Wir brauchen Ihre Unterstützung — Jetzt Mitglied werden! Weitere Infos
Mit Zuversicht in die  Ökomoderne
Peter Hettich, zvg.

Mit Zuversicht in die
Ökomoderne

Infrastrukturen sollten die grundlegenden Bedürfnisse möglichst umweltgerecht befriedigen. Da Menschen in grosser Zahl nicht im Einklang mit der Natur leben können, müssen wir uns von ihr entkoppeln.

Technisch hochentwickelte und belastbare Infrastrukturen bilden die Lebensadern der heutigen Dienstleistungs- und Informationsgesellschaft. Standen vor 200 Jahren Flussbegradigungen und der Bau von Eisenbahnen im Zentrum der kollektiven Anstrengungen, sind es heute Energieinfrastrukturen und Datennetze. Eine uneigentliche, aber wesentliche Infrastruktur bildet die Verfügbarkeit einer stabilen, das heisst vor allem wertbeständigen Währung. Die grosse Herausforderung einer Informationsgesellschaft besteht darin, die Infrastrukturen und die durch sie vermittelten Produkte und Dienstleistungen mit ihren Nutzern intelligent zu vernetzen.

Bau und Anpassung von Infrastrukturen sind Jahrhundertprojekte. Gute Infrastrukturen weisen eine lange Lebensdauer auf. Sie beruhen auf einer konzeptionellen Planung, die das Funktionieren des Systems in den Vordergrund stellt. Das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit einer Infrastruktur, etwa einer Währung, baut sich über Jahrzehnte auf und kann in wenigen Monaten zerstört sein. Neue konzeptionelle Leitideen zu Infrastrukturen lassen sich aufgrund langer Vorlaufzeiten nicht schon morgen, sondern erst übermorgen realisieren. Entsprechend schwierig ist es, eine Prognose abzugeben, wie die europäischen Infrastrukturen des Jahres 2042 aussehen und wie sie sich entwickeln werden.

Gleichwohl sind bereits heute Veränderungstendenzen spürbar, Veränderungstendenzen, die auf unterschiedlichen Lehren beruhen, die aus den existenziellen Krisen zu Beginn des 21. Jahrhunderts gezogen worden sein könnten. Diese Lehren lassen sich grob in zwei Kategorien einteilen, die zwar eine ökologische Motivation gemeinsam haben, aber auf sehr unterschiedlichen Empfehlungen für die Politik beruhen. Namentlich Deutschland baut auf klassischen ökologischen Theorien auf, welche die Gesellschaft in ein harmonisches Verhältnis zur Natur setzen wollen, also vor allem den Verbrauch einschränken und ein arkadisches Leben im Einklang mit der Natur anstreben; der Jutesack, das Lastenfahrrad und die über basisdemokratische Mitwirkungsveranstaltungen geführte Wohnbaugenossenschaft sind die Symbole dieser ökosozialistischen Gesellschaft. Dagegen folgt die Schweiz des Jahres 2042 einem ökomodernen Konzept1, das eine Entkopplung der menschlichen Tätigkeit von der Natur anstrebt. Eine solche Gesellschaft sucht auch nach technischen Lösungen zum Schutz und zur Entlastung der Natur: Sie sieht etwa in gentechnisch veränderten Pflanzen nicht primär einen Eingriff in die Natur, sondern eine Möglichkeit zur Reduktion von Pestiziden.

Günstige Energie als Fundament des Erfolgsmodells

Lassen wir uns auf ein kleines Gedankenexperiment ein: In 20 Jahren werden in unserem Land die Wälder, Weiden und Äcker ausschliesslich extensiv bewirtschaftet. Die Schweiz kann ihren Selbstversorgungsgrad dennoch halten und wird ihn künftig sogar ausbauen, da vertikale Farmen im städtischen Gebiet die Ausfälle der nunmehr rein biologischen traditionellen Landwirtschaft kompensieren. Dem fortschreitenden Verlust von Fruchtfolgeflächen und der stetigen Versiegelung weiterer Böden wird so Einhalt geboten. Die Schweiz kann deshalb schon in der zweiten Jahrhunderthälfte grössere, vormals intensiv bewirtschaftete Flächen der Natur entweder ganz zurückgeben oder zumindest im Dienst der Biodiversität pflegen und bewirtschaften. Eine bis in extremis vorangetriebene, aber mit Blick auf die Wohnqualität äusserst gelungene Verdichtung der Städte schafft die Grundlagen für die 10-Millionen-Schweiz, entlastet die Infrastrukturen im ländlichen Raum und ermöglicht mit intelligent geplanten Versorgungs- und Entsorgungssystemen die Schaffung weitgehend geschlossener Rohstoffkreisläufe.

Die fortschreitende Urbanisierung verändert auch das Mobilitätsverhalten. Zunehmend werden unterirdische Transportsysteme eingesetzt, die sowohl dem Güter- wie dem Personenverkehr dienen. Das Bedürfnis nach Individualverkehr ist zwar geringer geworden, aber nicht verschwunden: Es wird mit Hilfe elektrischer oder wasserstoffbasierter Antriebssysteme und zunehmend auch mit autonomen Luftfahrzeugen befriedigt. Wirtschaft und Staat arbeiten hocheffizient, dank leistungsstarker Kommunikationsnetze, dank im Überfluss verfügbarer Daten und dank einer digitalen Währung. Die Erkenntnis, dass eine ökologische Informationsgesellschaft nur mit stets verfügbarer und kostengünstiger Energie funktionieren kann, führt dazu, dass die Schweiz ihren stark wachsenden Energiebedarf mehr und mehr mit kleineren modularen Kernkraftwerken deckt.

Die weitere Erkenntnis, dass neue erneuerbare Energieerzeugungsanlagen teilweise stark in die Natur ausgreifen, kam für den erneut ausgestorbenen Bartgeier allerdings zu spät, und auch die in den 2020er-Jahren für den Bau eines Wasserkraftwerks überhastet überflutete Greina-Ebene ist leider für immer verloren. Schwer zu entfernende, im Waldboden eingelassene Betonfundamente einstiger Windkraftanlagen bilden die Zeitzeugen und Mahnmale einer zunächst fehlgeleiteten, dann aber glücklicherweise korrigierten Energie- und Infrastrukturpolitik.

Energiemangel, Verschuldung, soziale Konflikte

Andere europäische Länder wurden hingegen nach der Pandemie und der Energiekrise von falschen Prophetinnen und Propheten an renommierten Forschungsinstituten und Universitäten dazu verführt, ihre verbliebenen Kräfte für den Ausbau von Erzeugungskapazitäten in Wind und Sonne zu mobilisieren und Produktionsstätten von nichtregenerativer Energie konsequent und für immer vom Netz zu nehmen. Die nun verfügbaren Kapazitäten sind nicht mehr steuerbar; die deshalb benötigten Speicher mit hohen Wirkungsgraden und hoher Wirtschaftlichkeit bleiben derweil rar. Zusammenbrüche des Systems können zumeist verhindert werden, aber nur, indem auf der Nachfrageseite eingegriffen wird, das heisst, indem Stromverbraucher mehr oder weniger dosiert vom Netz genommen werden. Die Energiepreise sind wetterabhängig und darum vor allem im Winter sehr hoch. So führt die allgemeine Energiearmut in eine Deindustrialisierung und zu verfallenden Infrastrukturen. Mit dem Wegfall umfangreicher Produktionskapazitäten gehen auch Arbeitsplätze für qualifizierte Fachkräfte verloren. Da Kunstdünger und Pestizide nur mehr eingeschränkt verwendet werden dürfen, sinkt auch die landwirtschaftliche Produktion. Die alternativ verfügbaren genetisch veränderten Pflanzen, die robuster und damit ergiebiger wären, bleiben politisch unerwünscht.

Soziale Unruhen, bei denen militante Klimaaktivisten auf die verarmenden Schichten der Gesellschaft prallen, sind die Folge: Die Zustände werden von politischen Entscheidungsträgern als «Übergangsprobleme der laufenden Transformation in eine grüne und nachhaltige Wirtschaft» abgetan; die gesellschaftlichen Probleme und Spannungen werden deshalb mit einem weiteren Ausbau des Sozialstaates und mit staatlicher Industriepolitik teilweise aufgefangen.

Programmierbares Zentralbankgeld

Das kostet viel Geld, und der Staat muss sich noch stärker verschulden. Die formal nach wie vor unabhängige Zen­tralbank stellt ihre monetäre Infrastruktur «im Gesamt­interesse des Landes» ebenfalls in den Dienst der Staats­finanzierung: Die digitale Währung «verbessert die Wirkung der Geldpolitik» und «erhöht die Steuergerechtigkeit», indem sie die Bargeldhortung unterbindet und die Kontrolle der Geldflüsse erlaubt. Die Bürger können aufgrund der nun beobachtbaren Geldflüsse weder der hohen Inflation noch den neuen Steuern ausweichen. Das programmierbare Zentralbankgeld erlaubt überdies die umfassende Kontrolle der Geldverwendung: Verbunden mit einem Social-Credit-System, welches das Verhalten des ­Individuums «durch intelligente Anreize gemeinwohl­verträglicher macht», wird so das Konsumgebaren der Bürgerinnen und Bürger immer stärker gesteuert, «zur Förderung des sozial-ökologischen Ausgleichs».

Unsere Infrastrukturen sind die Frucht erheblicher kollektiver Anstrengungen. Sie stehen im Dienst der Befriedigung grundlegender menschlicher Bedürfnisse: ausreichend Nahrung und sauberes Wasser, günstige und jederzeit verfügbare Elektrizität, ein wohlig warmes und trockenes Zuhause. Die Erfahrung zeigt, dass Menschen solche Bedürfnisse prioritär befriedigt haben wollen. Eine Politik, die diesem Umstand nicht jederzeit Rechnung trägt, wird die von ihr verfolgten ökologischen, ökonomischen und sozialen Ziele nicht erreichen, weil sie ihrer sozialen Akzeptanz verlustig geht. Die Herausforderung unserer Zeit liegt nicht darin, unsere Infrastrukturen umweltgerecht zu betreiben. Sie liegt vielmehr darin, unsere Infrastrukturen in einer Weise zu betreiben, dass sie unsere Bedürfnisse umweltgerecht befriedigen.

  1. Zum Einstieg in diese Denkweise: «Ein ökomodernes Manifest»,
    http://www.ecomodernism.org/deutsch.

»
Abonnieren Sie unsere
kostenlosen Newsletter!