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Moralismus ist der Borkenkäfer der Demokratie

1989 fiel die Mauer. Doch der Geist der DDR lebt immer noch. Beobachtungen aus einem anderen Deutschland.

 

Ein demokratischer Rechtsstaat braucht keine Legenden. Eine Diktatur schon. Die Bundesrepublik Deutschland war deshalb eine Gründung ohne propagandistischen Aufwand. Ganz anders die DDR, die als antifaschistischer Staat aus der Taufe gehoben wurde. Laut Propaganda gehörte die DDR zu den Siegern der Geschichte, hatte nichts mit der Nazidiktatur zu tun. Die Bundesrepublik wurde zum alleinigen Nachfolgestaat von Nazideutschland deklariert. Die antifaschistische Legende der DDR hatte so grossen Erfolg, dass die Weltöffentlichkeit übersah, dass tausende Nazifunktionäre schnell in Spitzenpositionen, selbst ins Zentralkomitee der SED aufrückten. Tatsächlich war die SED die erste Partei in Nachkriegsdeutschland, die aktiv um ehemalige NSDAP-Mitglieder warb. Die Antifaschismuslegende der DDR ist ein Beispiel dafür, wie moralisch aufgeheizte Propaganda erfolgreich die Realität verschleiern kann. Unter dem Deckmantel des Antifaschismus blieb der wahre Charakter der DDR-Diktatur für breite Teile der Öffentlichkeit verborgen. Die Mauer fiel 1989. Doch der verlogene Antifaschismus überlebte die DDR und ist in abgewandelter Form bis heute eine Art Staatsdoktrin.

Die schleichende Entmachtung

Es war Bundeskanzler Gerhard Schröder, der sich 2005 als erster sichtbar über das Grundgesetz hinwegsetzte. Nach einer krachend verlorenen Landtagswahl in NRW rief er kurzerhand Neuwahlen aus. Er hoffte wohl, mit diesem Coup seine rot-grüne Regierung zu retten. Bundespräsident Horst Köhler genehmigte, trotz schwerer verfassungsrechtlicher Bedenken, auf Drängen der Oppositionsführerin Merkel die Neuwahl. Die gewann die Wahl denn auch ganz knapp, wenn auch mit dem schlechtesten CDU-Ergebnis aller Zeiten, und bildete die zweite grosse Koalition in der Nachkriegsgeschichte Deutschlands. Sie sollte zum Dauerzustand werden. Die schwarz-gelbe Interimsregierung von 2009 bis 2013 bedeutete für sie keinen Bruch.

Deutschland hat sich in dieser Zeit grundlegend verändert. Es begann damit, dass der Bundestag seine Funktion, die Regierung zu kontrollieren, immer mehr aufgab: Er wurde zum Erfüllungsgehilfen. Inzwischen scheint es kaum noch Abgeordnete zu geben, die sich noch erinnern können, dass die historische Aufgabe von Parlamenten ist, die Regierung zu kontrollieren. Dieser Prozess vollzog sich schleichend und weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit, der tiefgehende Eingriff in die demokratischen Rechte wurde von den Leitmedien nicht thematisiert. Wer, wie ich, frühzeitig darauf hinwies, dass der Bundestag sich immer mehr der DDR-Volkskammer annäherte, deren einzige Aufgabe es war, die Regierungsbeschlüsse abzunicken und ihnen damit eine gewisse demokratische Scheinlegitimität zu geben, wurde der Falschbehauptung bezichtigt.

Innerparlamentarisch wurden immer neue Posten erfunden, mit denen sich die Abgeordneten im Wahlkreis schmücken konnten. Ausserdem stieg die Anzahl der Abgeordnetenfahrten in alle Winkel der Welt steil an. Wer ständig unterwegs ist, hat weniger Zeit, sich mit den eigentlichen Aufgaben zu beschäftigen. Die Zahl der parlamentarischen Staatssekretäre, auch eine Erfindung, die nur den Zweck hat, das Prestige des Abgeordneten zu erhöhen, wuchs rasant. Während der zweiten grossen Koalition gab es sogar drei parlamentarische Staatssekretäre im Wirtschaftsministerium, weil Abgeordnete «versorgt» werden mussten. Alle wichtigen Beschlüsse werden heute von der Regierung gefasst. Das Parlament hat nur noch eine Alibifunktion.

«Der grösste Feind der Demokratie ist,

wie wir seit Jahren beobachten können,

eine absolut gesetzte Moral.»

Von Nazis, Antieuropäern…

Die zweite wichtige Ähnlichkeit zur DDR: Es gibt formal zwar eine freie Presse, sie hat aber in den bleiernen Merkel-Jahren zunehmend aufgegeben, die Regierung zu kontrollieren, und sich stattdessen darauf konzentriert, die noch verbliebene parlamentarische und ausserparlamentarische Opposition zu bekämpfen. Zunehmend wird dabei, weil es an Sachargumenten fehlt, auf Moralverdikte zurückgegriffen. Wer zum Beispiel die unkontrollierte Einwanderung hinterfragt, ist ein Rassist, Fremdenfeind oder gar Nazi. Die Nazikeule wird in Deutschland jetzt so oft und undifferenziert geschwungen, dass aus dem Namen inzwischen ein Attribut wurde. «Das ist voll nazi», ist ein häufiger Satz, der jede sachliche Diskussion schon im Keim erstickt.

Der unbefangene Austausch von Argumenten, unverzichtbar für eine lebendige Demokratie, findet in Deutschland seit Jahren nicht mehr statt, weil alle von der Regierung abweichenden Meinungen sofort stigmatisiert werden. Die Oppositionsparteien im Bundestag, bis auf die AfD, haben es aufgegeben, der Regierungslinie zu widersprechen. Allenfalls in unbedeutenden Detailfragen wird noch eine eigene Meinung gewagt. Das geht inzwischen so weit, dass Politiker der Grünen und sogar der Linkspartei, die, was weitgehend vergessen wurde, die umbenannte SED ist, die Kanzlerin gegen die Abweichler in der Regierungspartei verteidigen.

Das wurde uns in der Coronakrise vor Augen geführt: Als CDU-Landespolitiker eine stärkere Aufweichung der Coronaquarantäne befürworteten, beklagte Kanzlerin Merkel «Öffnungsdiskussionsorgien» in ihrer Partei. Tatkräftig unterstützt wurde sie dabei von Anton Hofreiter, dem Fraktionsvorsitzenden der Bundestagsfraktion der Grünen, und Dietmar Bartsch, dem Bundestagsfraktionsvorsitzender der SED-Linken.

Wie konnte es zu so einer Entwicklung kommen? Als 1989/90 erst die Mauer, dann der Eiserne Vorhang fielen und in der Folge das sogenannte sozialistische Lager kollabierte, glaubte man an den endgültigen Sieg der Demokratie. Übersehen wurde dabei, dass jede Demokratie an einem bestimmten Punkt unweigerlich die Kräfte erzeugt, die sie zerstören. Der grösste Feind der Demokratie ist, wie wir seit Jahren beobachten können, eine absolut gesetzte Moral. Es begann mit der Eurorettung. Mit der Behauptung, die Rettung des Euro um jeden Preis sei alternativlos, denn «Scheitert der Euro, scheitert Europa», wurden von vornherein alle Kritiker der «Schutzschirme» mundtot gemacht. Wer trotzdem Kritik wagte, wurde als Antieuropäer stigmatisiert und vom öffentlichen Diskurs ausgeschlossen. So wurde auch in der DDR verfahren. Wer die Politik kritisierte, war ein Friedensfeind oder ein Handlanger des Klassengegners. Auch die Sanktionen glichen sich: Verlust des Arbeitsplatzes, von Funktionen, des Ansehens, der gesellschaftlichen Stellung. In der DDR konnte das als letzte Isolierungsmassnahme mit Gefängnis enden. In heutigen Zeiten wurde wiederentdeckt, dass die mittelalterliche Methode der vollkommenen gesellschaftlichen Ächtung wirkungsvoll genug ist.

…und Klimaleugnern

Einen zweiten Schub an Aufweichung der rechtsstaatlichen Prinzipien brachte die sogenannte Energiewende. Um das Klima zu retten, wird mit allen Mitteln der Ausbau sogenannter erneuerbarer Energien betrieben. Um das durchzusetzen, wurde der «Klimaleugner» erfunden, der absichtlich sprachlich in die Nähe von Holocaustleugnern gerückt wird. Einen Höhepunkt moralgetriebener Politik wurde in der sogenannten Flüchtlingskrise erreicht. Damals wurden auf Wunsch der Kanzlerin die deutschen Grenzen für unkontrollierte Einwanderung von Menschen ohne oder mit sichtbar gefälschten Papieren geöffnet. Dieser Ministererlass, der Grundgesetz und mehrere Gesetze aushebelt, besteht bis heute. Auch als in der Coronakrise Grenzschliessungen angeordnet wurden, ist die illegale Einwanderung davon ausgenommen worden. Wer Asyl sagen kann, wird reingelassen, auch wenn er IS-Terrorist ist. Durchgesetzt wird das mit einem rigiden Moralismus, der auch die leiseste Kritik als fremden- oder gar menschenfeindlich stigmatisiert.

Wer geglaubt hat, dies könnte nicht mehr übertroffen werden, wurde in der Coronakrise eines Besseren belehrt. Um die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen, wurden ihr kurzerhand die schwer erkämpften Freiheitsrechte entzogen. Plötzlich gab es staatliche Anweisungen, wie man sich zu verhalten habe, bis hin zum Händewaschen. In der DDR wurden in meiner Kindheit Schulhefte mit neckischen Bildchen auf dem Umschlag verteilt mit Hinweisen, wie sich ein sozialistisches Kind zu verhalten habe: «Nach dem Klo und vor dem Essen – Händewaschen nicht vergessen!» Die Erziehungsmassnahmen unserer Regierung stufen uns alle zu Kindern zurück. Man kann das mit Recht eine Erziehungsdiktatur nennen.

Der grösste Feind der Demokratie

Die Bundesrepublik legitimierte sich still durch Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Wenn es eine Legende gab, dann war es das durch die Realität entstandene Wirtschaftswunder. Rechtsstaat und Demokratie bewährten sich auch in Krisenzeiten, wie den bleiernen Jahren des RAF-Terrors. Sie waren so stark, dass sie als unzerstörbar angesehen wurden. Welch ein Irrtum!

Der grösste Feind von Demokratie und Rechtsstaat ist die Moral. Das Moralisieren haben die Grünen mit ihrer Gründung in die Politik eingeführt und es seitdem zu einer wirksamen Waffe entwickelt. Zugunsten einer höheren Moral wurde und wird permanent die Aushöhlung rechtsstaatlicher Prinzipien gefordert. Längst ist auch das Grundgesetz mit allerlei moralischen Forderungen, wie Tierschutz, aufgeladen. Seit der ersten Regierung Merkel, die weitgehend sozialdemokratische und grüne Ideen und Prinzipien zum Massstab ihrer Politik gemacht hat, geht dieser Prozess immer schneller vonstatten. Es ist nicht Angela Merkel, die damit begonnen hat, das Grundgesetz regelrecht zu missachten. Aber in ihrer Regierungszeit ist es zur Verfügungsmasse moralisierender Politik gemacht worden. Das hat den Rechtsstaat, Voraussetzung für eine funktionierende Demokratie, bereits nachhaltig zerstört. Wir können nur hoffen, dass die Schäden nicht irreparabel sind.

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