Mit offenen Armen in die Unmündigkeit
Der Schriftsteller Peter Stamm forderte jüngst lautstark mehr staatliche Unterstützung für die finanziell gebeutelte Autorenzunft. Dass ein selbsternannter Vertreter seiner Berufsgattung in deren Namen wiederholt einen Platz auf dem Subventions-Ponyhof einfordert, ist vorhersehbares Kalkül. Dies erfolgreich als zivilisatorischen Imperativ zu verkaufen: immerhin eine respektable Leistung. Der allgemeine Zuspruch darauf: im besten Fall bedenklich. Das Lamento […]
Der Schriftsteller Peter Stamm forderte jüngst lautstark mehr staatliche Unterstützung für die finanziell gebeutelte Autorenzunft. Dass ein selbsternannter Vertreter seiner Berufsgattung in deren Namen wiederholt einen Platz auf dem Subventions-Ponyhof einfordert, ist vorhersehbares Kalkül. Dies erfolgreich als zivilisatorischen Imperativ zu verkaufen: immerhin eine respektable Leistung. Der allgemeine Zuspruch darauf: im besten Fall bedenklich.
Das Lamento des Autors, den Ingold im letzten «Monat» kritisiert hat, ist symptomatisch für eine generelle Geisteshaltung in der Schweiz, deren Spitze ein ideologisch überhöhtes Subventionsdenken bildet. Auf die Literatur gemünzt bedeutet das: Erfolgreich ist, wer das Formular für den nächsten kantonalen Werkbeitrag oder das übernächste Stipendium so zielgruppengerecht wie möglich ausfüllt. Damit erkauft er oder sie sich die vermeintliche schöpferische Freiheit für die nächsten sechs bis neun Monate. Dagegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden.
Diese Art der Mittelbeschaffung zur Existenzgrundlage zu erheben und als solche zu beanspruchen, hat aber etwas Unstatthaftes. Warum soll ein Autor (oder sonst wer) das Recht haben, sich staatlich gefördert den Rücken freizuhalten, um im stillen Kämmerlein seine «Leistung für die Gesellschaft» zu erbringen? Eine Leistung, notabene, die sich gut als Feigenblatt eignet, um die eigene Daseinsberechtigung zu legitimieren, obwohl sie überhaupt nicht messbar ist? Fest steht immerhin, dass in einem risikofreien Umfeld noch nie Grosses entstanden ist. Im Gegenteil: als Subventionsempfänger mutiert man zum Sklaven der Bürokratie und verstellt nicht selten seine eigene Stimme, um dem gerade vorherrschenden Mainstream zu gefallen.
Die amerikanische Dramatikerin und Schauspielerin Anna Deavere Smith äusserte sich kürzlich gegenüber Bloomberg zu ihren schwierigen Anfängen als junge Autorin in New York. Im Vergleich zu ihren Schweizer Kollegen waren ihre Umstände tatsächlich prekär: Ihre ersten Jobs waren so schlecht bezahlt, dass sie sich kaum die U-Bahn leisten konnte. Später schlug sie sich mit Fünfzeilenrollen in Seifenopern durch. Trotzdem: kein Anflug von Selbstmitleid, keine Zerknirschung, kein Appell an eine höhere Gewalt. Stattdessen ein klares Bekenntnis zur künstlerischen Freiheit gemäss Steve Jobs’ Maxime «Stay hungry, stay foolish».
Und damit wären wir wieder beim Risiko. Der Mut dazu ist hierzulande Mangelware, das zeigt sich schon in den Lebensläufen der sogenannten «jungen Elite», die weitgehend aus Betriebswirten und Juristen besteht. Für diese sich selbst verstärkende Monokultur gibt es drei Gründe: ein kulturell tief verwurzeltes Sicherheitsbedürfnis, den langen Schatten der Respektabilität und ein schweres Versäumnis unseres Bildungssystems. Wo, bitte sehr, sind denn die Elon Musks und Jack Dorseys der Schweiz? Ich habe das Vergnügen, einige von ihnen zu kennen, aber es sind leider viel zu wenige.
Die Frage, ob im Kindergarten Dialekt oder Hochdeutsch gesprochen werden soll, geniesst bei uns den Status einer ernsthaften Bildungsdebatte. Solange Kinder aber nicht schon in der Grundschule lernen zu programmieren, öffentlich aufzutreten und praktisches Engagement zu zeigen, wird unsere Wettbewerbsfähigkeit ab- und unsere Risikoaversion zunehmen. Solange Linearität im Lebenslauf belohnt und «Abweichler» bestraft werden, haben grosse Ideen keine Chance. Diese Engstirnigkeit ist Gift für Innovation und der beste Nährboden für eine Zukunft in der Mediokrität. Das angelsächsische Modell lässt im Gegensatz dazu viel mehr Flexibilität zu. Die letztes Jahr verstorbene Psychologin Susan Jeffers hat dieses Denken in ein prägnantes Motto gegossen: «Feel the fear and do it anyway.» Wir Schweizer sind Weltmeister der Schubladisierung. Vielleicht trauen sich unsere Autoren auch deshalb nicht in andere Gefilde und rühren stattdessen lieber die gänzlich risikofreie Subventionstrommel.