Mit Bürokratie gegen den (Straf)staat
Die mehr oder weniger kontinuierliche Zentralisierungstendenz der einst modellhaft föderalistischen Eidgenossenschaft seit 1848 spiegelt sich markant im Recht: Die Vereinheitlichung des Privatrechts – das legendäre Schweizerische Zivilgesetzbuch (ZGB) von 1907 – mag als Beförderung des Freihandels (damals: Hauptzweck des Bundesstaats) noch durchgehen. Dreissig Jahre später vereinheitlichte das Schweizerische Strafgesetzbuch (StGB) zumindest symbolisch die nationale Staatlichkeit stärker. Der nächste Schritt folgte 2011 mit der Schweizerischen Strafprozessordnung (StPO). Nach dem «Was» und dem «Wie» obliegt nur noch das «Wer» den Kantonen, wobei auch die Organisationsfreiheit des kantonalen Strafvollzugs diversen Bundesbestimmungen unterliegt.
Besagte StPO hatte bisher vor allem eine Konsequenz: Sie führte zu mehr Bürokratie, höheren Pendenzenbergen und längeren Verfahren, Vorschriften zur Schriftlichkeit, Detailregelungen, wer welche originalunterschriebenen Unterlagen erhält. Auch die ausufernden Teilnahmerechte bringen manchen Staatsanwalt zur Verzweiflung. Die materielle Wahrheit mag ein Thema der Strafverfolgung geblieben sein, zur neuen Hauptsache geworden ist aber, ja keinen Formfehler zu begehen!
Selbstverständlich: Wer in die Mühlen des Staates gerät, muss sich verteidigen können – da sind sich alle Liberalen einig. Ob es einem einzelnen Beschuldigten allerdings nützt, wenn etwa die Teilnehmerrechte dazu führen, dass nach einer Massenschlägerei seine zehn Kumpels mitsamt deren zehn Anwälten der Einvernahme beiwohnen, sei dahingestellt. Wer aus liberaler Sicht den (Straf)staat kleinhalten möchte, soll ihn nicht verbürokratisieren. Denn damit wird er nicht nur grösser, sondern auch ineffizienter. Und wer weniger Machtmonopol und einen schmaleren Graben zwischen Staat und Bürgern will, muss dafür kämpfen, das materielle und prozessuale Strafrecht auf das zu reduzieren, was es einmal war: die letzte Waffe an den Aussengrenzen unserer Zivilisation.