Menschenrechte predigen und Blut trinken: Wie
demokratische Regierungen Diktatoren auf den Leim gehen
Westliche Regierungen halten ihre Werte hoch – solange nicht lukrative Geschäfte auf dem Spiel stehen.
Ein Sturm der Entrüstung ging um die Welt, nachdem 2018 aufgeflogen war, dass das saudische Regime den Dissidenten Jamal Khashoggi in Istanbul blutrünstig ermordet hatte. Kronprinz Mohammed bin Salman, der den Mord wohl angeordnet hatte oder zumindest informiert war, wurde von der internationalen Gemeinschaft geächtet und von Konferenzen ausgeladen. Staatsbesuche wurden abgesagt.
Heute, fünf Jahre später, scheint es, als ob der Mord nie geschehen wäre. MBS ist respektiertes Mitglied des internationalen Kreises der Mächtigen. Westliche Staaten nehmen sein Öl mit Handkuss und liefern ihm gerne Waffen. Die Schweiz verkaufte vergangenes Jahr Kriegsmaterial für über 100 Millionen Franken an Saudi-Arabien, das im Jemen in einen blutigen Krieg verwickelt ist.
Es ist nicht so, dass westlichen Regierungen Menschenrechte egal wären (mit Aung San Suu Kyi oder Alexei Nawalny solidarisierte man sich schliesslich auch gerne). Oder dass sie besondere Sympathien für durchgeknallte Diktatoren hätten. Doch solche Überlegungen sind zweitrangig, wenn es darum geht, eine günstige Energieversorgung für das eigene Land sicherzustellen oder lukrative Absatzmärkte für die Exportwirtschaft zu erschliessen. Es muss schon einiges passieren, bis sie sich von einem Tyrannen lossagen. Dass westliche Demokratien Saudi-Arabien (wieder) als akzeptablen wirtschaftlichen und politischen Partner betrachten, liegt nicht zuletzt daran, dass sie als Reaktion auf den Ukrainekrieg Alternativen zu Russland suchen mussten.
Kronprinz Mohammed wusste das natürlich. Und Scheich Tamim bin Hamad Al Thani im Nachbarland Katar weiss es auch; jüngst konnte er mit Deutschland einen Liefervertrag für zwei Millionen Tonnen Flüssiggas abschliessen. Autokraten sind nicht irrational; sie sind sich im Klaren, wie viele Oppositionelle sie umbringen oder wie viele Homosexuelle sie verurteilen können, ohne einschneidende Konsequenzen befürchten zu müssen.
Mit dem Aufstieg Chinas zum globalen Player haben die Diktatoren ein zusätzliches Druckmittel, sieht Peking doch wesentlich grosszügiger über Greueltaten hinweg. Die chinesische Konkurrenz macht westliche Regierungen noch kleinlauter, wenn es um handfeste Interessen geht.