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Moderner Münzbetrug

Geld ist so lange so billig wie vielleicht noch nie. Was aber geschieht, wenn Geld keinen realen Preis mehr hat? Riskantes Verhalten nimmt zu. «Nach mir die Sintflut», heisst die Devise der Anleger und Politiker. Bis die nächste Sintflut kommt.

Es war im Sommer 2009 auf dem von Avenir Suisse und der Leipziger Wirt­schaftspolitischen Gesellschaft organisier­ten Zermatter Symposium. Philipp Hilde­brand, damals designierter, noch nicht amtierender Präsident der Schweizerischen Nationalbank, hat auf die Frage nach der Rolle der Geldpolitik in der Finanzkrise ge­antwortet: «looking at price stability is not enough.» In dieser Antwort sind folgende Aussagen impliziert:
– Wir haben uns bei unserer Geldpolitik an der Entwicklung der Preise für den priva­ten Konsum orientiert und unseren geld­politischen Kurs beibehalten, wenn der Preisanstieg moderat ausfiel;
– wir hätten darüber hinaus, um Vermögens­preisblasen zu verhindern, auch auf die Entwicklung der Preise für reale Aktiva wie Aktien, Rohstoffe oder Immobilien achten müssen.

Doch fehlen den Zentralbankern die Informationen, um im voraus Blasen als solche zu erkennen, und ihr Instrumenta­rium ist auch nicht dafür geschaffen, sekto­ral in den Wirtschaftsprozess einzugreifen. Der Indikator «Preisanstieg des privaten Konsums» führt in die Irre, wenn man annimmt, dass man bei einem bloss schwa­chen Anstieg mit einer ungebremsten Geld­mengenexpansion fortfahren könne. Entstehen und Platzen der Blasen in den beiden letzten Dekaden – die miteinander verbundenen Immobilien­ und Aktienbla­sen in Japan, die hauptsächlich mit billigem japanischem Geld finanzierte Südostasien­blase, die Dotcom­Blase in den USA und in Europa und die nachfolgende Immobilien­blase – sind ohne eine alimentierende Geld­politik nicht vorstellbar. So ist im letzten Jahrzehnt die Geldmenge (M3) in der Euro­Zone um circa 100 Prozent gestiegen, das reale Bruttoinlandprodukt hingegen nur um 20 Prozent. Damit hat die Europäische Zentralbank (EZB) einen kräftigen Geld­mengenüberschuss produziert.

Mittelalterliches Verfahren

Die Folgen überreichlicher Geldver­sorgung entsprechen dem mittelalterli­chen Münzbetrug. Im Mittelalter wurden die Münzen aus einem bestimmten Metall geprägt; die Differenz zwischen dem Wert von Metall und Prägesatz und dem Wert der daraus gewonnenen Münzen fiel als Münzgewinn (Seignorage) an den jeweili­gen Münzherrn. Solange das Verhältnis von Metall/Prägesatz und geprägten Mün­zen gleich blieb, war auch die Münzquali­tät unverändert. Bei Münzbetrug – der Münzherr liess bei gleicher Metallmenge die doppelte Menge an Münzen ausprägen – verdoppelte sich sein Münzgewinn. Zu­ gleich verschlechterte sich die Münzqualität, was durch Beissen, Biegen oder Brechen erkannt werden konnte. Die Konsequenz war, dass die hochwertigen Münzen gehor­tet wurden und die minderwertigen im
Umlauf blieben. Geschädigt wurden die auf Kontrakteinkommen angewiesenen Untertanen, die in aller Regel dem unteren Teil der Einkommenspyramide zuzuord­nen waren.

In der heute durch Beschlüsse von Re­gierungen oder Zentralbanken bestimm­ten Geldmenge kommt es zu Münzbetrug, wenn die Zentralbanken die Papiergeld­menge verdoppeln. Massstab für die Infla­tion ist die jeweilige Geldmengenaufblä­hung. Wie diese sich auf die jeweiligen Preise auswirkt, hängt von den spezifi­schen Umständen ab. Wenn die Lohn­stückkosten gleichbleiben oder sogar rückläufig sind, wie es im letzten Jahr­zehnt in Deutschland der Fall war, und die aufkommenden Märkte in Südostasien mit ihren Gütern den Konsumhunger in Euro­pa und den USA stillen, so wird jeweils Sta­bilität ex­ bzw. importiert.

Wenn der Geldmengenüberschuss nicht durch stark steigende Löhne absor­biert wird, sucht er sich andere Wege: es steigen die Preise für reale Aktiva wie Ak­tien, Immobilien, Rohstoffe, Unterneh­mensbeteiligungen und Kunstgegenstände. Hier gibt es so bald auch kein Korrektiv, dadie steigenden Preise nicht die Nachfrage abschrecken, sondern gerade anlocken. Dies ist das bekannte Phänomen der self fulfilling prophecy. Wenn die Märkte, wie es auf dem Immobilienmarkt der Fall ist, eng sind, führt die steigende Nachfrage bei zunächst
gleichbleibendem Angebot zu einem über­proportionalen Preisanstieg für solche Ak­tiva. So entstehen und platzen Blasen. Doch weiss im vorhinein niemand verlässlich den Zeitpunkt des Platzens zu nennen. Wenn Anleger bei solchen Prozessen in entspre­chende Aktiva investieren, so hoffen sie im­mer, zu einem späteren Zeitpunkt noch Abnehmer zu finden, die genauso risi­kofreudig, aber weniger gut informiert sind.

Ist Geld zu billig und zu reichlich zu haben, dann neigen die Akteure zu einem underpricing of risk. So hat die reichliche Geldversorgung durch die US ­amerikani­sche Zentralbank (Fed) und die EZB dafür gesorgt, dass bei einer Reihe von Ländern der Zins als Selektionskriterium ausfiel. Der Refinanzierungssatz für Zentralbank­geld war in den USA und in den Peripherie­staaten der Euro­Zone im Zeitraum 2002 bis 2005/06 unter Berücksichtigung des Preisanstiegs für den privaten Konsum ne­gativ. So entstanden die Immobilienblasen in den USA und in der Euro­Zone. In den Peripheriestaaten der Euro­Zone steht das Bankensystem am Rande des Abgrunds; nur das Geld der Steuerzahler bewahrt es vor einem Absturz. Entstehen und Platzen sol­cher Blasen sind aus gesamtwirtschaftli­cher Sicht nachteiliger als die Absorption der Überschussgeldmenge durch steigende Löhne und Konsumgüterpreise. Die real­wirtschaftliche Fehlentwicklung über In­vestitionen, die sich mittel­ und langfristig nicht rechnen, löst Reinigungsprozesse aus, deren Schleifspuren auf den Arbeitsmärk­ten breit und für die Betroffenen schmerz­lich sind.

Immer noch mehr Medizin

Die Zentralbanken haben daraus aber nicht den Schluss gezogen, bei der Medizin der monetären Stimulierung Vorsicht wal­ten zu lassen – im Gegenteil. Jetzt drucken sie sogar Geld, um Staatsanleihen anzukau­fen. Fed­Präsident Bernanke glaubt, dass er den Konjunkturmotor füttern muss. EZB­Präsident Trichet lässt Staatsanleihen aufkaufen, um den Kollaps von Staaten aufzuhalten, die sich während der vorange­gangenen Geldschwemme zu finanzpoliti­schen Abenteuern haben verleiten lassen. Dabei zeigt die seit zwei Jahrzehnten an­dauernde Stagnation in Japan, dass diese Politik bloss die Verschuldung nach oben treibt – von 60 Prozent Staatsverschuldung in Prozent des Bruttoinlandprodukts im Jahre 1990 auf mittlerweile 220 Prozent –, aber die strukturellen Fehlentwicklungen nicht beseitigt, sondern nur verdeckt. Der Fed­Präsident zieht daraus nicht den Schluss, dass diese Medizin nicht anschla­ge, sondern dass man sie aggressiver verab­ reichen müsse. Dass dabei die Preise nach oben getrieben werden können, scheint ins Konzept zu passen, weil ein schwächerer Dollar die Wirtschaft stimuliere und die Furcht vor einem Kaufkraftverlust den Kon­ sum ankurble. Ein Teil der zusätzlich ge­ schaffenen Liquidität fliesst in die aufstre­ benden Märkte, stimuliert die Konjunktur und treibt dort die Preise nach oben. Ana­lysten nennen dies eine Politik des «après nous le déluge». Sie lasse zugleich die Über­ schüsse zinstragender Titel abschmelzen und finanziere das spekulative Horten von Rohstoffen.

Vor allem verdrängt die Fed, dass sie die gefährlichste aller Blasen nährt – die Staats­anleihenblase. Derzeit werfen auf 10 Jahre laufende US­Staatsanleihen eine Rendite von 3,4 Prozent ab. Im Februar lag der Preis­ auftrieb bei Konsumgütern bei 2,1 Prozent (im Vergleich zum Vorjahresmonat). Bei Be­rücksichtigung steuerlicher Lasten bleibt da nicht viel übrig. Wenn die Fed bewusst den Anlegern die Geldillusion nehmen will, damit sie die Kaufhäuser stürmen, dann sollte sie einen Spruch nicht vergessen, den John Maynard Keynes von Walter Bagehot, dem Theoretiker der Lombard Street, über­nommen und gerne zitiert hat: «John Bull – Spitzname für den Durchschnittsbriten – can stand many things, but he cannot stand two percent….John Bull hält vieles aus, aber zwei Prozent hält er nicht aus.» Papiere mit so lumpigen Zinssätzen will John Bull nicht in seinem Portefeuille sehen und trennt sich von ihnen, möglichst bevor es die an­ deren tun.

Diesen Weg will die EZB offensichtlich nicht gehen. Die Kommentare aus der EZB lassen vermuten, dass sie die Zinstreppe je­weils um 25 Basispunkte nach oben, also von 1 auf 1,25 Prozent, hinaufsteigen will. Am 8. April 2011 hat sie den ersten Schritt getan. Nimmt man den um den Preisanstieg (derzeit 2,6 Prozent) bereinigten Refinan­zierungssatz als Massstab, so liegt er auch nach dem Zinsschritt noch im negativen Bereich (–1,3 Prozent). Als die EZB am 13. Mai 2009 den Satz auf 1 Prozent senkte, be­trug der Realzins – bei einem Preisanstieg von 0,3 Prozent – immerhin 0,7 Prozent. Von einer Härtung des geldpolitischen Kur­ ses kann also nicht die Rede sein. Die Zen­tralbanker versuchen dies mit dem Hinweis zu entkräften, dass die Beschleunigung des Preisanstiegs importiert sei, übersehen dabei aber, dass die von ihnen geschaffene Liquidität die Preise auf den Weltmärkten
antreibt.

Da die EZB weiter zu erkennen gibt, dass sie bei einem Zinssatz von 1,25 Prozent nicht stehen bleiben will, sendet sie folgen­des Signal aus: «Kapitalisten aller Länder, versorgt euch mit Liquidität, solange sie noch preiswert und reichlich vorhanden ist.» Insofern wirkt eine solche Politik pro­zyklisch, einen befürchteten Preisauftrieb wird sie nicht unterdrücken. Solange die Akteure glauben, aus der Verschuldung beiden Zentralbanken Profit schlagen zu kön­nen, werden sie sich auch von riskanten En­gagements nicht abhalten lassen. Und die Zentralbanker steigen die Zinstreppe im­mer weiter hinauf, bis die Anleger schliess­lich Gefahr wittern und massenhaft aus ih­ren Engagements aussteigen. Was dann folgt, ist bekannt.

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Geld regiert die Welt. Wer regiert das Geld?

Der Titel unseres Dossiers ist suggestiv. Wenn es stimmt, dass Geld die Welt regiert, dann regiert die Welt, wer über das Geld herrscht. Das Geld ist heute eine staatliche Angelegenheit. Der Staat hat nicht nur das Gewalt-, sondern auch das Geldmonopol. In Artikel 99 der Bundesverfassung ist festgelegt: «Das Geld- und Währungswesen ist Sache des […]

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