Mit dem Traktor in die Zukunft?
Die Geschichte der Elektroautos zeigt: Auch überlegenen Technologien stehen viele Hindernisse im Weg. Ein Surftrip nach Spanien kann Überzeugungsarbeit leisten.
Kürzlich titelte der «Blick»: «Schweizer haben keine Lust auf E-Autos». Ich kratze mir den Kopf. Der Verbrennungsmotor hat die Mobilität revolutioniert und war jahrzehntelang ein Meisterwerk der Ingenieurskunst. Doch während er einst das Symbol für Fortschritt war, steht er heute sinnbildlich für einen technologischen Stillstand, der uns in einer Zeit des Wandels behindert. Was bewegt Menschen heute noch dazu, auf eine veraltete Technologie wie den Verbrennungsmotor zu setzen, während die Alternativen immer attraktiver werden?
Kürzlich wollte eine Kollegin mich, einen langjährigen Elektroautofahrer, von ihrem deutschen Verbrennersportwagen überzeugen und lud mich auf eine Spritztour ein. Während der Fahrt dachte ich nur: Das Auto ist laut, das hat keinen «Zupf» – ein reiner Traktor.
Ganz schön naiv
Meine Begeisterung für Elektroautos entstand aus einem Umweltgedanken heraus. Angesteckt vom Enthusiasmus des ehemaligen US-Präsidentschaftskandidaten Al Gore, dessen grosses Thema die Umwelt war, schrieb ich dem Schweizer Finanzminister Otto Stich einen Brief. Mein Vorschlag: Autos mit hohem Verbrauch beim Kauf besteuern und die Einnahmen für die Förderung von verbrauchsarmen Autos verwenden. In der Olma-Halle in St. Gallen versuchte ich, einen Elektroautosalon auf die Beine zu stellen. Und weil ich es verrückt fand, dass meistens nur eine Person im Auto sass, entwickelte ich eine Carpooling-Software, die Pendler mit gleichem Arbeitsweg zusammenbrachte.
Rückblickend war mein Enthusiasmus wohl etwas naiv. Otto Stich antwortete höflich auf meinen Brief und versprach, meinen Vorschlag in eine zuständige Kommission einzubringen. Die Olma-Halle bot mir sogar einen Vorzugspreis für den Elektroautosalon an, aber selbst das war den damaligen Anbietern noch zu teuer. Und mein Carpooling-Projekt wurde zwar in der lokalen Presse positiv erwähnt, scheiterte aber letztlich daran, dass niemand bereit war, sein eigenes Verhalten zu ändern.
Wie mir ging es vielen anderen, die sich für einen Wandel einsetzten. Die fossile Industrie hatte kein Interesse daran, den Übergang von einer umweltverschmutzenden Technologie, für die wir immer noch Despoten hofieren, zu einer nachhaltigen und umweltfreundlichen Industrie zu unterstützen. Der politische und wirtschaftliche Druck, alles beim Alten zu belassen, war enorm. Und Al Gore, der Mann, der die Welt bereits damals auf die Gefahren des Klimawandels aufmerksam machte, wurde nie US-Präsident. Bei seinem zweiten Anlauf im Jahr 2000 (nach 1988, als jedoch Michael Dukakis die Nomination der Demokraten erhielt) entschied das oberste Gericht zugunsten von George W. Bush, einem Präsidenten, dessen enge Verbindungen zur Ölindustrie die Klimapolitik der USA für Jahre lähmten, während er einen Krieg um Öl im Irak begann.
«Die fossile Industrie hatte kein Interesse daran, den Übergang von einer umweltverschmutzenden Technologie, für die wir immer noch Despoten hofieren, zu einer nachhaltigen und umweltfreundlichen Industrie zu unterstützen.»
Autobauer verschrotten die eigenen Gefährte
Wenn Sie argumentieren, dass der Klimawandel schon immer da war und nicht durch den Menschen verursacht wird, sind Sie nicht allein. Gemäss einer Studie der Harvard-Universität hat die fossile Industrie viel investiert, um nicht nur die Wahrheit zu vertuschen, sondern auch Alternativen schlechtzureden. ExxonMobil wusste bereits 1977, dass die Erderwärmung durch fossile Brennstoffe verursacht wird, hielt dieses Wissen aber zurück und finanzierte Lügenkampagnen gegen Alternativen. Diese Manipulation prägt unser Denken bis heute und erschwert den Übergang zur Elektromobilität. Aktuell laufen in den USA verschiedene Rechtsfälle dazu.
Dabei ist die Wissenschaft eindeutig: In den letzten 500 000 Jahren dauerte es etwa 10 000 Jahre, bis sich die Temperatur um 4 bis 5°C erhöhte. Heute erleben wir denselben Anstieg ohne Gegenmassnahmen innerhalb von nur 100 Jahren – ein Tempo, das die Menschheit vor nie dagewesene Herausforderungen stellt.
Auch das Elektroauto wurde lange bekämpft. Dabei ging die Industrie oft trickreich vor. Als 1990 in Kalifornien strengere Umweltauflagen erlassen wurden, entwickelte General Motors das EV1, einen flotten, batteriebetriebenen Sportwagen. Schon damals ein tolles Fahrzeug, von dem sogar 2000 Stück produziert und zur Vermietung angeboten wurden. Gleichzeitig kaufte GM wichtige Patente für Batterien und behauptete, dass sie die damalige Gesetzgebung zur Reduzierung von Schadstoffen unterstützten, die Technologie aber noch nicht so weit sei und das Gesetz gelockert werden müsse. Sobald dies geschah, wurde die Produktion des EV1 eingestellt, die 2000 gebauten Autos verschrottet, die Patente an einen Ölkonzern weiterverkauft und die Entwicklung zum Elektroauto um Jahrzehnte zurückgeworfen.1 Der damalige CEO von GM bezeichnete die Einstellung des EV1 später als die schlechteste Entscheidung seiner Amtszeit.
Die Geschichte von ExxonMobil und dem EV1 zeigt, dass das Wissen um den Klimawandel und die Möglichkeiten zur Veränderung schon lange vorhanden sind. Doch wirtschaftliche und politische Interessen haben den Fortschritt immer wieder gebremst. Erst heute – mehr als 30 Jahre nach dem EV1 – scheint der Wandel unaufhaltsam, aber die alten Strukturen sind noch nicht vollständig überwunden.
Die Reichweiten von Elektroautos sind gestiegen, die CO2-Emissionen pro Kilometer liegen in der Schweiz deutlich unter denen von Verbrennungsmotoren (inklusive Herstellung), und der Einsatz kritischer Metalle in Batterien nimmt stetig ab, während deren Gewinnung immer ökologischer und ethischer wird. Auch das Recycling dieser Rohstoffe macht deutliche Fortschritte, und gemäss Bundesamt für Energie gibt es mittlerweile über 6500 öffentlich zugängliche Ladestandorte, wohingegen es nur etwas mehr als 3300 Tankstellen für Verbrenner gibt.
Aber vielleicht geht es gar nicht so sehr um rationale Argumente. Die fossile Industrie hat nicht nur die Technologie, sondern auch das öffentliche Bewusstsein über Jahrzehnte manipuliert. Diese Verflechtung von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft macht den Übergang zur Elektromobilität so schwierig. Wir stehen nicht nur vor einer technischen, sondern auch vor einer kulturellen Revolution, die tief in unsere Konsummuster und Wertvorstellungen eingreift. Vielleicht braucht es Bekannte und Freunde, die positive Erfahrungen gemacht haben.
«Wir stehen nicht nur vor einer technischen, sondern auch vor einer
kulturellen Revolution, die tief in unsere Konsummuster und
Wertvorstellungen eingreift.»
Diesen Sommer sind wir zum Surfen nach San Sebastian gefahren. Die 1300 Kilometer legten wir mit vier kurzen Ladestopps zurück – ruhiger und entspannter als jede Fahrt mit einem Verbrennungsmotor. Wir verursachten deutlich weniger als die Hälfte der CO2-Emissionen2 und zahlten für den Strom nur etwa die Hälfte der Benzinkosten.
Ein «Update» tut allen gut – auch mir beim Thema Traktoren
Bei der Titelwahl «Mit dem Traktor in die Zukunft?» sah ich vor meinem inneren Auge zunächst ein eher altbackenes Gefährt. Zu meiner Überraschung stellte ich nach kurzer Recherche fest, dass die Industrie E-Traktoren anbietet, dass teilautonomes Fahren längst Realität ist und der Pflanzenschutz heute aus der Luft erfolgt – per batteriebetriebener Drohne. Auch die Landwirtschaft ist im Wandel.