiteren Anstieg der Lebenserwartung verstärkt sich das finanzielle Ungleichgewicht in der AHV.

Die steigende Lebenserwartung ist also die Ursache der schlechter werdenden Finanzen. Eine langfristige Lösung muss deswegen zwingend die demografische Veränderung berücksichtigen. Über eine solche Lösung wird das Parlament – und in rund zwei Jahren auch das Volk an der Urne – schon bald beraten müssen. Die Renteninitiative liegt aktuell bei der zuständigen parlamentarischen Kommission. Die Volksinitiative wurde im Sommer 2021 mit 150 000 Unterschriften eingereicht und will, dass sich das Rentenalter an der Lebenserwartung orientiert. Leben wir länger, soll automatisch das Rentenalter angehoben werden. Der Bund schätzt, dass die Lebenserwartung künftig um etwa 40 Tage pro Jahr ansteigt. Eine Annahme der Initiative würde in diesem Fall per Automatismus jedes Jahr zu einem um rund einen Monat höheren Rentenalter führen.

Wie wird sich das Parlament positionieren? Eine Annahme der Volksinitiative oder zumindest ein griffiger Gegenvorschlag wäre konsequent. Denn sowohl ­National- als auch Ständerat haben eine Motion unterstützt, die ein Netto-Null-Ziel für die AHV fordert: Das Umlageergebnis darf im Jahr 2050 nicht negativ sein. Die Renteninitiative liefert einen Steilpass, um dieses Versprechen einzulösen.

Ende der linken Dominanz

Der kritische Leser mag sich an dieser Stelle fragen, ­warum das Parlament gerade jetzt eine strukturelle ­Reform vorantreiben soll, waren doch in den letzten 20 Jahren alle Anläufe im Sand verlaufen.

Im letzten September ist etwas Entscheidendes passiert. Für Jahre – ja Jahrzehnte – dominierten die Sozialdemokraten die Sozialpolitik fast nach Belieben. Eine Reform ohne ihre Zustimmung war zum Scheitern verurteilt – die SP war eine Vetomacht. Warum als Bürgerlicher also überhaupt versuchen, eine nachhaltige Reform anzureissen ohne Aussicht auf Erfolg? Dieses ­«Naturgesetz» ist im vergangenen September gebrochen worden mit dem Volks-Ja zur AHV-21-Vorlage. Es ist ein erster Hoffnungsschimmer, dass künftig auch die dringend notwendigen nachhaltigen Reformen – die Renteninitiative – möglich sind. Und zwar dann, wenn die reformwilligen Kräfte von Grünliberalen über die Mitte und den Freisinn bis zur SVP in der Altersvorsorge weiterhin zusammenspannen.

«Faktisch müsste die Rentenauszahlung für drei Jahre sistiert werden, nur um das Defizit bis ins Jahr 2045 zu decken.»

Konfusion bei der zweiten Säule

Gewiss, die Allianz ist noch labil. Doch mit der gewonnenen Abstimmung im Rücken scheint der Wille stärker als auch schon, den Reformstau endlich anzugehen. Die berufliche Vorsorge könnte diesbezüglich ein weiteres Exempel bieten. Denn auch die zweite Säule ist von der demografischen Realität eingeholt worden. Realitätsferne Vorgaben des Bundes haben dazu geführt, dass das angesparte Alterskapital des durchschnittlichen Versicherten vor dem Ableben aufgebraucht ist. Dieses Loch wurde bis anhin gestopft, indem Geld von den Erwerbstätigen an die Rentner umverteilt wurde. Auf insgesamt 45 Milliarden Franken schätzt die Oberaufsichtskommission Berufliche Vorsorge diese eigentlich systemwidrige Umverteilung seit 2014. Auf dem Papier ist klar, welche Korrekturmassnahmen nötig sind, damit das Geld im Kässeli sicher bis zum Tod ausreicht. Es muss mehr oder länger gespart werden und/oder es muss weniger oder weniger lang Geld bezogen werden.

Auch diese Realitäten sind längst bekannt, und auch hier tun sich Bundesrat und Parlament schwer ­damit, eine Lösung zu finden. Auf dem Tisch liegt aktuell eine Kombination obiger Lösungsansätze. Der Umwandlungssatz soll gesenkt und es soll mehr gespart werden. Die Krux: Die Reform soll gleichzeitig sicherstellen, dass die Renten nicht sinken. Entsprechend dreht sich im Parlament seit längerem alles um die Übergangsgeneration, welche geschaffen wurde, um ebendieses Ziel zu erreichen. Denn Personen kurz vor der Pensionierung erhielten mit einer Kürzung des Umwandlungssatzes eine tiefere Rente, weil für sie keine Zeit bleibt, ein höheres Alterskapital zu bilden.

Wie genau diese Übergangsgeneration schliesslich aussehen wird – im Parlament entstehen fast wöchentlich neue Vorschläge –, ist noch unklar. Klar hingegen ist, dass jene Kräfte, welche die zweite Säule am liebsten gleich ganz abschaffen wollen, diese vermeintliche Konfusion längst ausnutzen. In der AHV erhalte man mehr fürs Geld. Warum also keine Volkspension in der Form einer einzigen (ersten) Säule einführen? Dass diese Versprechungen nachweislich falsch sind, ist ­sekundär. Das primäre Ziel ist erreicht: Der Komplexität der zweiten Säule wurde eine weitere Dimension hinzugefügt und dies schmälert so die Wahrscheinlichkeit, dass eine Reform der beruflichen Vorsorge gelingt und diese weiterbestehen kann.

Es ist deswegen essenziell, dass sich die reformwillige Allianz erneut zusammenrauft. Anzeichen hierfür gibt es: National- und Ständerat nähern sich mit ihren jeweiligen Vorschlägen langsam einander an. Diese Entwicklung ist ein weiterer Hoffnungsschimmer, dass strukturelle Reformen auch in der AHV möglich sind. Und die Geschichte liefert uns einen dritten Hoffnungsschimmer.

In den 1990er-Jahren standen wir bei den Bundes­finanzen an einem ähnlichen Punkt wie heute bei der AHV. Damals explodierten die Schulden des Bundes – von 25 Milliarden im Jahr 1990 auf über 100 Milliarden Franken bis Ende 2004. Als Reaktion auf diese Notlage beschlossen das Parlament und das Volk die Schuldenbremse. Heute ist die Schuldenquote trotz Coronaausgaben nur noch halb so hoch wie noch 2004. Ein Erfolg, um den uns die ganze Welt beneidet. Diese Weitsicht müssen wir – muss das Parlament – nun erneut beweisen, um die Renten zu sichern – für die eine Million zusätzlichen Rentner in 30 Jahren, aber auch alle anderen, die noch folgen werden.

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