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Vergessen Sie alles, was Sie über mediterrane Küche gelernt haben
Mediterrane Kost: Schinken, Tocino, Speck, Schweinegrüben und Blutwürste. Wurstwaren in der Markthalle von Sitges an der katalanischen Küste, fotografiert von Christian Felix.

Vergessen Sie alles, was Sie über mediterrane Küche gelernt haben

Wer gesund alt werden will, so heisst es, sollte sich mediterran ernähren: viel Gemüse, Kräuter, Obst und Olivenöl. Nur haben die Menschen am Mittelmeer noch nie davon gehört.

Es ist das Vaterunser der Ernährungsberatung: Keine Gesundheitsseite in den Medien, ohne dass irgendwelche Experten der Leserschaft dringend zur Umstellung auf mediterrane Kost raten: viel Gemüse, Obst und Olivenöl. In der Tat haben hinter der Schweiz Spanien und Italien die höchste Lebenserwartung unter den grösseren europäischen Ländern.1 Allerdings kaum wegen der beschriebenen Kost. Das zeigt eine kulinarische Reise durch die Länder des Mittelmeerraums.

Andalusische Schweinereien

Ein kleines Restaurant in einer Seitengasse mitten in Malaga. Hier mache ich wieder einmal eine kulinarische Entdeckung: Thunfisch mit Schweineschmalz. Eine köstliche und für diese Küstengegend typische Kombination. Wohl wachsen nirgendwo auf der Welt mehr Olivenbäume als in Andalusien. Doch die Grundlage der andalusischen Küche ist das Schweinefett. Selbst Süssigkeiten – Mantecados und Polvorones – werden mit Schweineschmalz zubereitet. Weltbekannt aus Andalusien ist der Schinken aus Jabugo, vom schwarzen iberischen Schwein. Die besten und teuersten Stücke bestehen zur Hälfte aus schönem weissem Fett. Die Volksspeise in Spaniens Süden sind Migas, in Tocino (weissem Speck) und Schmalz geröstete Brotkrumen.

«Wohl wachsen nirgendwo auf der Welt mehr Olivenbäume als in

Andalusien. Doch die Grundlage der Küche ist das Schweinefett.»

Zwar kommen, wie von den Ernährungsgurus auch empfohlen, in Andalusien wie in ganz Spanien oft Hülsenfrüchte auf den Tisch. Aber ohne Hinzugabe von Schweinereien wie Morcillas (Blutwürstchen), Chorizos (Paprikawürste) und Tocino schmecken Linsen und Bohnen dort niemandem. Noch kurz halte ich mich in Andalusien auf, um festzustellen, dass nicht nur Fisch, sondern auch das vielgelobte Gemüse gerne in Fett ausgebacken verzehrt wird.

Weiter nördlich stosse ich auf das Nationalgericht der Katalanen: Botifarra amb Mongetes (weisse Schweinebratwurst mit in Knoblauch geschwenkten weissen Bohnen). Überhaupt Knoblauch. In der katalonischen Küche wird er im Mörser mit Petersilie und Mandel zu einer Picada verklopft. Diese bindet allerlei Sossen und schmeckt sie ab. Die Paste erinnert an den Pesto in Genua. Darin ist für einmal nur Nussfett, wobei sich angesichts der Picada herausstellt, dass Petersilie fast das einzige Kraut ist, das in der spanischen Küche verwendet wird. Kräuter sind für Kranke.

Doch bleiben wir beim Knoblauch. Er ist auch Bestandteil des berühmten Alioli (wörtlich Knoblauch und Öl). Der Knoblauch wird im Mörser zu einer Creme zerstossen. Das Öl wird dazugeträufelt. So entsteht eine cremige Masse. Notfalls hilft ein Eigelb zum Binden. Wahrscheinlich aus Mahón auf Menorca kommt ein ganz merkwürdiger Alioli, einer ohne Knoblauch. Nach seinem Herkunftsort heisst er Mahonesa, französisch Mayonnaise.

Die Inseln der Langlebigen

Im Land der Mayonnaise, auf den Balearen, haben die Menschen die höchste Lebenserwartung in ganz Spanien. Und siehe da: In den Metzgereien Mallorcas hängen riesige, rote fette und phallische Würste von der Decke, die Sobresadas. Sie bestehen aus gebratenem Schweinefleisch und Paprikapulver. Man schneidet sie auf und streicht den Inhalt auf ein Stück Brot. Ein Gedicht von einem Essen.

Damit stosse ich auf eine andere Eigenheit der mediterranen Küche. Rund um das ganze Mittelmeer essen die Menschen alle salzigen Speisen zusammen mit viel Weissbrot. Das mallorquinische Brot ist salzlos und dennoch oder gerade deswegen besonders geschmackvoll. Es bleibt tagelang frisch. Der Grund: Auf Mallorca gedeihen noch alte Weizensorten. Sie sind weniger ertragreich als der moderne Weizen. Dafür zeichnen sie sich durch einen hohen Eiweissgehalt aus. Vor allem aber enthalten sie einen Bruchteil des Glutens moderner Sorten und sind damit besser verdaulich. Ähnliche alte Weizensorten wurden auf italienischen Inseln angebaut, auf Sizilien und Sardinien. Auf Sardinien liegen in der sogenannten «blauen Zone» 14 Dörfer, in denen auffällig viele über 100-Jährige leben. Den Teig für ihr traditionelles Fladenbrot kneten sie selbst.

Bologna – die fette Stadt

Auch in Bologna, der «città grassa», der fetten Stadt, hängt der Himmel voller Schinken und Käse, der Rahm ist so dick, dass der Löffel darin stecken bleibt. In Bologna spielt sich in den Metzgereien ein geradezu poetischer Vorgang ab, wenn eine dünne Scheibe Mortadella abgeschnitten wird: Sie gleitet an der baumstammdicken Wurst herunter, faltet sich und kommt so in das Brötchen. Am besten in die schneeweisse, fast salzlose Semmel mit den Spitzen. Zu Brot passt auch Friggione, ein Gemüsegericht aus der Emilia Romagna: Es besteht aus in Schweineschmalz langsam geschmorten Zwiebeln und Tomaten. Italien lasse ich gleich wieder hinter mir, halte nicht mal in Florenz an, der Stadt des Bistecca alla fiorentina, eines T-Bone-Steaks vom Jungochsen. Das letzte Ziel in Italien ist Rom. Die Ewige Stadt steht kulinarisch für Innereien und in Teig frittierte Speisen. Bekannt sind die Calamari alla romana. Übrigens isst Italien durchaus viel Gemüse, einfach deshalb, weil die Kartoffel dort als Gemüsesorte gilt.

Die strahlende Sau

Neben Sardinien gibt es auch auf Ikaria in Griechenland besonders viele langlebige Menschen. Die Bevölkerung hielt sich lange Zeit in den dichten Wäldern der Insel versteckt. Und jetzt endlich kommt es: Sie essen ausgesprochen viel Gemüse. Allerdings in Form von üppigen Aufläufen mit fettem Joghurt, Feta und Brot. Auf Ikaria gibt es zudem, ähnlich wie übrigens auf Mallorca, natürliche radioaktive Strahlung. Laut den Inselbewohnern beeinflusst diese Strahlung wenn nicht die Gesundheit, dann zumindest das Gemüt. «Wir spinnen alle ein wenig», erzählt mir die junge Frau von der Autovermietung. Sie ist gerade traurig: «Meine Sau wurde geschlachtet, weil sie fett geworden ist. Sie hiess Sumarella.»

Die Ernährungsberatung hat recht: Essen Sie mediterran!

  1. EU-Lebenserwartung in den Mitgliedstaaten | Statista

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