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Müde EU-Enthusiasten

Debatte // Die Schweiz & die EU «Der EU-Beitritt ist nach wie vor eine Option
für die Schweiz.» So steht es im aussen-
politischen Bericht der Bundesrats. Stehen wir
am Anfang einer neuen EU-Debatte?

«Der EU-Beitritt ist nach wie vor eine Option

für die Schweiz.» So steht es im aussen-

politischen Bericht der Bundesrats. Stehen wir

am Anfang einer neuen EU-Debatte?

 

 

Die Schweiz ist von Sorgen geplagt. Sogenannt fortschrittliche Intellektuelle haben nun aber endlich eine Antwort auf alle Probleme gefunden, die das Land beschäftigen: EU. Zwei Buchstaben, die alles zum Guten wenden. Mit EU kein Fall Gaddafi. Kein Fall UBS. Kein Bankenstreit. Kein Steuerstreit. Überhaupt kein Streit. Ein EU-Beitritt – so Dieter Freiburghaus in einer treffenden Formulierung in der letzten Ausgabe – «bringt Erleichterung». Man kann die Intellektuellen verstehen. Sie sehnen sich nach Ruhe. Die letzten Monate haben an ihren Kräften gezehrt.

     Ausgelöst wurde die EU-Diskussion durch die Veröffentlichung des aussenpolitischen Berichts des Bundesrats Anfang September 2009. Der Bericht lieferte die Stichworte, die seither durch die Medien geistern. Erstens: «Der bilaterale Weg darf nicht zu einer de facto-Mitgliedschaft ohne Stimmrecht führen.» Zweitens: der EU-Beitritt ist «nach wie vor eine Option für die Schweiz».

     Damit hat der Bundesrat die neu-alten EU-Befürworter aus ihrem Dornröschenschlaf geweckt. Sie treten mit dem Anspruch auf, eine für dieses Land zentrale Frage zu «enttabuisieren». Sie argumentieren wie folgt: der autonome Nachvollzug von EU-Recht dürfe nicht zu einem automatischen Nachvollzug werden. Woraus sie folgern, dass ein Beitritt unumgänglich sei; denn nur wer mitmache, könne auch mitbestimmen. Ein EU-Beitritt als Stärkung der helvetischen Autonomie? Das ist zweifellos ein intellektuell herausforderndes Paradox. Aber zugleich eine realitätsfremde Denkart. Sie zeugt von grosser Müdigkeit.

     Die kraftlosen EU-Lobbyisten verweisen gerne auf Irland, das bloss dank Euro-Währung nicht bankrott ging, und auf Island, dessen Staat Insolvenz anmelden musste – und dessen Bürger sich infolgedessen in die Arme der EU zu flüchten suchten. Aber ist die EU wirklich ein sicherer Hafen?

     Die Union steht – nach den milliardenschweren Konjunkturprogrammen und Stützungsmassnahmen der EU-Staaten – auf tönernen Füssen. Wird ein EU-Staat zahlungsunfähig – und das ist angesichts der Überschuldung von Staaten wie Italien oder Griechenland durchaus möglich –, so unterbindet der Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft in der heute gültigen Fassung eine Haftung der anderen Mitgliedstaaten und der Union durch eine no-bailout-Klausel in Art. 103. Zugleich heisst es jedoch in Art. 100 Abs. 2: «Ist ein Mitgliedstaat aufgrund von Naturkatastrophen oder aussergewöhnlichen Ereignissen, die sich seiner Kontrolle entziehen, von Schwierigkeiten betroffen oder von gravierenden Schwierigkeiten ernstlich bedroht, so kann der Rat mit qualifizierter Mehrheit auf Vorschlag der Kommission beschliessen, dem betreffenden Mitgliedstaat unter bestimmten Bedingungen einen finanziellen Beistand der Gemeinschaft zu gewähren.»

     Die Kommission liebäugelt aus politischer Opportunität mit solchen Auslösungszahlungen – obwohl unseriöses Wirtschaften von Staaten nichts  mit einer Naturkatastrophe, sondern alles mit staatlichem Versagen zu tun hat. Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis sich die EU-Empfänger- und Geberländer über die Paragraphen in die Haare geraten.       

     Und wie steht’s um die politische Dimension der EU? Der «Club Helvétique», ein Zusammenschluss neu-alter EU-Befürworter, hat sich damit in einem Manifest befasst. Er träumt von einer Neugeburt Europas aus dem Geiste der Eidgenossenschaft: «Die EU ist auf dem langen Weg einer ‹europäischen Eidgenossenschaft›, in der Vielfalt der Kulturen herrscht.» Schön gesagt, aber doch nicht wirklich scharf gedacht. Die EU ist realiter auf dem umgekehrten Weg der Zentralisierung und der Harmonisierung. Ihre Institutionen sind demokratisch kaum legitimiert und rechtsstaatlich bedenklich. Zum Beispiel die Kommission, die als Superstaatsanwalt der Union judikative Kompetenzen mit exekutiven und legislativen Befugnissen vereint (vgl. hierzu das Dossier in SMH-Nr. 965 «Europa, gerne. EU, nein danke!»).

     Die Zitate der EU-Phantasten sind aufschlussreich. Wiederum der «Club Helvétique»: «Wir Schweizerinnen und Schweizer, Europäerinnen und Europäer wollen unseren Beitrag zum Aufbau der Europäischen Union leisten. Unsere Willensnation gehört in die europäische Willensunion.» Alles klar. Die Schweiz soll der EU beitreten, um sie zu retten. Ein weiteres – entlarvendes – Paradox, das von grosser Denkmüdigkeit zeugt.

     Die EU-Befürworter sind nicht zu beneiden. Sie scheinen irgendwie selbst nicht mehr an das Grossprojekt EU zu glauben. Das ist auch verständlich. Dennoch wäre ein wenig mehr intellektuelle Stringenz nicht schlecht. Sonst führt die «Enttabuisierung» am Ende bloss zu einer Pseudodebatte.

 

Bisheriger Verlauf:

Auslöser Debatte // Dieter Freiburghaus: «Aussenwirtschaftspolitik
ohne Führung», Ausgabe 973

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