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Mord im Regioexpress
Sunil Mann, fotografiert von Eke Miedaner.

Mord im Regioexpress

In jedem Schweizer Dorf liegt bald eine Leiche vergraben, deren Mord es aufzudecken gilt. Regionalkrimis finden reissenden Absatz.

 

Totgesagte leben länger. Was der deutsche Titel eines amerikanischen Films noir aus den 1940ern sein könnte, klingt abgenudelter und platter als ein Kalenderspruch auf Facebook. Im Bausteinkasten der Literaturkritik hat der Satz jedoch seinen festen Platz und wird bevorzugt eingesetzt, wenn es um Regionalkrimis geht und die Inspiration gerade fehlt.

Seit Ende der 1980er die ersten Kriminalromane in Deutschland erschienen sind, die globale Themen beiseiteliessen und sich dafür umso intensiver den lokalen Missständen widmeten, pro­gnostiziert man dem Genre unermüdlich den Untergang. Bislang ohne jeglichen Erfolg. Die Popularitätswelle, die erst unser nördliches Nachbarland erfasste und die Schweiz dann mit einiger Verzögerung umso wuchtiger überrollte, ist ungebrochen. Die Romane sind zu einem sicheren Garanten für hohe Verkaufszahlen geworden. In den Buchhandlungen besetzen sie ganze Auslagetische und Regale, dominieren die Bestsellercharts und sogar Verlegerinnen und Verleger, die früher schon bei der blossen Erwähnung von «Krimi» die Nase gerümpft haben, springen auf den Zug der einst verteufelten Trivialliteratur auf und finanzieren so vermutlich ihre unverkäuflichen Lyrikbände quer.

Entsprechend mangelt es nicht an kritischen Stimmen. Und viele der aufgeführten Vorwürfe treffen leider den Nagel auf den Kopf: Ja, zum Teil sind die Romane derart schlecht geschrieben, dass man auf dem Umschlag nachschauen muss, ob man nicht irrtümlich das Werk eines sprachlich mittelmässig begabten Zwölfjährigen gekauft hat. Ja, der Schreibstil ist oft holprig, die Handlung manchmal derart dürr und/oder unlogisch, als wäre sie, rasch, rasch, an einem feuchtfröhlichen Abend zwischen Hauptgang und Dessert skizziert worden. Ja, die Figuren sind häufig eindimensional gezeichnet und benehmen sich wahlweise bizarr, unglaubwürdig oder komplett dämlich. Ja, alle erdenklichen Klischees werden bedient: die supersmarte Journalistin, die taffe Polizistin, der träge Beamte, der knorrige Bergler, die arroganten Städter. Alles da.

Woher nur, wundert man sich, rührt diese Begeisterung?

Die Kirche im Dorfe

Eine tragende Rolle spielt der Wiedererkennungseffekt des Lokalen, auch wenn man sich insgeheim fragen mag, weshalb die Leserschaft gerade die Erwähnung der regionalen Begebenheiten so schätzt, obschon diese doch direkt vor der Haustür liegen. Ein Blick aus dem Fenster oder ein Spaziergang durchs Dorf würden einem diese Details zweifelsohne lebendiger und plastischer vor Augen führen.

Allein mit dem Lokalkolorit lässt sich die Begeisterung also nicht erklären, denn dazu sind der in zwei Szenen vorkommende Dorfbrunnen, der Kirchturm oder das mittelalterliche Schloss, die kurz erwähnten Strassennamen dann doch nicht faszinierend genug. Längst kaufen auch Zürcher Solothurner Krimis, Bücher aus dem Engadin werden in der Innerschweiz gelesen, Touristen schmökern in Romanen, die im Tessin angesiedelt sind.

Genauso essenziell ist die Identifikation mit den Hauptakteuren. Diese sind meist weiss, in mittlerem Alter, im Besitz eines Schweizer Passes und leben in gutbürgerlichen Verhältnissen. Lediglich die amourösen Verwicklungen entsprechen nicht ganz den Idealvorstellungen des Mittelstandes. Aber nur weil unstete Liebschaften fürs Serienformat mehr hergeben als langjährige monogame Ehen.

Matchentscheidend jedoch sind die geografischen Bedingungen. Die Ermittlerinnen und Ermittler lösen ihre Fälle nämlich bevorzugt in ländlichen Gebieten und malerischen Kleinstädten; die Grossstadt mit ihrer vergleichsweise unübersichtlichen Bevölkerungsstruktur und den komplexen gesellschaftlichen Problemen ist ihnen ein Graus. Die fünfundzwanzig Prozent Ausländeranteil dieses Landes spiegeln sich in den Romanen jedenfalls nicht annähernd wider. Auch LGBTQ-Protagonisten kommen selten vor und wenn, dann höchstens als Randfiguren, ihre sexuelle Ausrichtung bleibt dabei meist Behauptung. Der schwule Cousin, die lesbische Mitarbeiterin. Ein bisschen wohldosierte Weltläufigkeit.

Es verwundert denn auch nicht, dass es Regionalkrimis, die in Schweizer Städten wie Zürich, Basel oder Bern spielen, absatzmässig schwerer haben als ihre Pendants aus Solothurn, der Innerschweiz, dem Bündnerland oder dem Aargau.

Entsprechend grasen Autorinnen und Autoren die Provinz systematisch ab. Jeder neu eroberte Landstrich, jedes Tal, jede Grotte, die im nächsten Roman vorkommt, erweitert die Leserschaft.

Der Schweizer Regiokrimi hält sich strikt an die klassische Struktur: Zum Auftakt wird eine Leiche präsentiert, in der Folge führt man einige Verdächtige vor und anschliessend wird ermittelt bis zur mehr oder weniger plausiblen Auflösung. Die so garantiert erfolgt wie das Amen in der Kirche. Wie das geht, hat der Sonntagabend-«Tatort» hundertfach vorexerziert, und genau so funktionieren auch alle Vorabendkrimis. Es ist wie ­Malen nach Zahlen. Man weiss, was einen erwartet, und wird nie enttäuscht. Etwas Nervenkitzel auf dem gemütlichen Sofa, das Böse streift in sicherer Entfernung vorbei, am Ende ist die Welt wieder in Ordnung. Die heisse Schokolade und die selbst­gestrickten Stulpen sind bereits als Subtext in die Romane hineingeschrieben.

Nervenkitzel in Kuschelsocken

Aufzuwühlen ist nicht Aufgabe des Regiokrimis, weshalb es auch thematisch nie wirklich abgründig wird. Die Bösewichte kommen häufig aus besseren Kreisen (oder aus dem Ausland) und sind Nationalräte, Financiers, Grossverdiener. Es ist verblüffend, wie oft die Romane auf das «Die da oben»-Prinzip setzen, um die Leserin und den Leser in ihren insgeheim gehegten Vermutungen zu bestätigen.

Dieser Erwartungshaltung wird durchs Band Rechnung getragen, Experimente stehen nicht zur Diskussion. Vielfalt entsteht bestenfalls durch die unterschiedlichen Postleitzahlen der vorkommenden Ortschaften. Die mannigfaltigen Spielarten des modernen Kriminalromans werden nicht einmal touchiert. Mit diesem letzten Punkt steht der Regiokrimi allerdings nicht allein da. Er lässt sich – mit ganz wenigen Ausnahmen – auf das gesamte Schweizer Krimischaffen anwenden. Hierzulande schreibt niemand Comedy, wie es in Deutschland Tatjana Kruse oder das Duo Klüpfel & Kobr meisterlich beherrschen, literarisch ambitionierte Werke im Stile Friederich Anis oder Jan ­Costin Wagners sind äusserst rar. Wer das Lakonisch-Sarkastische in Simone Buchholzʼ Krimis mag, wird in der Schweiz nicht fündig werden. Und nur in Einzelfällen trifft man auf un­gewöhnliche oder gar gebrochene Ermittler wie bei Andreas Pflüger oder Max Annas.

«Die heisse Schokolade und die selbstgestrickten Stulpen

sind bereits als Subtext in die Romane hineingeschrieben.»

Selbst dezidierte politische Haltungen oder aktuelle gesellschaftliche Missstände werden tunlichst vermieden, denn man will ja niemanden verärgern, aufschrecken oder gar vergraulen. Zwar erfährt man haargenau, was die Kommissarin zum Frühstück isst. Ob sie dabei aber in der Zeitung blättert und sich eine Meinung zum Weltgeschehen bildet, wird weggelassen. Allerhöchstens findet sich hie und da ein harmloser Seitenhieb gegen eine lokale Behörde. Geht es doch einmal um Gesellschaftspolitisches, ist das geschichtlich oder geografisch weit weggerückt – die Handlung dreht sich dann um Nazis im Zweiten Weltkrieg oder um Kinderhandel in China. Unter gar keinen Umständen soll die Leserschaft mit real existierenden und womöglich das eigene ­Dasein bedrohenden Problemen konfrontiert werden. Eskapismus um jeden Preis heisst die Maxime.

Humor wird – wenn überhaupt – nur in winzigen Dosen eingesetzt; ein Schenkelklopfer da, ein Bonmot dort. Denn Witze sind heikel; nicht alle finden dasselbe erheiternd, manche Leute verstehen überhaupt keinen Humor. Zum Ausgleich gibt es hin und wieder Sex, selbstverständlich gutbürgerlichen, ordentlichen Sex. Da wird schon mal ein Kaminfeuer angefacht und das Bärenfell davor zum Liebesnest gemacht, nachdem man etwas Champagner geschlürft hat. Da wird bestiegen und genommen, da stehen «Pforten offen» und «Schösse werden nass». Fifty Shades of Switzerland – einfach ohne die ganzen Spielsachen.

Um das literarische Rundumwohlfühlprogramm abzuschliessen, gibt es Rezepte im Anhang, Wanderrouten oder Ausflugstips. Das erinnert an einen Besuch im Ballenbergmuseum, ist «Donnschtig-Jass» in Buchform. Was Gölä, Trauffer und Oeschʼs die Dritten für die Musikszene sind, sind Regiokrimis für Literaturbegeisterte.

Grundsolide, aber wenig originell. Weil die Erwartungen derart zuverlässig bedient werden, entwickelt sich das Genre auch keinen Schritt weiter. Allzu häufig drängt sich zudem der Eindruck auf, man habe so etwas in der Art schon mal gelesen. Nur besser.

Überrascht uns!

Mehr Mut!, würde man den Schweizer Krimischaffenden am liebsten zurufen. Mehr Lust zum Risiko! Klammert euch nicht so ängstlich an die hundertfach bewährten Muster! Bewegt euch aus der Komfortzone raus! Und vor allem: Überrascht eure Leserinnen und Leser! Es sind Rufe, die wohl ungehört verhallen würden.

«Aber!», wird nun der eine oder die andere monieren, «sind nicht ohnehin alle Kriminalromane Regiokrimis?»

Es wird dabei gerne auf Henning Mankell verwiesen, dessen schwedische Kriminalromane im ländlich anmutenden Ystad angesiedelt sind. Oder auf Raymond Chandlers Privatdetektiv Philip Marlowe, der sieben Romane lang in Los Angeles ermittelt. Ob das am Ende nicht dasselbe sei wie das Schwarzbubenland oder das Muotathal?

Theoretisch ist das natürlich korrekt, ein Kriminalroman muss schliesslich irgendwo spielen. Aber, um beim Vergleich mit der Musikszene zu bleiben, ist es halt doch ein klitzekleiner Unterschied, ob Kevin Oesch zur Gitarre greift oder Jimi Hendrix.

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