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Mut zur Utopie
Gerhard Schwarz, zvg.

Mut zur Utopie

Hayek hat den grossen Einfluss der Intellektuellen früh erkannt. Und die Liberalen in die Pflicht genommen.

Gerhard Schwarz kommentiert «Die Intellektuellen und der Sozialismus» von Friedrich August von Hayek.


 

Der vielbeachtete Aufsatz über die Intellektuellen und ihren Hang zum Sozialismus erschien zuerst in der Frühlingsausgabe 1949 von «The University of Chicago Law Review» auf Englisch. Noch steckte den Menschen der grosse Krieg in den Knochen, Ludwig Erhards grosses Befreiungswerk, die deutsche Wirtschafts- und Währungsreform, lag kein Jahr zurück, der Kalte Krieg hatte längst begonnen und Hayeks in über 30 Sprachen übersetzter Bestseller «The Road to Serfdom» war noch nicht fünf Jahre alt.

In dieser Zeit, als der National-Sozialismus besiegt worden war und der International-Sozialismus sich in ganz Osteuropa ausbreitete, fragt sich Hayek, warum Intellektuelle so sehr zu sozialistischen Anschauungen neigen. Er unterstellt den Intellektuellen weder böse Absichten noch egoistische Ziele, sondern ehrliche Überzeugung und idealistisches Bestreben. Für ihn unterliegen sie, wie er oft betont, einem fatalen Irrtum über entscheidende Fragen des Zusammenwirkens in Wirtschaft und Gesellschaft. Fast kritischer ist er gegenüber jenen Vertretern des Status quo, die die links angehauchten Intellektuellen als neurotische Ruhestörer ansehen.

Mit «Intellektuellen» meint Hayek nicht die wirklich originellen Denker, die Gelehrten und Experten, sondern alle, die sich als berufsmässige Ideenvermittler betätigen, gewandt reden und schreiben können und ein Gespür für neue Ideen haben. Er nennt Lehrer, Journalisten, Schriftsteller, Schauspieler, Künstler, freie Berufe, auch viele Wissenschafter und Ärzte, die «ausserhalb ihres eigentlichen Fachgebietes … mit Respekt angehört werden». Dass diese Intellektuellen die einzige wirkliche internationale Gemeinschaft darstellen, würde Hayek heute wohl nicht mehr so sehen. Das war noch vor der Globalisierung, die vor allem die Manager zu einer weltweit vernetzten Kaste gemacht hat.

Hingegen gibt es am Urteil, dass die Intellektuellen mächtiger sind, als das gemeinhin gesehen wird, nichts zu revidieren. Sie prägen über die veröffentlichte Meinung die öffentliche Meinung und die Politik. George Stigler, wie Hayek Nobelpreisträger der Ökonomie, nahm das Thema 14 Jahre später in «The Intellectual and the Marketplace» wieder auf, und es ist heute nicht minder aktuell.

Gemäss Hayek wählen Menschen, die lebhaft, intelligent und originell sind sowie der Gesellschaftsordnung eher feindlich gegenüberstehen, besonders gerne intellektuelle Berufe. Das ist die eine Erklärung für den Linksdrall der Intellektuellen. Die andere liegt in der Anziehungskraft des Sozialismus aufgrund von dessen spekulativem Charakter, da Intellektuelle Sachfragen fast nur anhand weniger Grundbegriffe und allgemeiner Ideen beurteilten. Da sie Generalisten seien oder sich ausserhalb ihrer Kernkompetenz äusserten, sei es ihnen wichtig, dass sich neue Ideen leicht in das Weltbild integrieren liessen, das ihnen modern und fortschrittlich erscheine. Die Beispiele ­Hayeks für intellektuelle Moden sind weniger zeitgebunden, als man vermuten würde. Er nennt die Überzeugung, dass die weitgehende Demokratisierung aller möglichen Institutionen von Vorteil sei, das nicht auf Erfahrung, sondern nur auf Theorie basierende Verlangen nach materieller Gleichheit und den Glauben, man könne die menschliche Gesellschaft ähnlich beherrschen und gestalten wie die Naturkräfte.

Für mich waren zwei Gedanken Hayeks in diesem Aufsatz früh prägend. Es ist zum einen die Beobachtung, dass die Freiheit, wenn sie einmal errungen ist, schnell als selbstverständlich hingenommen und nicht mehr geschätzt wird. Und zum anderen ist es die Einschätzung, dass die geringe Attraktivität des Liberalismus für die Intellektuellen damit zu tun hat, dass dieser als «praktisch», «vernünftig» und «realistisch» gilt. «Was uns heute mangelt», schreibt Hayek, «ist eine liberale Utopie.» Er meint damit einen radikalen Liberalismus, der einen grossen Teil der bestehenden Institutionen bewahrt und doch den Status quo nicht einfach verteidigt, der nicht in einem verwässerten Semisozialismus endet, der auf die Empfindlichkeiten der mächtigen Interessengruppen nicht gross Rücksicht nimmt und der sich vor allem nicht auf Dinge beschränkt, die heute als politisch möglich erscheinen, sondern Mut zur Utopie entwickelt. Das ist im grossen Ganzen die raison d’être und das Programm jeder liberalen Denkwerkstatt.

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