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Monopoly mit Turbolader

Wie ein Spieleklassiker das Bargeld abschafft.

Mein zehnjähriger Neffe hat ein neues Spiel geschenkt bekommen: Monopoly, in der neuen «Banking»-Edition. Wie verrückt hat er es sich gewünscht, denn schon das alte Monopoly liebte er über alles: Geld wechseln, rechnen, Häuser kaufen. Und erst die Freude, wenn jemand auf seine Strassen kommt – hier blühte der bislang unentdeckte Minikapitalist richtig auf! Das neue «Banking»-Monopoly mit dem Werbeslogan «Plastik- statt Bargeld» möchte dem Spieleklassiker jetzt den Turbolader aufsetzen. Erste Neuerung: das Papiergeld ist verschwunden. Stattdessen gibt es Kreditkarten, die die Spieler abwechselnd in einen elektronischen Kartenleser stecken können, um dort Geld aufzuladen und abzubuchen. Die zweite Neuerung ist, dass die Kauf- und Mietpreise für Immobilien in geradezu schwindelerregende Höhen gestiegen sind: In der früheren Schweizer Ausgabe kostete die günstigste Strasse, der Kornplatz in Chur,  60, also 60 Monopolydollar. Die Miete betrug 2 Monopolydollar. In der «Banking»-Edition sind für dieselbe Strasse  600 k, also 600 000 (!) Monopolydollar fällig, die Miete kostet deren 20 000. Die Immobilienpreise und damit auch das im Umlauf befindliche Geld haben sich um den Faktor 10 000 nach oben geschraubt. Beim Hin- und Herschieben solch gigantischer Beträge soll (und muss) der elektronische Kartenleser helfen: Kreditkarte rein, oben wird das Guthaben angezeigt, zudem hat der Rechner zwei zusätzliche Tasten: «m» für Millionen, «k» für die Tausender. So muss für den Kauf der günstigsten Strasse nur die «600» und das «k» eingegeben werden, schon rattert die Digitalanzeige und mindert das Guthaben um den entsprechenden Betrag.

So einfach das Ausgeben von Geld zunächst anmutet, so schwierig wird es bei den Transaktionen zwischen den Spielern. Komme ich auf eine Strasse meines Neffen, muss ich zunächst die Kreditkarte einstecken, den Betrag eingeben und die Abbuchen-Taste drücken, anschliessend muss er seine Kreditkarte in den Apparat stecken und den entsprechenden Betrag aufladen. Wo früher schnell ein paar Scheine den Besitzer wechselten, findet nun ein wildes Kartengefuchtel statt. Der elektronische Kartenleser und die Kreditkarten sind nun das Zentrum des Spiels, was unmittelbar deutlich wird, wenn er nicht mehr funktioniert: Erst wenige Strassen sind gekauft, da gibt unser Automat plötzlich nur noch einen dunklen Ton von sich. Nichts geht mehr: die Guthaben werden auf dem Display zwar noch angezeigt, aber nichts kann mehr zu- oder abgebucht werden. Wir versuchen es minutenlang, geben dem Gerät eine Pause, doch auch das hilft nichts. Mein kleiner Neffe bricht ohne Vorankündigung in Tränen aus.

Unabhängig von diesem Drama, das sich an diesem Nachmittag in unserem Wohnzimmer ereignete, musste ich noch lange über die Analogien des Spiels zu unserer Realwirtschaft nachdenken. Was ist davon zu halten, wenn weltweit immer niedrigere Obergrenzen für Barzahlungen eingeführt werden, der 500-Euro-Schein abgeschafft wird und schon unsere Kinder spielerisch daran gewöhnt werden, ihre Verbindlichkeiten mit Kreditkarten statt mit physischen Scheinen und Münzen zu begleichen? Alles ist virtuell, nur noch Nummern auf einer Digitalanzeige, auf der ein «m» oder «k» darüber Auskunft gibt, wo der Dezimalpunkt theoretisch zu setzen wäre. Der Bezug zum Tauschmittel Geld geht verloren, Rechnen können muss man auch nicht mehr, das übernimmt der Automat. Wie leichtfertig Menschen mit Geld umgehen, sobald es nicht mehr physisch, sondern als abstrakte Plastikkarte in den Händen liegt, ist spätestens seit den Studien von Priya Raghubir und Joydeep Srivastava1 auch wissenschaftlich belegt. In Zeiten von «Quantitative Easing», das keine Grenzen zu kennen scheint, mutet dieses Spiel aber auch wie ein Zerrspiegel der zweigeteilten Inflation an, die in den letzten Jahren bei weitgehender Preisstabilität von Konsum- bzw. Massengütern einen dramatischen Anstieg sämtlicher Vermögenswerte (Asset Inflation) zur Folge hatte. Früher war «Millionär» die Königsklasse, bei Monopoly (und auch im realen Leben) muss man inzwischen mehrfacher Millionär oder besser gleich Milliardär sein, um sich den Kauf von Häusern leisten zu können. Ebenso führt uns dieses Spiel vor Augen, wie kompliziert ein ständiges Bezahlen mittels Karten gegenüber Bargeld ist – und dabei den Bezahlvorgang verlangsamt (jeder Supermarktkunde kennt dieses «Ich-zahle-mit-EC-muss-ich-hier-drücken-oh-falsche-PIN»-Problem). Wohin die vollständige Digitalisierung sämtlicher Zahlungsströme jedoch im schlimmsten Fall führen kann, zeigt das Problem des defekten elektronischen Kartenlesers: Beim Systemausfall stehen alle ratlos da, schieben ihre Karten in den Automaten, doch nichts geht mehr, die Wirtschaft kommt zum Erliegen.

Das nachmittägliche Drama in unserem Wohnzimmer haben wir schliesslich damit gelöst, dass wir das Spielfeld mitsamt dem Plastikkartenkrempel wieder abgeräumt und die Originalversion mit dem guten alten Papiergeld aus dem Schrank gezogen haben. Wir waren beinahe erstaunt, wie flüssig und problemlos der Verlauf dieses für heutige Verhältnisse uralten Spieles funktionierte. Vielleicht wäre es heilsam, den Freunden des offenen wie schleichenden Bargeldverbots eine Runde Monopoly in der «Banking»-Edition angedeihen zu lassen – nur damit sie wissen, worauf sie sich da einlassen.


Robin Sprenger
ist promovierter Kommunikationswissenschafter, er arbeitet als Projektmanager im Bereich Digitale Medien und lebt in Karlsruhe.


1 Priya Raghubir and Joydeep Srivastava: Monopoly Money: The Effect of Payment Coupling and Form on Spending Behavior. In: Journal of Experimental Psychology: Applied. Vol. 14, No. 3, 2008.

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